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8. Freiwild
30. November 1897.
Seite 3.
Beil. z. Boh. Nr. 331.
vor. Herr von Wymetal und Herr Löwe fanden
Prüfung ist noch nicht überstanden. In zwölfter
zudringlichen Anträgen, die er umso schneidiger vor¬
die bezeichneten Grundtöne für die Lebejünglinge aus
Stunde erscheint Dr. Wellner, um dem Freund eine
bringt, je mehr er durch ihre Sprödigkeit gereizt wird.
verschiedenen Sphären, wenn auch beide die Farbe um
letzte Warnung zu geben, ihn zur Flucht anzuspornen,
Paul Rönning hat Sympathie für das arme Mädchen,
eine leichte Nuance zu stark auftrugen. Herr Schmidt
damit er der Wuth Karinskis, der zum Aeußersten
das er von Haus aus kennt, und pflegt unbefangenen
gab dem Wellner ein ruhiges männliches Wesen, Herr
freundlichen Verkehr mit ihr. Möglich, daß sich in entschlossen sei, entgehe. Diese Warnung erzielt das
Gegentheil der beabsichtigten Wirkung. Rönning will Reucker hob als Rohnstedt mit schauspielerischer In¬
Beiden eine tiefere Neigung regt; aber ihre Beziehung
telligenz den Sinn der klugen Worte heraus; für den
der drohenden Gewalt nicht weichen und beschließt, zu
hat das Licht der Welt nicht zu scheuen, und die junge
Ausdruck der starken inneren Bewegung langt freilich
bleiben. Das ist sicherlich eine Inconsequenz des
Schauspielerin hat genug schlichten Stolz, um sich die
sein Temperament nicht aus. Die Chargen der Ko¬
Helden, der sich nun doch einem Wüthenden preisgibt,
pecuniare Hilfe, die ihr der Freund in der reinsten
mödiantenwelt waren mit Humor erfaßt, namentlich
um den Stolz und den Muth des Mannes zu er¬
Absicht anbietet, zu verbitten. Dennoch gilt das „Ver¬
die Herren Zeisler und Thaller, und die Damen
weisen. Aber die Inconsequenz des Helden ist keine
hältniß für ein ausgemachtes, und Oberlieutenan
Moller und Bardi vermittelten treffend die satiri¬
des Autors. Darin liegt ja eben die tragische Wendung
Karinski, der es nicht fassen kann, daß eine Dame des
schen Züge. Das Stück wird ein dauernder Gewinn
der Fabel, daß der Unbefangenste schließlich in die Be¬
Sommertheaters ihn brüskirt, sieht in Rönning seinen
unseres Spielplanes sein.
fangenheit hineingebetzt wird, einen Bruch des Ein¬
glücklicheren Rivalen. Karinski ist nicht der Mann,
A. A.
beitsbewußtseins erleidet und daran zu Grunde geht
diese Niederlage zu ertragen, und rühmt sich im Kaffee
* Deutsches Landestheater. (Aida.
Die Sache entwickelt sich nun, wie sie muß. Nach
hause, daß er es durchsetzen werde, Frl. Riedel zur
Große Oper von Verdi.) Hans Huckebein, mit dem
einem kurzen Zwischenspiel, das uns darüber aufklärt
Theilnahme an einem von den Officieren veranstalteten
Beinamen der Unglücksrabe, welcher für die Auffüh¬
Souper nach dem Theater zu bewegen. Er sendet wie die Lebemänner= und Komödiantenkreise die ganze
rung seines Schwankes einen größeren Zuschauerraum
Affaire in ihre Denk- und Anschauungsweise übersetzen
eine höfliche schriftliche Einladung durch den Piccolo
benöthigt, war für die Besucher der „volksthümlichen
gerathen die beiden Gegner aneinander, Karinski for¬
des Kaffeehauses und erhält — keine Antwort. Nun
Vorstellungen zu ermäßigten Preisen" bereits zum
dert noch einmal Genugthuung, Rönning verweigert sie
wettet er, aufs höchste gereizt, um zwanzig Flaschen
zweitenmal ein Glücksrabe, da er denselben wieder der
und der Officier stürzt auf den Gegner und schießt ihn
Champagner, daß er sein Ziel erreichen werde, wenn
höchst seltenen Genuß einer Oper verschaffte. Während
nieder, ehe dieser zur Wehr greifen kann. Karinski
er sich persönlich zu der spröden Dame bemühe. Er
sich die sämmtliche Räume des Hauses füllende Zu¬
wird den Mord, den er begangen, durch Selbstmord
macht sich auch sofort auf den Weg, kehrt aber nach
hörerschaft am vorigen Sonntage an der heiteren Ope¬
büßen, und das Mädchen, um dessen willen Rönning
einer Weile verstört zurück; denn er fand eine ver¬
schlossene Thüre, und seine laute Anmeldung wie sein gestorben, deutet durch ein einziges Wort an, daß sie „Car und Zimmermann" ergötzte, fesselte dieselbe vor¬
gestern Verdi's Meisterwerk durch den Adel des Stils,
den Halt für das ganze Leben verloren hat.
Pochen war vergeblich. Die Kameraden, die mit ihm
die dramatische Wahrheit und die durch das Sujet
Es gibt immer Beurtheiler, welche in solchen dra¬
gewettet haben, suchen die Sache scherzhaft abzuthun;
bedingte Localfarbe der Musik und nicht minder durch
matischen Fällen gegen den Autor den Vorwurf
aber der aufgeregte Karinski, der ein Opfer sucht
die künstlerische Leistung des Fräuleins Helene de
heftet seine Blicke auf den Nachbartisch, an dem Paul erheben, daß das Problem nicht gelöst sei. Aber der
Tériane, welche in der Titelrolle ihr für drei
Rönning sitzt, und provocirt den jungen Mann, in Dramatiker hat gar nicht die Aufgabe, die allgemeiner
Abende bestimmtes Gastspiel beendete. Ihrer Aida
Probleme der Gesellschaft zu lösen, wie es etwa der
dessen Mienen er ein befriedigendes Lächeln wahrge¬
muß gegenüber der Durchführung der Partien der
theoretische Reformer oder der lehrhafte Verfasser vor
nommen haben will. Rönning antwortet kühl und
Carmen und Santuzza der Preis zuerkannt werden,
Staatsromanen versucht. Dem Dichter handelt es sich
correct, aber Karinski erhitzt sich immer mehr, und be¬
da ihr von dramatischem Feuer erfüllter Gesangsvor¬
darum, des Problem darzustellen, die Widersprüche in den
zeichnet das Mädchen, das seine Gesellschaft verschmähte,
trag und ihre temperamentvolle Darstellung auf einer
Anschauungen der Gesellschaft und in den Gefühlen der In¬
mit einem häßlichen Namen. Da fährt Rönning end¬
hohen Stufe standen und sie die herrliche und schwie¬
dividuen anschaulich zu machen und durch deren tragische
lich auf und versetzt dem herausfordernden Beleidiger
rige Partie in jeder Hinsicht beherrschte und durch
Folgen auf das Gefühl der Zuschauer einzuwirken. Der
einen Backenstreich. Der wüthende Karinski, der ver¬
individuelle Conflict wird zu Ende geführt, der dar¬ eine Kette fesselnder Einzelnheiten einen nicht gewöhn¬
geblich nach der Waffe an seiner Seite sucht, wird von
lichen Eindruck zu üben im Stande war, welcher in
über schwebende allgemeine tritt geklärt zutage und
seinen Kameraden fortgeschleppt, und die Freund¬
den Scenen des dritten Aufzuges in der Arie
wirkt auffordernd in den Gemüthern nach. Solch ein
Pauls stellen sich zur Verfügung, um mit ihm den
„ patria mia, non ti vedro mai pia“ und in der
Stück verdichtetes, aus der Verworrenheit herausge¬
Ehrenhandel zum Austrag zu bringen. Um den Ver
Steigerung des leidenschaftlichen Vortrags in den
lauf dieses Ehrenhandels dreht sich der zweite Act. hobenes Leben kann nichtsdestoweniger erfahrungs¬
unmittelbar folgenden zwei Duos mit Amonaro und
gemäß zu großen Umgestaltungen in der Gesellschaft
Schon früh am Morgen sind die Secundanten Ka¬
Rhadames den Höhenpunkt erreichte. In ihrem durch¬
den Anstoß geben; aber das geschieht nicht durch Lehr¬
rinskis bei Rönning erschienen — und haben den un¬
dachten Spiele war die Auffassung des Charakters der
und Vorschlag, die auf ein ganz anderes Gebiet the¬
erwarteten Bescheid erhalten, daß Rönning nicht daran
gefangenen, in Leidenschaft für den feindlichen Feldherrn
oretischer Arbeit gehören, sondern durch die Macht des
denke, sich zu schlagen. Nun kommen die Freunde des
entbrannten ethiopischen Königstochter mit dem düsteren
Lebendigen, das in seinen treibenden Elementen darge¬
Letzteren, um mit Staunen ein Gleiches zu vernehmen.
Fortgang der Handlung vollkommen im Einklang,
stellt, in seinen ursachlichen Zusammenhängen erfaßt,
Der schwachköpfige Poldi will anfänglich das Unge
Nach dem dritten Aufzuge wurden Fräulein Teriane
auf das Leben bedeutsam zurückwirkt. Nach dieser
heuere nicht glauben und setzt die Miene des verletzten
ein Kranz und ein Strauß überreicht. In der Roll¬
Ehrenmannes auf, da er daran zu glauben gezwungen Seite hin hat Schnitzer seine dichterische Aufgabe ge¬
der egyptischen Königstochter Amneris eröffnete Fräul.
löst; er färbt nicht tendenziös — es war schon die
wird; aber auch der hochintelligente Dr. Wellner kann
Louise Köhler vom Stadttheater in Straßburg ein
Rede davon, daß die Vertreter verschiedener Anschau
das Staunen und die Mißbilligung nicht zurückhalten
kurzes auf ein Engagement abzielendes Gastspi. Die
ungen Wiederhall im Hause fanden — aber er gibt
er versteht zwar den Freund, der sich gegen den Wi¬
Sängerin, eine Wienerin, welche als Elevin an der
den Menschen und Conflicten soviel echte Lebensfarbe
dersinn des Duells sträubt und der sein neu gewor¬
Wiener Hofoper ihre theatralische Laufbahn begann
daß sie überzeugend wirken und daß die Tragik des
neues Leben nicht aufs Spiel setzen will, weil ein
und hierauf in Olmütz engagirt war, besitzt ein dunkles
„Freiwilds" jedem Fühlenden ans Herz greifen muß.
gezüchtigter Excedent ihm an den Leib rücken möchte,
ausgiebiges Organ, welches, wenigstens diesmal, in
Vielleicht hat seine Kunst der Detailmalerei ihn in
aber er ist mit seinem Gefühle auf Seiten der Gesell¬
allzu gleichmäßiger Betonung zu Gehör kam und auch
in diesem Stück vin und wieder verleitet, zu weit in
schaft, die ihre Anschauungen unerbittlich vertritt, und
bezüglich der Abstufungen in der Klangfarbe und eine
Einzelne zu gehen und das pikante Genrebild zu breit
er warnt den jüngeren Genossen, sich in dem Kreise
lebhafteren Vortrags zu wünschen übrig ließ. Da auch
auszuspinnen. Die Mischung von Satire und echte
in dem er bisher gelebt, rechtlos zu machen. Rönning
die Darstellung gemessen und zu rückhaltend war,
Poesie ist in „Liebelei glücklicher als in „Freiwild“
bleibt bei seinem Sinn und findet einen Halt in dem
blieb der Gesammterfolg der Leistung nur auf mit
aber der Dichter spricht auch hier das entscheidende
Mädchen, für das er eingetreten. Sie eilt zu ihm, be¬
lerer Höhe, und es dürfte die Sängerin vielleicht erst
und das letzte Wort, und zumal der zweite Act be
schwört ihn, sich um ihretwillen nicht einer Lebensge¬
bei einem zweiten Auftreten einen sympathischeren Ein¬
zeugt den Dramatiker, der die Fäden straff zusammen¬
fahr auszusetzen, die beiderseitige Erregung drängt ver¬
druck hinterlassen. Neu besetzt war die Rolle des
faßt und zugleich den Schwerpunct der Vorgänge in
borgene Gefühle aus Licht, Rönning begehrt die
Feldherrn Rhadames mit Hr. Elsner, welcher wie
das Innere der Menschen verlegt
Schauspielerin zur Frau, und das Gespräch endet mi
Die Aufführung zählt zu den besten Darbietungen sonst mit der Klangschönheit seines kräftigen und hell¬
dem Entschluß, in einer Stunde gemeinsam den Badeor
tönenden Tenors wirkte und sein feines Gefühl für
unseres Schauspiels. Herr John, der auf dem Ko
zu verlassen und sich nicht mehr zu trennen. Aber uner
das Richtige und Wahre im künstlerischen Gesange
thurn die Sicherheit des Schrittes erst gewinnen muß
wartete Hindernisse treten diesem Entschluße in den
bekundete. Hr. Hunold erzielte als König Amo¬
macht im Gesellschaftsstücke erhebliche Fortschritte; er
Weg. Zunächst erscheint der wohlmeinende Rohnstedt
nasro durch den energischen Ausdruck seines gut phra¬
ist namentlich für Liebhaber, die nicht nur schwärmen,
um durch einen vertraulichen Vorschlag den peinlichen
sirten Vortrags und die würdige Darstellung eine volle
sondern auch sonst einen Beruf und Character haben,
Ehrenhandel doch noch zu einem leidlich befriedigenden