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5. Liebelei
„ra
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Posten stets mit einer unverkennbaren künst¬
lerischen Mannhaftigkeit zu behaupten verstanden
und er hat manchem bedeutsamen Werke den
Weg in die Oeffentlichkeit gebahnt. Es sei nur
an Hugo Wolffs „Corregidor“ erinnert. Ohne
Herrn Gregors mutiges Eingreifen wäre die
Stagnation auf dem Gebiete der modernen
Oper eine vollständige hier in Berlin gewesen,
denn von unserer königlichen Opernverwaltung
ist leider so gut wie nichts zu erhoffen. Leider
muß man es aber, bei aller Anerkennung für
Gregors unermüdlichen Eifer, aussprechen, daß
er mit dieser seiner letzten Wahl nicht gar zu
sehr vom Glücke begünstigt war. Herr Franz
Neumann hat den Versuch gewagt, Schnitzlers
vielgespieltes Stück „Liebelei“ in die Opernform
— wie das lieb¬
umzuschmelzen, zu „vertonen“
liche neumodische Wort lautet. Und das war
ein arger Mißgriff. Es war aber auch gar
nicht anders zu erwarten, als daß solch ein
Versuch mißlingen mußte. Denn die Voraus¬
setzung, ein Werk wie Schnitzlers „Liebelei“ so,
wie das eben geschah, zur Grundlage für eine
Oper zu machen, ist und bleibt eine glatte Un¬
möglichkeit. Es widerspricht der Natur der
Dinge, einen modernen Bühnendialog wörtlich
ins Musikalische zu übertragen.
Solange die Komponisten diesen Kardinal¬
irrtum bei ihrem Schaffen nicht einsehn, werden
sie steis in solche musikalische Ungeheuerlichkeiten
verfallen müssen, wie sie Herrn Franz Neu¬
mann begegnet sind. Wort und Ton sollen ein¬
ander decken. Dieser gewiß unbestreitbar richtige
Satz, von dem Richard Wagner ausging, ist von
den meisten unter seinen Nachfolgern grausam
mißverstanden worden und dieser Umstand wurde
für sie geradezu fatal. Er führte dann zu den
musikalischen Bizartereien und Monstrositäten
des sogenannten Verismus. Richard Wagner
schuf sich für seine Musikdramen gewissermaßen
eine eigene Sprache, eine Musiksprache. In der
schöpferischen Vorstellungskraft dieses genialen
Kopfes trat das Wort als solches niemals ge¬
sondert hervor, sonvern es war schon im Moment
seines Entstehens als die Unterlage für den Ton
So wurde unter Wagners künstle¬
gedacht.
rischem Empfinden aus Wort und Ton ein
organisch = zusammengehöriges neues Ausdrucks¬
mittel. Wie anders, sobald ein Dichter wie
Artur Schnitzler ein Bühnenstück schreibt, bei dessen
Abfassung er nicht entfernt an eine musikalische
Verwertung denkt, wenn alsdann plötzlich einem
Musiker die Lust anwandelt, eine Oper daraus
zu gestalten. Dann ist es unausbleiblich, daß
entweder der Dichtung oder der Musik Gewalt
angetau wird. Vor lauter Streben nach ver¬
meintlicher Kunstwahrheit in der Musik
unentrinnbarer Notwendigkeit
wird mit
die schlimmste Kunstunwahrheit. Herr Franz
Neumann hat in und mit seiner Oper
geradezu ein klassisches Schulbeispiel dafür ge¬
liefert, wie so etwas nicht gewagt werden dürfe.
Und dabei ist der Komponist nicht etta ein
talentloser Mann, nicht eben ein schlechte
Er versteh
Musiker. Ganz und gar nicht.
zum mindesten sein Kunsthandwerkszeug vor¬
trefflich zu gebrauchen, er weiß mit der Bühne
sehr gut Bescheid. Allein das Wesen der Musik
ist seinen Absichten ganz und gar zuwider. Er
mußte an den Klippen zerschellen, trotz aller
Mühen, die er sich gab, um sein Fahrzeug auf
die hohe See des reinmusikalischen Empfindens
und Gestaltens sozusagen hinausgelangen zu
lassen.
Das alte Opernschema war wirklich in seiner
Naivität noch unvergleichlich natürlicher, an¬
nehmbarer als dieser neumodische Eiser, emp¬
findungswahr in der musikalischen Zustands¬
malerei sein zu wollen, der dann zu den schauder¬
vollsten Naturwidrigkeiten unvermeidlich führen
muß. Aber vielleicht nähern wir uns bereits in
der Entwicklung dem ablaufenden Stadium
dieses Irrweges im Gebiet des musikalischen
Schaffens. Zu wünschen wäre ed auf das
Innigste. Am wenigsten glückte unserem Kom¬
ponisten in seinem Werke die charakterisierende
Gegenüberstellung des lässigen, leichtlebigen
wienerischen Verbummeltseins und der herben
Tragik auf der anderen Seite. Und selbst
wenn die Darstellung den Absichten des Kom¬
ponisten sich williger erwiesen hätte, als es diesmal
der Fall war, sie hätte über diesen inneren
Mangel des Werkes nicht hinwegzutäuschen ver¬
mocht. Schade, daß so viele Sorgfalt in der¬
Inszenierung an eine so wenig hoffnungsreiche
Angelegenheit gewendet worden ist.
Berlin, den 22. Januar. Eusebius.