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Liebelei
5.— box 12//3
*6 S Taliner Morgenpost, Berlin
S
Terater, Kun und
Wissenschaff
Se un ennmneneee
Ein Schnitzler-Abend.
„Liebelei“ im Neuen Volkstheater.
Zur Feier von Arthur Schnitzlers
fünfzigstem Gabfirtstag brachte gestern das Neue
Volkstheater als (eine der wenigen Berliner
Bühnen, die sich nicht um diese Ehrenpflicht
herumdrücken, Zzwei der interessantesten Bühnen¬
zwerke des österreichischen Dichters heraus. Di¬
rektor Lichb hatte für diesen Tag „Liebe¬
lei“ um „Literatu““ neu einstudiert. Und
wie m#a von dieser Bühne, die sich so große
Verdierste um die Bildung des Volkes erworben
hat, in letzter Zeit nur Gutes melden konnte,
so out auch der gestrige Abend wieder einen
künstlerischen Genuß und bewies, mit wieviel
Geschmack und Verständnis das Theater in der
Köpenicker Straße geleitet wird.
Schnitzler, der Dichter des lieben Wiener Mä¬
dels, des echten Schnitzler=Mädels, hat in diesem
prachtvollen Dreiakter, den er „Liebelei“
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# SPri Hinh.
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Arthur Schnitzler.
nennt, die reizenöste Vertreterin dieser seiner
zarten Geschöpfe gezeichnet. In Christine, die
im Herzen des jungen Fritz Lobheimer nach einer
langen Reihe seiner Liebeleien endlich die reine
Liebe erweckt, ist eine Gestalt geschaffen, die
zu dem Unvergänglichsten gezählt werden muß,
was die moderne Literatur kennt. Martha
Angersteen lieh-ihr in der gestrigen Auffüh¬
rung ihre ganze Anmut und ihre ganze reife
Kunst. Ihr Partner, Johannes Riemann,
fand den rechten Ton für die heiteren und tief¬
tragischen Seiten seiner Rolle. Aurel Ro¬
wotny und Else Bäck zeigten, wie ein Wiener
verliehtes Pürchen lacht, m#ilt und busselt, und,
das war sehr nett. Robert Müller machte aus
der kleinen Rolle des Violinisten Weising ein Ka¬
binettstückchen. Schabe, boßer uns bald verläßt.
Eröffnet wurde der Abend mit der witzigen
Charakterkomödie „Literatur“, in der der
Verfasser die drei köstlichen grundverschiebenen
Typen eines aristokratischen Stutzers, eines
größenwahnsinnigen Literaten und eines leicht¬
sinnigen Weibchens gegeneinander ausspielt, die
nan Bella Wagner, Aurel Nowotny und“
Robert Müller vorzüglich nachgezeichtet
anähg.s # mnnedtrtag Bes.
wurden.
——
zum wuchtigen, aufrüttelnden Drama erwächst,
wie sich hier aus einer Einzelepisode der gran¬
diose Sturm eines weltgeschichtlichen Moments
emporringt, das gehört zum Packendsten, was
die moderne Dichtung hervorgebracht. Georg
Paeschke, Richard Wirth, Hans F. Ger¬
hard, Heinz Bernecker, Conrad Wiene
und Else Wasa machten sich um die Wieder¬
M. L.
gabe sehr verdient.
Zwei Novitäfen in der Karstiessen - Oper.
Die Kurfürsten=Oper hat gestern zwei Ein¬
akter von Erik Meyer=Helmund zum
ersten Male aufgeführt: eine Mitternachteszene
„Traumbilder“ und eine „lustige Episöde“.
„Taglioni“ nach einer wahren Begebenheit.
Als Autor der „Traumbilder“ bezeichnet der
Programmzettel Heinrich Heino
Wirklichkeit sind da einige Gedichte Heines aus
dem Traumbilder=Zyklus zusammengefügt. Die
Gestalten aus diesen Gedichten, der Spielmann,
der Taschendieb, der Junker und andere, ent¬
steigen mit dem Schlage der Mitternachtsglocke
ihren Gräbern und singen ihr Liedlein, nach¬
dem als Einleitung vorher Heine in Person
kundgetan hat, daß er aus seinen großen
Schmerzen seine kleinen Lieder mache. Was
nun bei Heine als Ausdruck des Grotesken, des
in seiner Schauerlichkeit Bizarren gemeint ist,
wird hier in dieser „Mitternachtsszene“ zur ge¬
fühlsduseligen Sentimentalität umgeformt.
Meyer=Helmund war ja von jeher, auch in der
Zeit seiner großen Volkstümlichkeit, der Typus
des
„schmalzigen“ von lyrischem Honigseim
überfließenden Musikers, und die Jahre haben
sein innerstes Wesen offenbar nicht verändert.
Denn so wie die Zusammenstellung der Ge¬
dichte, die er hier vertont hat, bsweist, daß es
ihm immer noch nur um die Erzielung billiger
Effekte zu tun ist, so ist auch die Musik zu diesen
Texten schlimmste Marzipanmusik, süß bis zur.
Widerlichkeit, unmöglich in unserer heutigen
Zeit, abgestanden und innerlich von Unnatur an¬
gefressen. Ist es überhaupt möglich, daß ein
Musiker heute noch derart empfindet? Wie kann
alles, was in den letzten fünfzehn Jahren sich im
Reiche der Musik ereignete, so völlig spurlos an
einem schaffenden Musiker vorübergehen, ohne
ihn wenigstens zum Nachdenken zu veranlossen?
Wer sich so völlig in eine abgestorbene Welt ver¬
senkt, wie Meyer=Helmund es tut, hat uns
absolut nichts mehr zu sagen!
Nicht besser ist das zweite Stückchen „Ta¬
glioni“. Da wird gezeigt, wie die berühmte Tän¬
zerin Taglioni auf einer Reise in Rußland von
einem Räuber gefangen wird, und wie dieser
sentimentale Bandit keine anderen Sorgen het,
als sich von der Künstlerin etwas vortanzen zu
lassen. Auch hier wieder die gleiche Musik von
unerträglicher Süße, auch hier abermals die ab¬
gebrauchten Mittel, die Zuhörer durch musika¬
lisches Mondscheingeflimmer in falsche Rührung
zu vorfetzen! Rein, — mit einer so beschaffenen
musikalischen „Kunst“ wollen wir nichts mehr
zu tun haben!... In dem ersten Stück zeich¬
neie sich Herr van Hulst aus, im zweiten
erratig die Tänzerin Grete Margot einen
pärken Erfolg.
J. C. Lusttig.
Eine Abwahr der Rissen=Gegner. Das
Flugblatt des zur Bekämpfung Rissens organi¬
sierten „Protestbundes“ hat unter der großen
ekrzahl der Genossenschafter einen Sturm
leiter erhalten wird. Bis jetzt ist sie ihm nämlich
noch nicht erteilt worden.
Leoneavallos neue Oper. Aus Mai¬
land telegraphiert uns unser Korrespondent:
Leoncavallo hat eine neue Oper „Die Köni¬
gin der Rosen“ (Reginetta delic rosa) fer¬
tiggestellt. Das Textbuch stammt von For¬
zano und behandelt das Liebesidyll zwischen
einem Londoner Blumenmädchen namens Lil¬
lian und dem Erbprinzen von Portowo, einem
phantastischen Königreiche. Nach vielen Ver¬
wicklungen kommt es zur Krönung Lillians zur
Blumenkönigin. Die Erstaufführungen finden
gleichzeitig in Mailand und Turin statt. Auch
in Berlin soll die Oper schon in der nächsten
Saison gegeben werden.
„Banadietrich“ in der Wiener Hof¬
oper. Siegfried Wagners Oper „Bana¬
dietrich“ erzielte, wie uns ein Privättäls¬
gramm aus Wien meldet, bei ihrer gestrigen
Aufführung einen Achtungserfolg, der mehr dem
Namen des Komponisten als dem Werke galt.
Nach dem ersten Akt erhob sich gegen
eine ziemlich starke Opposition, nichtsdestowe
konnte Siegfried Wagner, der der Premiere
wohnte, nach dem ersten und weiten Akt wiede
holt für den Beifall dan Die Aufführung
war alles Lobes wert.