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8.1
box 14/4
wild
schnitt aus meine Zeit
93
m:
Schiller-Theater Charlottenburg.
Arthur Schnitzlers dramatisch star¬
de
i
gestern eine überaus dankbare Gemenos gefun¬
den, die besonders nach dem Mittelakt mit seinem
scharf zugespitzten Dialog, der die Verwerfung
des Duells motiviert, ihrem Beifall begeisterten
Ausdruck gab.
Der starke Applaus war um so gerechtfertigter,
als sich gerade in diesem Akt die Hauptdarsteller
auf der Höhe befanden, schlackenlos in ihren
Leistungen. Herr Wiene, der zuvor seinen
Paul Röming ganz unbegründet auf den Ton
erkältender Wehleidigkeit gestimmt hatte — nach
des Dichters Worten soll es ja ein glücklicher,
junger Mann sein —, Herr Wiene stand in dem
Mittelakt, in dem er auf seiner Ablehnung des
angetragenen Zweikampfes beharrt, mit bestem
Gelingen auf seinem Platz. Er war überzeugend
in dem Dialoggeplänkel mit dem Oberleutnant
Rohnstedt, der in Otto Letroe einen ausge¬
zeichneten Vertreter fand. Der Dritte im Bunde,
Karl Elzer, war als Badearzt, der die Duel¬
gegnerschaft des Freundes nicht anerkennt, von
wohltuender Schlichtheit und Natürlichkeit. Er
bewies mit dieser Leistung, daß er mehr kann,
als nur den Komiker mimen. Als Schauspielerin
Anna Riedel, das „Freiwild“, fesselte Leonore
Ehn, die in dem stummen Liebesspiel des
zweiten Aktes gute Begabung verriet. In den
kleineren Rollen des von Dr. Willy Becker
sorgsam inszenierten Schauspiels bewährten sich
Lucie Euler und Direktor Pategg, der
seinen kleinen Sommerdirektor mit einem Pathos
von unwiderstehlicher Komik herausbrachte. Aber
eine der Hauptpersonen versagte. Der leicht¬
sinnige, aber doch nicht schlechte Oberleutnant
Karinski wurde in Karl Noacks Gestaltung
zum düsteren Intriganten der hohen Tragösse.
Jago, in österreichischer Leutnantsuniform.
1. J.
Ausschnitt aus aus Preussische Zeitung, Ber¬
vom
ja
Arthur Schnitzlers „Freiwild", diese Erledigung der Duel¬
frage nach wennerischer Ofen als ginge es um die Vertilgung
eines Apfelstrudels, wurde gestern im Charlottenburger
„Schillertheater“ wieder aufgenommen, nachdem fast
zwanzig Jahre lang niemand nach den Erkenntnissen des Schau¬
siels gedrängt hatte. Die menschlichen und moralischen Werte
dieser Komödie werden so verteilt, daß der Beleidigte von vornherein
In Lump ist und der Beleidiger in philosophischen Exkursen machen
darf. Freiwild, das ist das Schauspielermilien, aus dem die Ver¬
wicklungen gesellschaftlich und sittlich entfesselt werden, gegenüber dem
im Ehrenkoder festgewurzelten Offizier. Wer kneist, darf triumphieren,
und der andere, der nur den Feigling niederknallt wie der Ober¬
leutnant Kaminski, wird zum Mörder. Die Schiefheiten der
Komödie wurden nicht ausgeglichen durch ein in seiner Selbstver¬
ständlichkeit charmantes Spiel. Vom Oberleutnant bis zum Piccol¬
nahmen die Darsteller die Sache furchtbar tragisch. Sie machten sie
dadurch, daß sie sie zu norddeutsch anfaßten und sich nicht in den
schwankeren Graden österreichischer Weltanschauung verlaufen
ließen, für uns nur unwahrscheinlicher. Bei Schnitzler kann nur die
Betonung aller Sentiments die Lage retten.
Ausschnitt ner Bösen Zeitung, Berlin
Morgenausgabe
om
1913
Kunst und Wissenschaft.
Das Schiller-Theater ist diesmal seiner
alten Gewohnheit, die Saison mit einer Schwank¬
Der Lustspiel-Novität zu schließen, untreu
geworden und hat gestern in seinem Char¬
lottenburger Heim Schnitzlers dreiaktiges Schau¬
spiel „Freiwild“ zur Aufführung gebracht, das
Ende der neunziger Jahre längere Zeit dem
Repertoire des Deutschen Theaters angehörte. In
diesem Schauspiel wird bekanntlich — innerhalb
eines modernen Wiener Miliens — die ewig aktuelle
Duell-Frage behandelt, der selbstverständlich auch
Arthur Schnitzler eine erschöpfende Antwort nicht ge¬
funden hat. Die Kluft, die zwischen dem gesellschaft¬
lichen Ehrenkoder und dem allgemein menschlichen
Empfinden gähnt, ist nun einmal unüberbrückbar und
so hat denn bisher noch jedes Bühnenwerk, das sich
mit diesem Konflikt beschäftigte, mit einem Frage¬
zeichen geendet, auch Schnitzlers Freiwild“, denn
wenn Schnitzler hier die Duell=Gegner den kürzeren
ziehen läßt, sich also für die Berechtigung des Duells
erklärt, so sind die Gründe, die er für seine Ansicht ins Feld
führt, noch keineswegs für jedermann einleuchtend
oder gar überzeugend, ja, der Schluß der Handlung
— der Maler Rönning wird von dem schuftigen
Leutnant Karinski, dem er „Satisfaktion" zu geben
sich weigert, einfach niedergeknallt — ist recht will¬
kürlich und ohne zwingende Logik.
Dank der verständnisvollen Darstellung, die dem
Stück gestern im Schiller=Theater Charlottenburg zu¬
teil wurde, übte der dem dortigen Publikum
im Grunde etwas fernliegende Stoff trotz¬
dem auch hier seine volle Wirkung. Herr Wiens
hätte den Rönning wohl etwas selbstbewußter, überlegener
fassen können, aber kaum frischer und natürlicher, und
Leonore Ehn (Anna Riedel) war als vielbedrängte
Bühnennovize, als gehetztes „Freiwild“ mit ihrer
verständigen und doch von kräftigem Leben
erfüllten Art ganz in ihrem Clement. Das
militärische Trio war durch Herrn Noack, der den
Karinski allerdings etwas auf den gewöhnlichen
Theaterbösewicht hinausspielte, und die Herren Latron
und Foerster vertreten, von denen der letztere als
Husarenleutnant Vogel den beschränkten „guten Kerl
mit diskretem Humor vortrefflich charateresierte. Unter
den sonstigen Episodenrollen trat noch Herrn Pateggs
industriöser Theaterdirektor hervor, der Mann mit
der defekten Schmierenmoral, den man hier in Miene
und Haltung ebenso treffend wie belustigend ver¬
anschaulicht sah.
Gleich der Darstellung hatte auch die Regie, wie
das flotte, sichere Zusammenspiel und das geschmack¬
volle szenische Arrangement in den einzelnen Akten
bewies, redlich das Ihrige getan, um dem Schnitzler¬
schen Drama den gleichen Erfolg zu sichern, den es
seinerzeit im Deutschen Theater erzielt hatte, Anen
Erfolg, der in wiederholten lebhaften Beifallsaus¬
brüchen des Publikums seinen entsprechende Aus¬
druck fand.