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8. Freiwil
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vielen langsamen Tempi aufrichtigen Beifall, der sich nach dem weichen
und angewöhnte Denkungsart hinausgehen, noch besser geschildert, als
Liebesduett noch steigerte. Der Schluß des Aktes bringt noch einige
der kluge, nachdenkliche Paul, welcher in seiner Verachtung der con¬
energische Accente, die nach den langen lyrischen Ergüssen sehr wohl¬
ventionellen Sitte sehr kühl, ja sogar etwas abstrakt erscheint. Aber
thuend wirken. Der dritte Aufzug hat eine effektvolle Einleitung
diese Figur ist durchaus nicht unwahrscheinlich, sie hätte nur etwas
erwärmt später durch die schon erwähnte Scene Ancassin's und sein
lebenswärmer gezeichnet werden müssen. Der Kampf zwischen den Ver¬
Schluß sieigert sich zu schöner Wirkung in dem großen Duett zwischen
tretern zweier diametral entgegengesetzten Auschauungen rief, wie schon
Nicolette und Gräfin Beaucaire. Den vierten Akt konnte nur ein
gesagt, ein lebhaftes Für und Wider im Publikum hervor, und mit
Künstler von bedeutender Begabung komponirt haben. Gleich die Ein¬
äußerster Spannung verfolgte man den Fortgang der interessanten
leitung, prächtig im Kolorit, eigenartig in der Erfindung verdient hier
Handlung. Aber es wäre sehr ungerecht, wollte man dieses Interesse
erwähnt zu werden. Und nun geht es mit prächtiger Steigerung bi¬
lediglich auf das Conto des actuellen Stoffes schieben. Die Haupt¬
zum Schluß. Ist Nieolettes Scene in diesem Akt von packender Wirkung
ursache des großen Erfolges, der sich in lebhaften Hervorrufen der
so zeigt jene Ancassins Enna's lyrisches Talent von der schönsten
Darsteller documentirte, liegt doch in der meisterhaft dra¬
Seite. Da ist namentlich die Stelle „Sternelein es künden: bald dar
matischen und bühnenwirksamen Charakteristik der Figuren und
die Stunde schlagen" zu erwähnen, wo Enna eine Melodie schuf, die
der vorzüglichen Zeichnung des Milieus. Die Exposition im ersten Akte
direkt aus dem Herzen quillt und in ihrer Schlichtheit einen unsagbar
gehört zu den besten, die wir in letzter Zeit gesehen haben. Alle Details
rührenden Ton anschlägt. Wärme und überzeugende Wahrheit des
waren so meisterhaft angebracht, daß sie sich zu einem stimmungsvollen
Gefühls üben noch einmal ihre volle Wirkung bei der Bitte Ancassins
Ganzen vereinigten. Die einzelnen Personen, welche nur so nebenher
„O hör mein Flehen, höre Engel mein, o laß mich sterben, laß zu Gott
auftreten, strotzen von Lebensfülle und Naturwahrheit, so namentlich
mich ein.“ Das Finale befestigt den außerordentlich günstigen Eindruck
einzelne der Schauspieler und Schauspielerinnen, der Schauspieldirektor,
des letzten Aktes durch ein Ensemble von mächtigem Aufgebot aller
selbst der kleine Piccolo des Cafés. Dabei ist die Handlung straff zu¬
Kräfte. Von der musikalischen, wie von der scenischen Vorbereitung des
sammengehalten und geht mit gemessenen und sicheren Schritten auf das
Werkes läßt sich, dank den Herren Kapellmeister R. Krzizanowski und
Eudziel los. Das sind gewiß Vorzüge eines modernen Stückes, die um
Oberregisseur F. Bittong, nur Günstiges berichten. Die Leistungen der
so höher zu schätzen sind, da den meisten unserer modernen Dramatiker
Solisten waren durchweg lobenswerth. Nach dem zweiten und den
das feste dramatische Rückgrat fehlt. In Schnitzler hat die deutsche
folgenden Aufzügen wurde der Komponist mit den Dar¬
Bühne einen Dramatiker gewonnen, der nicht nur über eine
stellern vielfach hervorgerufen.
sichere „Mache“ verfügt, sondern auch in einem gesunden Rea¬
lismus seine Wurzeln geschlagen hat.
„Hamburger Correspondent
Das dreiaktige Schauspiel „Freiwild", das gestern Abend in
Freiwild.
unserem Thalia=Theater gegeben wurde, hat bei seiner Erstaufführung
in Berlin Beifall gefunden. Nach jedem Akte klatschte das Publikum auch
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler.
hier lebhaften Beifall und am Schlusse hätte es nichts lieber gesehen, als
daß der Verfasser selbst vor den Rampen erschienen wäre. Alles in
Allem: Das Stück ist nicht uninteressant. Wenn es einen größeren Er¬
Aufführung im Thalia-Theater zu Hamburg.
folg davontrug, so liegt das daran, daß sein Inhalt, daß das Thema,
welches es behandelt, für den Augenblick ein actuelles Interesse besitzt.
Es behandelt die Duellfrage. (Folgt Inhalt.) Es ist scheinbar nichts
Auch in Hamburg hat das interessante Stück einen sensationellen
Neues, was uns hier geboten wird. Die Zahl der Stücke, in denen
Erfolg errungen.
das Duell eine Rolle spielt, ist Legion. Und wo es sich um das Duell
handelt, da handelt es sich immer auch um den Begriff der Ehre. Aber
Hamburger Fremdenblatt“:
man steht hier doch vor einem neuen Problem. Die Frage, ob man
Es kommt selten vor, daß eine Novität ein so tiefgehendes
eine Duellforderung ablehnen darf, wenn man aus Eltern oder nahe
Interesse weckt, daß die Discussion über dieselbe die Zwischenakte
Angehörige Rücksicht zu nehmen hat, ist auch in dramatischer Form schon
welche gestern nicht kurz bemessen waren, völlig in Anspruch nahm. Es
vor Schnitzler behandelt worden, — ob man sie aber auch aus dem
wurde zum ersten Male das dreiaktige Schauspiel „Freiwild von
Grunde oblehnen darf, weil man das Leben so schön findet, weil man
Arthur Schnitzler, dem bekannten österreichischen Autor gegeben, und
das Leben so gern in vollen Zügen genießen möchte, das ist das Neue
das Thema, das in demselben in sehr geschickter Weise angeschlagen
an dem Drama und das ist es, was dem Stück immerhin ein ganz
wird, bot dem zahlreich versammelten Publikum in den Zwischenakter
besonderes Interesse verleih
reichen Stoff zu den lebhaftesten Reden und Gegenreden. Ueberall, au
den Corridoren, im Foyer, in der Restauration standen Gruppen leb¬
„Hamburger Freie Presse“:
haft gesticulirender Damen und Herren, die für und gegen die beiden
Der zweiten dramatischen Schöpfung Schnitzler's, welche Donnerstag
Helden des Schauspiels — denn es sind deren in der That zwei
Abend vor dem Hamburger Publikum erschien wurde dieselbe Ehrung
Partei nahmen. Aber nur eine Stimme herrschte darüber, daß
zu Theil; da sie ein aktuelles Interesse besitzt, nämlich die Duellfrage be¬
seit langer Zeit im Thalia=Theater kein Stück gegeben worden
handelt, so war die Anerkennungsspende eine reichliche. Der Verfasser
ist, welches ein so spontan wirkendes Interesse und so viel
nennt sein neuestes Schauspiel „Freiwild", als welches er die weib¬
Anregung zum eigenen Nachdenken hervorgerufen hat, wie
lichen Mitglieder einer Bühne unweit Wien von den Offizieren der kleinen
„Freiwild. Man hat sehr viel Kluges, aber auch sehr viel Dummes
Garnison bezeichnen läßt
gegen das sogen. Tendenzdrama gesagt und geschrieben, und man wird
„Hamburger Nachrichten
zugestehen, daß ein Drama, welches lediglich geschrieben ist, um in einem
Ausgang und Verlauf des Confliktes entwickeln sich folgendermaßen.
zeitweiligen Parteigezänk für oder gegen etwas Partei zu nehmen, an
(Folgt Handlung.) Es wäre unrichtig, dem Verfasser zu bestreiten, daß
Kunstwerth bedeutend verliert, weil meistens rein äußerliche Umstände
er mit geschickter Berechnung vorgegangen ist und Wirkungen erzielt hat,
falsche Gesichtspunkte aufstellen, doch es giebt auch Tendenzstücke, die
die stark auf die Nerven fallen.
ihren Anlaß aus actuellen Zeitfragen herholen, diese aber aus dem
trivialen Mischmasch der Meinungen in eine reinern Atmospähre empor¬
heben. Zu diesen Dramen gehört unzweifelhaft das Schnitzler'sche
Drama „Freiwild" welches zu der jetzt vielbesprochenen Duellfrage
eine künstlerisch ausgestattete Illustration giebt. Es sei die Handlung
Ein
kädenväter.
kurz skizzirt, ehe über die Art und Weise, in welcher der Autor sein
Thema behandelt hat, Näheres mitgetheilt wird. (Folgt Inhalt) Es
Schwank in drei Akten
ist nicht die Aufgabe des Kritikers, aus Anlaß dieses Stück nunmehr
in eine akademische Erörterung über die Berechtigung oder Nichtbe¬
rechtigung des Duells einzugehen, zumal der Autor selbst mit seiner
Hans Fischer und Josef Jarno.
Meinung zurückhält und nur die Thatsachen sprechen läßt. Wenn man
eine Tendenz in dieses Stück hineinlegen will, so kann es höchstens di¬
sein, daß es grausam ist, einen Offizier, der gewillt ist, sich einem Duell
Aufführung im Theater am Gärtnerplatz zu München,
zu stellen, aus der Armee auszuschließen, weil der Gegner aus Hoch¬
den 14. Januar 1897.
muth, Feigheit oder philosophischer Ueberzeugung sich nicht schießen will.
Das ist aber eine ganz nebensächliche Sache, wenn die Frage der Be¬
rechtigung des Duells überhaupt nicht gelöst ist. Und in dieser Hin¬
Mit dem „Rabenvater" hat das Schweighofersche Gastspiel seinen
sicht verhält sich der Autor durchaus unparteiisch. Er giebt uns eine
Höhepunkt erreicht. Die gesamte Münchener Presse konstatirt einstimmig
scharf umrissene Illustration des socialen Conflictes zweier Ehrbegriffe,
den großartigen Erfolg des „Rabenvater" und bespricht in günstigster
der nun einmal besteht und so leicht nicht ausgerottet werden wird trotz
Weise die Qualitäten des Schwankes.
aher klugen Reden hüben und drüben. Die Charaktere der beiden
„Münchener Neueste Nachrichten“
Helden sind so klar, verständlich und anschaulich geschildert, daß man
ihre Handlungsweise völlig versteht. Vielleicht ist dem Antor sogar der
Zum ersten Male wenigstens in München — „Der Rabenvater
Charakter des schneidigen Lieutenants, von dem man unmöglich ver¬
Schwank in drei Akten von Hans Fischer und Josef Jarno.
langen kann, daß seine Gedanken über die oberflächliche, ihm anerzogene Schwank bildet die Ausnahme von der Regel und die Regel sind schlechte