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Liebelei
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4. 0.
Prtesessesses
Hltes Stadttheater.
Liebelei.
Schauspiel in 3 Aufzügen von Arthur
Schnitzler.
In keinem Stück Schnißlers ist die Wiener
Luft so eingesangen wie in dieser wehmütigen
Liebesgeschichte des
Zweiunddreißigjährigen,
dessen für unsere Tage heikelstes Stück, der Reigen,
heute. bald dreißig Jahre später, der sensations¬
lüsterne Bildungspöbel und zweifelhaft: Moral¬
trompeterei zum Gegenstand eines endlos breit¬
geschlagenen Skandals machen, sehr zun Schaden
seines Verfassers, der nicht bloß in Sexualysycho¬
logie und auch nicht bloß in literarischen Cau¬
serien sich ergeht, sondern in begnadeteren Stun¬
den das Zynikerlächeln und die Theoretikerstirn¬
falte einer dunklen, schweren Melancholie weichen
läßt, die in die Hintergründe des Profanen ein¬
dringt und das Seelische dort noch aufdeckt, wo
Sudermänner auf der Hintertreppe kleben bleiben
(Rosen). Gewiß, es ist manchmal ein bissel viel
Sentimentalität geboten, und der Liebeshimmel
dieser Wiener jungen Leute wird auf größte sitt¬
liche Entrüstung stoßen bei Menschen vom Schlag
der Strumpfwirkersfrau im zweiten „Akt des
Stückes, die Luise Trebe so herzhaft unsym¬
pathisch vor uns hinpflanzte mit ihrem Gistneid
auf das leidbeschattete, vergängliche Traum= und
Rauschglück der jungen Mädchen.
Im ganzen ist die Geschichte ja eigentlich
trivial: der Held liebt eine verheiratete Frau, be¬
kommt von seinem Freund zur Ablenkung ein
„süßes Mädel“ vorgeführt, die, völlig rein noch,
ihm ihre ganze heiße Liebe schenkt und schließlich
in der Stunde eine leise Ahnung von Liebesglück
in ihm weckt, in der er sie für immer verläßt, um
im Duell mit dem Gatten der anderen zu
fallen. Das Mädel aber, zwiefach betrogen, rennt
in den Tod. Und drum herum ist Wiener Milien
gebaut, Lobheimers Bude mit der halbeleganten
Behaglichkeit, in der so ein reizendes Fest zu
Vieren so bös gestört wird, und das schlichte Zim¬
mer des alten Musikanten, von dem aus man auf
so viele Dächer hinabsieht und hin bis zum
Kahlenberg.
Die Aufführung war durch Ludwig Seipps!
Spielleitung und die volle Hingabe der Darsteller,
eine der schönsten Leistungen der Spielzeit.
Maria Rusers Christine war so bis ins Letzte
erlebt, so reich an unsagbarer Feinheit, so schlicht
und zart, daß man die große Reinheit dieses stillen
Geschöpfes und sein maßloses Leid erschüttert mit¬
erlebte. Beim Abschied vom Freund und bei der
Nachricht von seinem Tode — keine leere Geste,
keine Pause in der Gestaltung. Gewiß
lle,
ist dankbar, aber — besonders in der let
nicht leicht. Dies und das konnte m
anders denken (die ganze Gestalt
minder durchsichtig und spinnweb
die Echtheit der
Durstellung ma
Leistung so sympathisch, daß
ihr nicht
gemätelt werden soll. Frieda Schrantz war ein
keckes Wiener Blut. Anders darf die Mizi gar
nicht gespielt werden
sie wird's aber leider
meist! Die Beherrschung des Dialektes und ihm
Temperament kamen der Dame sehr zusta
Glänzend war die Gschpusi=Stimmung des erster
Aktes. Vorzüglich in allen drei Akten der Ge
satz zwischen den Mädchen. Heinz Pabsts Lol
heimer, verkrampft im mühsam verhehlten
Schmerz, gütig im Grund seiner Seele und weich,
war glaubhaft, weil ohne jede Pose. Im übrigen
kein Wiener Typ. Hanns Tannerts Theo¬
dor Kaiser versuchte sich im Weanerischen ohne viel
Erfolg. An sich war die Gestalt sympathisch, doch
wünschte man sich mehr natürliche Frische im
ersten Akt. Die undankbare, vielfach stumme Rolle
im letzten Akt war gut angefaßt. Karl Noack
vermochte seiner sehr kleinen Rolle großes Ge¬
wicht zu aehen. Es war wirklich das Schicksal, das
in diesem Mann auf die Bühne trat. Die Kunst
der großen Pausen und der starren und dadurch
lapidaren Geste haben wir den Künstler selten so
gut üben sehen. Max Kühnes alter Violin¬
spieler war von großer Milde, etwas kindisch bis¬
weilen, mit sein beobachteten Alte=Leute=Manieren.
Kammerspielton dämpfte das ganze Spiel und
machte es dadurch nur noch ergreifender. Man
sah einmal wieder: die Rollen entscheiden,
wenn's um Wirkung ins Breite geht, nicht das
Literarische. Schnitzler hat ein paar Wiener
Typen erlebt, die Schauspieler haben sie nach¬
erlebt, jeder mit seinen Aufnahmeorganen. Die
Regie hat sicher viel vereinheitlicht, aber das
Primäre blieb Sieger: das Erlebnis. Vor ihm
verblaßt die Frage nach dem Stil und nach allem
Dramen= und Bühnentechnischen.
Dr. E. K. Fischer.