Faksimile

Text

Fr.
8.
box 14/4
wild
chnitt aus
am Mittag, Berlin
UN 19
Schillertheater Charlottenburg.
Arthur Schnitzlers Schauspiel „Frei¬
ild", das gestern über die Bretter des Schiller¬
heaters ging, hat bei dem Publikum, das aus
sen kulturellen Elementen des Berliner Bürger¬
ims sich zusammensetzt, die Empfindungen aus¬
gelöst, die in der Absicht des Dichters lagen. Es
galt, die treibenden Kräfte des Duellwesens in
ihrer vollen Brutalität zu zeichnen und ihnen
den Mut des Mannes gegenüberzustellen, der
sich seiner Würde bewußt ist. Freilich, wo der
Dichter sich verzeichnet hat, konnte weder die
Kunst der Regie noch die der Darstellung das
Bild verbessern. Das betraf in erster Linie die
Rolle des Oberleutnant Karinski, dem der Dichter
vergeblich einen gewissen Heroismus unterstellen
wollte. Dieser Spieler, Schuldenmacher und
Rowdy ist in Wahrheit ein erbärmlicher Feig¬
ling, der sich für sein verkommenes Leben einen
theatralischen Abschluß sucht. Karl Noack wurde
der Rolle so gerecht, wie es eben möglich war,
aber das „Satanische“ kam nicht heraus, weil
es nicht darin liegt. Aehnlich steht es mit der
Rolle des Gegenspielers, die von Conrad Wiene
gegeben wurde. Es fehlt die Konsequenz, wenn
ein anständiger Mensch glaubt, sich von einem
Rowdy über den Haufen schießen lassen zu
müssen. Leonore Ehn fand für die schwie¬
rige Darstellung der sich wehrenden Tugend die
rechten Töne und Gesten. Die übrigen Rollen
spielten Otto Letron, Karl Elzer, Fritz
Achterberg, Lavie Euler und Fessi Gold
mit feinem Verständnis. Als Direktor des
Sommertheaters betrat wieder einmal Herr
Pategg die Bretter und zeigte seine bewährte
Meisterschaft. Der Beifall war groß und die
Parteinahme des Publikum für die Tendenz
des Schauspiels offensichtlich,
.
vonne Gewähr.)
Berliner Börsen Courier, Berlin
Ausschnitt aus:
Abendausgabe
Juni 1913
vom
Theater und Musik
„Freiwild" im Schiller-Theater
Charlottenburg.
Eines der schwächeren Stücke Arthur Schnitzle
das in den siebzehn Jahren seit seiner ersten Auf¬
führung nicht eben besser geworden ist, fand gestern
abend beim zahlreich versammelten Stammpublikum
des Charlottenburger Schillertheaters starken Beifall.
„Freiwild“ ist im Grunde in der weniger erfreu¬
lichen Bedeutung des Wortes ein roh gezimmertes
Volksstück, das sich vor anderen Stücken dieses un¬
bedenklichen Schlages durch die Abwesenheit des Ge¬
sangs, durch ein sauberes Deutsch und die besondere
Note Schnitzlers, eine gewisse zwischen Witz und Me¬
lancholie schwankende Nonchalance, auszeichnet. Dieser
wienerischen Blütenstaub über dem Tendenz= und
Thesenstück hat das Schillertheater in seiner Auffüh¬
rung nicht eben zart behandelt, so daß der grobere
Staub, den die Zeit über solche Zeitstucke zu legen
pflegt, recht sinnfällig wurde. Es ist bekannt, wie
das Stück in einer sehr einfachen Handlung, die gute
Gelegenheit zu moralpolitischen Gesprachen gibt, zwei
Probleme ineinander verstrickt; die Frage des Duells
und die Lage der kleinen Schauspielerinnen. Beson¬
ders die spielerisch huschende und doch stereotyp char¬
gierte Art, wie dieses letztere Problem resolut und doch
schwächlich im Theater verwandelt ist, mutet heute
schon nicht im geringsten mehr ätzend an, sondern eher
wie ein Stück Sozialkritik aus der Postkutschenzeit
Daß das Stück sich trotzdem und trotz der gerade diese
Züge besonders hervorhebenden, nicht eben sein
nuancierten Aufführung als wirksam erwies, ver¬
dankt es der guten Erfindung, dem klaren und durch¬
sichtigen Aufbau und dem Dialog mit der Liebens¬
würdigkeit Schnitzlerischer Sprachkunst, banale und
schwächliche Gedanken witzig, grazios und schlagkräftig
einzukleiden.
Leonore Ehn gab die Naive, die ihre Mädchen¬
ehre verteidigen muß, mit lieblichem Ernst: Karl
Noacks Oberleutnant war im ersten Akt zu finster,
grimmig, hart, zu wenig wilder Draufganger; doch
wird mir berichtet, daß er im Schlußakt, den ich nicht
mehr sehen konnte, in echter Verzweiflung lebendig
gewirkt habe. Conrad Wiene war ein etwas
zarter, aber gut sprechender Verfechter der Unschuld
und der Thesen, und Max Pategg schmiß den
Schmierendirektor kraß hin und unterstrich das schon
mehr als genug Unterstrichene überdeutlich.
G. L.