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Aus den Berliner Theatern.
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jetzt von einer langen Reise zurückkehrt,
starken Begabung für das theatralisch Wirk¬
erfährt er zu seinem Entsetzen die Ver¬
same, für den Bühneneffekt zuschreiben wollte.
lobung und sieht in ihr ein unsagbares
Die Vorzüge des Schauspiels beruhen viel¬
Unglück für das geliebte Wesen. Er ver¬
mehr in der scharfen, glücklich durchgeführ¬
langt, daß Gotter zurücktrete, er sucht ten Charakteristik der meisten Gestalten, be¬
ihn unter Hinweis auf jenen Revers zu
sonders Gotters und des korrekten Assessors,
zwingen; Gotter dagegen pocht trotzig
dann aber vor allem in einem überaus
auf das ehrenwörtlich gelobte Schweigen.
natürlichen, ungemein flüssigen, an seinen
Schon ist Burkhardt fest entschlossen, sein Pointen reichen Dialog.
Ehrenwort zu brechen, er erbittet aber vor¬
Über die übrigen Theater der Reichs¬
her die Zustimmung der beiden Mitver¬
hauptstadt lohnt es, nach den wohlver¬
pflichteten. Der eine derselben, ein vor= dienten Mißerfolgen, die ihnen bis zum
trefflich gezeichneter korrekter Assessor, er¬
Dezember wurden, nicht zu berichten.
klärt mündlich, daß er nie zustimmen könne;
Ich müßte denn über die Erfolge einer
der zweite, ein außerhalb lebender Arzt,
Sorte von Stücken in der Art der „Wilden
telegraphiert, daß ein Ehrenwort unwider¬
Sache" schreiben wollen, in der sich das
ruflich sei. In einer ungemein packenden
liebe Publikum des Centraltheaters allabend¬
Scene versucht der Assessor jedoch auf das
lich weidlich darüber amüsiert, wenn sich
Ehrgefühl Gotters einzuwirken, ihn zum abwechselnd Fräulein Worm und Herr Tho¬
freiwilligen Rücktritt zu bewegen; Gotter
mas auskleiden; daß in der Ausstattungs¬
geht scheinbar darauf ein, entlockt Burkhardt
farce nicht nur der urkomische Thomas,
den Revers, als den Beweis seiner Schuld,
sondern auch der Verstand schlafen geht, thut
und trotzt nun erst recht auf. Es kommt ja nichts zur Sache. Übrigens zählt zu den
zwischen ihm und Burkhardt zum Duell,
Spezialitätenkünstlern des Centraltheaters
in dem letzterer schwer verwundet wird.
ein kleines Fräulein Caß, um die es schade
Bis hierher ist das Schauspiel vor¬
ist. In dem zierlichen drolligen Persönchen,
trefflich. Leider bringt der letzte Akt aber
das mit gleicher Virtuosität mimt, singt
eine Enttäuschung — keine Lösung des und tanzt, steckt das Zeug zu einer wirk¬
ganzen Problems, sondern einen richtigen lichen Soubrette.
Theaterschluß. Derselbe Arzt, der Tags vor¬
Am meisten schmerzt es mich, nicht von
her ein Ehrenwort als irrevokabel bezeichnete,
einem Erfolge im Schauspielhaus berichten
erscheint am Krankenbett und zwingt Gotter zu können. Das Schauspielhaus besitzt
durch die Drohung, das Geheimnis preis¬
nicht nur in Herrn Grube einen der aus¬
zugeben, zum Abzug. Herr Hartleben hat
gezeichnetsten Regisseure Deutschlands, es
dafür eine besondere umständliche Moti¬
verfügt auch gerade jetzt über eine Fülle
vierung erfunden, weil er wohl selbst die von schauspielerischen Kräften ersten Ranges.
Schwäche dieser Wendung empfand. Auch
Fast jede Aufführung eines klassischen Werks
der Arzt hatte einst sein Wort verpfändet,
beweist das eine, wie das andere. Aber die
seiner Braut gegenüber, ist aber durch Um¬
Novitäten, welche die Königliche Bühne
stände gezwungen worden, sie zu bitten
brachte, sind wirklich keiner ernsten Würdi¬
es ihm zurückzugeben. Jetzt spielt sie, des gung wert. Zu bedauern sind die armen
Assessors Schwester und Burkhardts Gön¬
Künstler, die immer wieder gezwungen wer¬
nerin, dies gegen den Arzt aus und ver¬
den, ihr reiches Können auf die unfrucht¬
anlaßte ihn so zu seinem energischen Auf¬
barsten und undankbarsten Aufgaben zu ver¬
treten gegen Gotter. Es liegt auf der wenden. Man zuckt die Achsel, man spricht
Hand, daß der Autor damit nur eine rein
entschuldigend von „Rücksichten," welche die
äußerliche Erledigung des Konflikts erzielte.
Leitung des Schauspielhauses zu nehmen
Meines Erachtens sind es indessen weder
habe. Wohl möglich — leider! Ich sollte
das behandelte Problem, noch die Fabel,
aber meinen, mit aller Rücksicht ließe sich
die dem Schauspiel zu seinem schönen Er¬
die Einsicht verbinden, daß es immer noch
folge verholfen haben. Auch würde ich es besser wäre, sich ganz auf das alte Repertoir
für ungerecht halten, wenn ich diesen ledig zu beschränken, als eine Reihe von neuen
lich der sich in dem Stück offenbarenden
Nichtsen auf die Bretter zu bringen.
Velhagen à Klasings Monatshefte. XI. Jahrg. 189697. I. Bd.