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Liebelei
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5. Mennnnn cen
Telephon 12.801.
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„OBSENVER
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplats 4.
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in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cieveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minncapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Ouellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
eager Rauests Nachiiehter
25 1 1911
vom:
Theater und Musik
Berliner Oper. Die dreiaktige Oper „Liebe¬
„kei“ des Frankfurter Theaterkapellmeisters Franz
Neumann ging hier in der Komischen Oper,
wie schon telegraphisch gemeldet, unter tumultuari¬
schem Beifall zum ersten Male in Szene. Wie
bereits von anderer Seite den Lesern der Münchner
Neuesten Nachrichten mitgeteilt wurde, hat der
Komponist das bekannte Stück von Artur Schnitzler
fast wortgetreu in Musik gesetzt.—Die Schnitzter¬
sche Dichtung welche vor mehr als 10 Jahren über
beinahe sämtliche Bühnen des In= und Auslandes
ging, wirkte, abgesehen von der feindifferenzierten
Psochologie des Stoffes, nicht zum mindesten durch
den zierlich geschlifsenen Dialog. der bei aller ge¬
legentlichen wienerischen Alltäglichkeit des Aus¬
drucks dem Milien der Handlung jene Intimität
verlieh, die der tragischen Liebesgeschichte den be¬
sonderen Unterton verlieh. Die ästhetisierende
graziöse Plauderkunst Schnitzlers musikalisch aus¬
zudeuten, ist ein Unterfangen, das selbst in kon¬
genialer Vertonung komisch anmuten muß. Nun
ist aber Franz Neumann alles andere, nur kein
genialer Tonsetzer. Er ist ein guter Musiker, der
alles gelernt hat was man füglich lernen kann, der
sich in den Partituren seiner komponierenden Kol¬
legen fleißig umgesehen und anscheinend den Jung¬
italienern, insbesondere Puccini eine große Liebe
entgegenbringt. Mit diesem Können, mit dieser
von der Musiksonne Italiens mehr oder weniger
beschienenen Phantasie ist Franz Neumann diesem
und hat all die Zierlichkeiten der Schnitzlerschen
Sprache, all die aus dem Milieu heraus geborenen
Platituden musikalisch faustdick unterstrichen und
vergröbert. Daß dadurch der Stimmungszauber
der Dichtung vollständig in die Brüche gehen mußte,
ag auf der Hand, daß aber durch die alles brutali¬
ierende Komposition den handelnden Personen,
nsbesondere der Christine, eine ganz andere Phy¬
iogriomic gewaltsam aufgedrückt wurde, das war
ärgerlich und ist auf alle Fälle verurteilenswert.
Diese Oper hat für die Kunst und ihre Entwick¬
lung keinen Wert, doch verdient sie unser Interesse
deshalb, weil sie mit drastischer Deutlichkeit die
Kunstgattung „Oper“ als das Produkt der Lüge
geißelt die es wirklich ist. Möglich ist es, daß dieses
Moment dereinst eine Erinnerung an diese thea¬
tralische Eintagsfliege zuläßt. Die Aufführung
selbst war gut. Es war die letzte Inszenierungs¬
leistung des Direktors Gregor, dessen Abgang von
hier trotz seiner kontramusikalischen, andexerseits
aber außerordentlich ideenreichen Regiekunst leb¬
haft bedauert wird.
Adolf Göttmany
Berlin. „asabangen Oe fanba.
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Ansschultt aus:
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ven: 25 Jl 191PuSRaHsene Welt
Berlin
Aus Berlin.
Franz Neumann's „Liebelei“ kam am letzten
Komische Oper
Freitag in der Komischen Oper zur Aufführung.
Neumann's „Liebelei“.
Nach den kritischen Betrachtungen, die Hugo
Schlemüller in Nr. 39 und Karl Wolff in Nr. 51 des vorigen Jahrgangs
dieser neuen Oper gewidmet haben, bleibt hier wenig zu sagen übrig. Franz
Neumann ist ein geschickter Musiker, leidet aber besonders stark unter den
Nachteilen dieses Vorzugs. Er ist eben so geschickt, dass er garnicht merkt,
wie leicht er sich die Sache macht. Ihm schwebte das Ziel eines deutschen
Opern-Konversationsstils vor, zudem hatte ihm wohl die leichte Grazie von
Puccini's „Bohème“ — mutatis mutandis. — als Nachahmungs-Möglichkeit vor¬
geschwebt, und so begann er die Worte des Arthur Schnitzlerschen Dialogs so
unbekümmert durchzumusizieren, wie man in übermttiger—Läune auch eine
Komposition der Speisekarte improvisieren mag. Seine treffliche Orchestrations¬
technik und sein an und für sich gesunder musikalischer Sinn liessen ihn die
gefährlich nahen Klippen der Geschmacklosigkeit umschiffen, aber zu Fein¬
sinnigem und Bedeutungsvollem konnte er auf dem eingeschlagenen Wege erst
recht nicht kommen. Wo die Dichtung ihn zum Rührenden zwingt, worsie in
aller Einfachheit doch eine echte tragische Note verlangt, wird des Komponisten
Attitude vollends ganz Hohlheit, und der Orchestersatz zwischen dem zweiten
und dritten Akt muss selbst dem Nachsichtigen als vollendeter „Kitsch“ er¬
scheinen, Trotzdem, oder auch deswegen, wird die Oper „Liebelei“ auf einen
Zeit lang ihr Publikum finden.
An dem bescheidenen Masstabe unserer Komischen Oper gemessen, wary
die Aufführung nicht schlecht, nur dass Maria Labia als Christine ganz und gar¬
nicht am Platze war. Diese gewaltsame tragische Pose sucht man gewiss
unter sämtlichen Wiener Musikantentöchtern ganz vergeblich. Und zu welch'
einer harten, unangenehm-metallischen, explosiven Tongebung hat der vierjährige
Dienst an der Komischen Oper die einst schöne, hoffnungsvolle Stimme der
Labia erzogen! Am besten trafen den leichten Ton der Schnitzlerschen Dichtung
Susanne Bachrich als Mizi und Richard Wissiak, an die der Komponist keine
besonderen gesanglichen Anforderungen stellt. Herr von Reznicek dirigierte
mit Hingebung. Für die Inszenierung zeichnete Hans Gregor, also war er wohl
auch für das helle Tageslicht verantwortlich, das im zweiten Akt, der doch am
Abend spielt, durch die Scheiben strömte. Und dabei pflegt doch grade die
halbdunkle Bühne sonst Gregors Vorliebe zu sein.