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8. Freiwild
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Ausschweifungen verleiteten Soldaten, der, im Grunde ein
guter Kerl, nach und nach zum gefährlichen Desperado wird
gibt es fast in allen europäischen Armeen. Nicht minder
natürlich ist in seinem Kameraden der gewissenhafte, fleißige
und strebsame Officier gezeichnet, der seine Verhältnisse in
Ordnung hält und von der Würde seines Standes durch¬
drungen ist. Er entgegnet auf Paul's wegwerfende Bemer¬
kungen: „Bedenken Sie, daß das, was Ihnen ein Phantom
dünkt, für andere Menschen den ganzen Lebensinhalt aus¬
macht." Besonders lebendig wirkten auch die Scenen aus
dem Theaterleben, die fröhliche Verkommenheit, in der man
achtlos untergeht, und der kupplerische Schmierendirector er¬
regte Stürme von Heiterkeit.
Arthur Schnitzler hat mit diesem Schauspiel den Umkreis
seines Könnens bedeutend erweitert, und eine Wirkungskraft
erreicht, die er selbst in der „Liebelei“ noch nicht besessen.
Der Erfolg war laut und herzlich. Das Publicum, durch
die bekannten Karlsruher Ereignisse erregt, schien zu lebhafter
und demonstrativer Parteinahme geneigt, aber die vornehme
Objectivität des Stückes hielt das tendenziöse Für und Wider
in Schranken.
Die Darstellung war über alles Lob vortrefflich. Herr
Rittner spielte mit seinem hinreißenden Feuer und mit
seiner vollendeten Natürlichkeit den Rönning. Herr Sauer
gab mit schneidiger Echtheit den Karinski. Nur etwas mehr
Verlumptheit und mehr Cognac wäre nöthig gewesen. Der
schlichte Officier, den Herr Nissen spielte, hatte geradezu
etwas Baumeisterliches und Herr Reicher übte starke
Wirkung in einer schweren Rolle. Die Anna Riedel gab eine
junge begabte Anfängerin, Fräulein Trenner, und die
Damen Eberty und Schneider waren in lustigen
Episoden beschäftigt.
Es berührte wohlthuend, zwischen zwei Wiener Premieren,
eine solche Vorstellung zu sehen, in welcher alle schau¬
spielerischen Leistungen und die Regie sich auf einem Niveau
befinden das wir leider nur ganz ausnahmsweise erreichen.
f. S.