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Liebelei
5. L box 12/6
Sensation im guten oder im bösen hängte. Und
wenn Arthür Schnitzler heute feststellen kann, daß das
meiste, was er geschrieben, durch die Zeit nichts von sei¬
ner frischen Wirkungskraft verloren hat, daß auch seine
ersten Werke, vom Anatol angefangen, noch mit
tiefem Genuß ausgenommen werden, so dankt er das
zum Teil auch dem Umstand, daß seine Dichtungen
nie in den heftigsten Partei- und Literatenstreit
mit hineingezogen wurden.
Drei wertvolle Einakter von Schnitzler brachte
am Donnerstag das Neue Theater, davon
zwei „zum ersten Mal“, zu Gehör. Es sind kleine
Schauspiele, die ungemein charakteristisch sind für
(Quellanangabe ohne Gewant.)
den Dichter, der mit der tiefsten Einsicht in die
rankfurter Nachrichter.
dunkelsten Irrgänge der Seele eine blendende Be¬
herrschung der dramatischen Form besitzt. Die
sschnitt außagd Intelligens Bln1,
wundersame Figur des großen Theophrastus
ASteWih antiturt u. 91.
erschien zuerst. Während hier Schnitzler sich die
1:

überraschenden Wirkungen des Hypnotismus, wie
mancher Autor fünften Ranges nach ihm, für den
szenischen Effekt zunutze macht, bietet er dem Zu¬
schauer Worte und Einsichten tiefer Weltweisheit.
Schnitzler-Abend
Den hoheitsvollen, fast übermenschlichen Paracel¬
sus stellte Eugen Klöpfer mit eindringlicher
—i=Neuer. Theater.
Gewalt dar, ein Schauspieler, der sich zur kräf¬
Paracelsus — Die Gefährtin — Der grüne Kakadu.
tigsten Stütze dieses Theaters auswächst und der
auch in den folgenden Stücken die Hauptrollen
Arthur Schnitzler ist vielleicht der glücklichste
vertrat. Neben ihm war es Marya Leiko, die,
unserer Dramatiker. Nie hat die maßgebende Kri¬
unterstützt durch ihre stille blonde Anmut, die schau¬
kik seine Bedeutung verkannt, und wenn sie ihm
spielerische Darstellung auf reiner künstlerischer
unter den führenden Dichtern der Gegenwart auch
Höhe festhielt. Während sie im ersten Akt die be¬
niemals den allerersten Platz zugesprochen hat, so
scheidene, im Glück gesicherte Bürgersfrau verkör¬
doch stets die nächste Anwartschaft darauf. Und
perte, die doch, wie wir zugleich mit ihrem über¬
während schroff ablehnende, lärmend schmähende
raschten Gatter sehen dürfen, hinter ihrer frau¬
Kritik den Wiener Poeten niemals persönlich an¬
lichen Zucht in ihrer innersten Natur unendliche
griff, ist ihm auch das Bühnenglück, von ein paar
Entwicklungsmöglichkeiten verschließt, verwandelte
Entgleisungen abgesehen, stets treu geblieben. Die
sie sich zum Schluß in die bestrickende Leocadie des
Wandlungen in der Gunst des Publikums und der
wildbewegten Einakters „Der grüne Kakadu“, in
Kritik, wie sie u. a. Halbe, Sudermann, und selbst
das zur Dirne geborene Weib, das unbedingt treu¬
ein Hauptmann durchzumachen hatten, sind
lose, alle begehrende, von allen begehrte. Marya
Schnitzler erspart geblieben. Er hat auf der deut¬
schen Bühne seinen stetigen Weg gehey dürfen, ohne Leiko vermochte in beiden Rollen stilgemäß und
daß sich an die Aufführungen seinet Werke je die mit feinem Takt ihre Aufgabe zu erfüllen. Befrie=1t
ir
digend wirkte auch Herr Heding im „Paracelsus“
als der selbstsichere, doch endlich in seiner Philister¬
ruhe aufgestörte Cyprian. Frl. Fuchs sollte sich
in solchen Stücken des neckischen Getues enthalten.
Im zweiten Stück „Die Gefährtin“ fesselte
Eugen Klöpfer die Aufmerksamkeit ganz allein auf
sich. Frau Bronsgeest konnte gegen seine in mäch¬
tiger Steigerung anschwellende Gefühlskraft nicht
an. Kurt v. Möllendorf erledigte sich seiner klei¬
nen Aufgabe in angemessen sicherer Haltung.
Das letzte Bild „Der grüne Kakadu“ wurde
hier schon früher, wie überall mit großer Wirkung,
aufgeführt. Wild und aufregend, wie dies Stück
über die Bühne braust, glaubt man darin wie durch
einen schmalen Sehschlitz in die furchtbaren
Wogen der französischen Revolution zu schauen, die
mehr als einen Thron umstürzten, die noch heut eins
der ungeheuersten Erlebnisse der Menschheit bedeuten.
Das Bild kam bei der gestrigen Aufführung zu sehr
starker Wirkung dank der geschickten Inszenierung
durch Direktor Hellmer und recht ansehnliche Ein¬
gelleistungen. Außer den schon erwähnten Künst¬
lern zeichneten sich hier besonders Robert Grü¬
ning, Paul Gewinner und Max Reimann aus.
Das Publikum nahm warmen Ankeil an den
dichterischen Werken und ihrer wüldigen Wieder¬
Fr. S.
gabe.
Lndwig Ganaketm