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Liebelei
5. M
box 12/7
Theater, Musik und Kunst.
Schauspielhaus.
Über ein Jahr ist es, daß Schnitzlers Liebelei“ nicht mehr
Aterswerken
aufgeführt wurde. Sereer
„Das weite Land“, „Der einsame Weg“ zur Genüge bekannt¬
gemacht. Sie hat mit ihnen das Undramatische gemeinsam, gib
sich vielleicht weniger tiefsinnig, aber nicht so langatmig und
daher weit bühnenwirksamer. Schnitzler ist der Dichter des
genußfrohen, leichtlebigen Wien, der Zeit vor dem Kriege. Das
neue Wien wartet auf einen kraftvolleren, auf einen sozialen,
tiefernsten Dichter, der etwa Wildgans sein könnte. Denn jenes
Österreich, das unter Schnitzler noch zur jungen Generation
gehörte, von der er das Wort prägte, daß sie weniger Geist,
mehr Haltung besitze, existiert nicht mehr. Soweit sie dem aristo¬
kratischen Milieu entstammt, hat sie der Krig, noch mehr die
Revolution verschwinden gemacht, soweit sie mit Schnitzler ras##
verwandt ist, macht sie politische und Schiebergeschäfte. Die
deutsche Jugend braucht aber heute andere Vorbilder. Zu leicht¬
fertigem Genießen fehlt ihr die Zeit und — das Geld. Statt
Haltung, die meist nur äußerlicher Gesellschaftsfirnis war, den
jeder Hochstapler sich anzueignen wußte, brauchen wir das ehr¬
liche Selbstbewußtsein der Pflicht und Arbeit. Das verträgt
sich aber schlecht mit dekadenten Erotil und Frauen=Mißachtung
hnitzlers. Daß die so verführerisch geschilderten Liebeleien
Anatols nichts anderes sind, erkennt Christine im erschütternden
Schlußakt. Schnitzlers Evangelium: hemmungslos das Leben
zu genießen, scheitert am Ggoismus, an den Gesellschaftsvor¬
urteilen des Mannes, streift schließlich sogar ans Verbrechen,
wie im „Ruf des Lebens“, wo Marie, ein Seinnstück zu Chri¬
stine, den Vater vergiftet, um in die Arne ihres Leutnants
eilen zu können. — Schon aus früheren Aufführungen sind
Frau Imles erschütternde Christine, Lauter=Weisers
scharf charakterisierte Schlager=Mitzi, von Pindos alter Mur¬
S
siker, vorteilhaft bekannt, den Freund spielte neu Herr Olden,
der im „Absthiedssouper“ den Anatol gab. Dort vergleicht er
das süße Mädel mit einem getragenen Wiener Walzer: „Senti¬
mentale Heiterkeit, lächelnde, schalthafte Wehmut, das ist so ihr
Wesen ..., wenn ich ihr ein Veilchenbukett bringe, sieht ihr:
eine Träne im Augenwinkel“. Das ist Christine. Ebenso glän¬
zend als Olden in diesem übermütigen Einakter war (— präch¬
tig ergänzt durch Frau Lori —), ebenso vorzüglich mußte er!
daher als Fritz Labheimer sein, der ja auch nichts anderes als
den Anatol=Typu darstellt. Zu starker Wirkung brachte Herr
Orell die Szene mit dem fremden Herrn.
Die vorgestrige Wiederholung der „Räuber“ war wieder bis¬
zum Giehel ausverkauft.