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8. Freiwild
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in merkwürdigen Phantasie=Uniformen, nur mit dem
Unterschiede, daß diese sich in Berlin mehr den öster¬
reichischen, in Wien mehr dem preußischen Zuschnitt
näherten. Die veränderte Uniform genügte indeß nicht,
um über des Autors Absichten hinwegzutäuschen. Er
wollte den besonderen Standpunkt des Officiers
in Ehrensachen, den Duell zwang, in dramatisch
bewegten Gegensatz bringen zu den Anschauungen jener
bürgerlichen Menschen, die unter allen Umständen das
Duell perhorresciren. Wir sagen absichtlich: jener
Civilpersonen, die den Zweikampf absolut verweigern:
denn in dem vom Dichter vorgeführten Falle würde wohl
die Mehrzahl von Männern in Wirklichkeit kaum so ge¬
handelt haben, um das Schauspiel „Freiwild entstehen
zu lassen. Gewiß: der Lieutenant Karinsky ist ein rüder
Poltron, der, seiner Schulden wegen ohnehin vordem schlichten
Abschied stehend, absichtlich in wegwerfendem Tone von einer
jungen anständigen Schauspielerin spricht, um deren stillen
Anbeter, den Maler Paul Rönning, zu reizen. Dieser
versetzt dem Lieutenant vor Zeugen dafür einen Schlag
Für
inclusive
Porto.
100 ins Gesicht, sträubt sich aber unter Anführung von tausend
Zahlbar
Vernunftgründen, dem Beleidigten die geforderte Genug-
im Voraus.
thuung vor der Mündung der Pistole zu geben. Der
Lieutenant, nun in Gefahr, nicht blos wegen Schulden hnitte ist das
schlicht verabschiedet, sondern wegen nicht erreichter Satis steht es den
Abonne faction sogar cassirt zu werden, stellt den mit einem andern.
Terzerol in der Tasche auf den Zusammenstoß vorbereiteten
Maler und schießt ihn in dem Augenblicke nieder, als
dieser abermals jede Genugthuung verweigert und eben
das Terzerol zu seinem Schutze zieht.
Aus dieser Inhaltsangabe ist wohl schon zu er¬
kennen, daß Schnitzler dem Problem zu Liebe zwei crasse
Helden gewählt hat: den über jedes Maß der Erfahrung
rempelnden Officier und den allzu philosophisch angelegten
Rächer einer Frauenehre, der zwar selbst schlägt, aber ein
Feind des Sichschlagens ist und der, aus Liebe zum Leben
einem Zweikampfe ausweichend, die Chance verliert,
möglicherweise seinen Feld todtzuschießen, indem
dieser die Sache nun ohne alle Förmlichkeiten ein¬
seitig besorgt und danach mit den Worten enteilt:
„Der Lieutenant Karinsky weiß, was er nun zu thun
hat." Wenn Arthur Schnitzler eine dramatische Streit¬
schrift wider das Duell verfassen wollte, so ist ihm just
das Gegentheil gelungen, nämlich zu zeigen, daß eine
thätliche Beleidigung unter Männern nach den An¬
schauungen gewisser Stände nur durch Blut gefühnt
werden kann, und zwar durch Mord, wenn der Zweikampf
verweigert wird, so daß der letztere eigentlich als das
geringere Uebel erscheint. Unbequem für die Tendenz
des Autors ist es auch, daß der Zuhörer nicht im
Stande ist, sich im Gemüthe vollständig wider
den Officier zu erklären und die Partei des Anderen
zu nehmen, weil eben trotz der Provocation die
Ohrfeige ein furchtbares Züchtigungsmittel ist, das mit
Rücksicht auf den Stand des Betroffenen dessen verzweifelte
That einigermaßen erklärlich scheinen läßt.
So sind wir denn am Schlusse so klug wie zuvor.
„Freiwild“ wird der Welt nicht einen Zweikampf ersparen,
im Gegentheil, es kann Rencontres kleinerer Art sogar
herbeiführen. Die Leidenschaftlichkeit, mit der gestern
einzelne Stellen wider das Duell beklatscht wurden,
hinderte nicht, daß ebenso laut wieder andere Stellen
acclamirt wurden, die von der Pflicht handelten, eine thätliche
Mißhandlung auch persönlich zu vertreten. Es saßen also zwei
Parteien im Theater, die Einen für, die Anderen gegen
das Duell, ganz wie im Leben und ganz wie auf der
Bühne oben. Dem Dichter gebührt jedenfalls die Aner¬
kennung, daß er diesen Zwiespalt richtig personificirt und
namentlich in der Schilderung des Provinzkomödianten
thums ein meisterliches Milieu geschaffen hat. Der erste
Act, in dem sich dieses entwickelt, hatte denn auch den
größten Erfolg. Nach dem zweiten und dritten Acte er¬
schien Herr Schnitzler einigemale, um für den Beifall zu
danken.
Die Darstellung von modernen Stücken wird im
Carl-Theater immer klarer und runder. Es sind da einige
Schauspieler von hervorragender Begabung, wie der
liebenswürdige, heitere Korff, der schneidig=charakteri¬
stische Reusch, der zum Herzen sprechende Meyer¬
Eigen, der stets glaubhaft sich selbst gebende Klein,
gar nicht zu sprechen von Tewele und den Herren
Natzler und Czasta. Auch die Frauen fügen sich gut
in den erfreulich höheren Ton, der im Ganzen angeschlagen
wird. Es ist ein gutes Schauspieltheater mehr je
in Wien.