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Liebelei
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Schnitzler=Abend im Schiller-Theater.
„Liebeiei“ und „Weihnachtseinkäufe“.
Mit der ersten Granate explodierte vor elf Jahren auch die
Welt Arthur Schnitzlers die das Publikum anerkannt
hatte. Nicht die Welt des Dichters, die viel tiefere und weitere
Hintergründe hat, als alle jene annehmen, die gerne aus der um
ihrer schöpferischen Aktivität wegen liebenswürdigen, aber nichts¬
destoweniger unsinnigen Sucht heute immer das Gestern zur absolut
toten Vergangenheit stempeln. Man muß ein wenig unterscheiden
zwischen dem formalen Apparat des äußeren Gestus und dem
inneren Klang. Gewiß ist das süße Mädel, die Duellfatzkerade und
die Dachstube des alten Musikanten an sich genommen etwas Ge¬
wesenes. Aber es ist ja für das kleine Drama auch nicht das
Wesentliche.
Jürgen Fehling, der das Stück inszeniert hat, hat
wohl die Einwände der Gegenwartsstolzen gefürchtet, als
als Keht¬
eine Anmerkung
im Programmheft
sich dabei gar
nicht
fertigung schrieb. Er drückt
um die Erkenntnis, daß die frühere Zugkraft des Stückes, soweit
sie aus Zeitumständen wirksam wurde, heute erloschen ist. Aber
seine Betonung, hier schlummere unter dekorativer Herzigkeit eine
volksliedhafte Melodie, ist durchaus begründet. Gewiß ist Senti¬
mentalität für das Schaffen und den schaffenden Menschen ein
ewig retardierendes Moment. Aber das Theater, wo käme es hin
ohne Sentimentalität? Wichtig bleibt nur, daß sie nicht überwiegt,
und daß sie nicht schmalziges Mittel zu schmalzigem Zweck wird.
(Uebrigens was die Antisentimentalitätsseinde betrifft: die Grund¬
sentimentalität ist zweifellos der Eigentumsbegriff in allen Formen.
Auf dieser Basis lediglich wäre aufzubauen. Wieviel programma¬
tische Sentimentalitätsfeinde sehe ich noch aufrecht?) Das Schiller¬
Theater ist Volkstheater. Die Kette der Volksstücke, die über seine
Bühne gehen, ist in der letzten Zeit ohne inneren Bruch gewesen,
nimmt man die „Jungfrau von Orleaus“ aus. Und als Volksstück,
das nicht mehr durch lokale Nuance und Zeitkolorit bedingt ist,
wurde Schnitzlers „Liebelei“ hier gegeben und mit einem einen
gewöhnlichen Theatererfolg weit übersteigenden rauschenden Beifall
begrüßt.
Fehling hat zwar nicht auf das Kostümliche verzichtet. Aber es
war doch durchaus nebensächlich. Wichtig war, daß er die Stim¬
mungslichter leise einstrahlen ließ und sie auf der Höhe der Wirkung
aufblendete. Die ganz große Ueberraschung des Abends war die
Christine Lucie Mannheims. Was sie bei Halbe, bei Tschechow
in Umrissen schon an seelischer Leuchtkraft gewonnen hatte, brach
hier hinreißend durch. Die schlichte Innigkeit, die nicht neckisches
Theater war, der halbe Ton unter dem vollen Ton, das schüchtern
zuckende Herz, das schließlich in einem Schrei der Qual blutend birst,
daß es durch den klagenden Mund aufzuschäumen scheint, all dies
gewann den Zuhörer vom ersten Augenblick an. Es war nicht
das Wiener Musikantentöchterchen, das an der zerbrochenen Legende
seines wienerischen Schicksals zugrundegeht, sondern es war einfach
ein Weib, dem sein Glück in Stücke geschlagen wird und das vor
Entsetzen einmal schreit und dann vor dem zerschlagenen Bild ins
Leere abspringt.
Jakob Tiedtke kommt endlich an den Staatstheatern wieder
zu dem, wäs ihm so lange gefehlt hat: an Rollen. Er braucht nicht
mehr, wie er es bisher tat, für ein paar Schwankfritzen aus dem
Handgelenk seine künstlerische Kraft zu verschleudern, sondern er
kann auch wieder ganz bei der Sache sein. Gewiß mag es ein
Wagnis gewesen sein, ihm den stillen Violinspieler Weiring anzu¬
vertrauen. Sein Vater ist schon von Statur aus robuster als der
übliche Schauspieler in dieser Rolle. Aber die Augen und die
Lippen waren weich, und gerade weil Tiedtke nicht der himmel¬
blaue Donaugreis, sondern einfach ein wirklicher guter alter Mann
Maria Paudlers
war, paßte er in diese Aufführung.
Modistin balancierte gut auf der Grenze zwischen Naivität und Ver¬
derbtheit. Sie vermied die Gefahr, die das Kostüm unterstrich,
Aeußerliches platt zu benutzen. Nicht frei davon kam in seiner Rolle
Richard Duschinsky als Fritz, der noch viel Handbewegungen
und ostentative Mimik brauchte, um das Wort zu ersetzen, das
Schnitzler in dieser Rolle gerade banal und deutlich genug schon ver¬
wandt hat. Heinrich Schnitzler mußte den unsympathischen
Theodor geben. In kleinen Rollen von alter Sicherheit Mathilde
Sussin und Albert Patry.
Voran ging der kleine Dialog „Weihnachtseinkäufe“.
gewissermaßen Ankündigung und Erklärung, aber denkt man nachher
an ihn so verstimmt er durch die Großspurigkeit des zersprochenen
Gefühls. Zersprochen um so mehr, als Erwin Faber hier nicht
am Platze war, und die verhaltene große klingende Kunst Lina
Lossens allein den Ton hielt, der viese nun wirklich anachronistische
Rederei überhaupt noch erträglich macht.
Eine Viertelstunde nach Fall des Vorhangs rief das Publikum
Manfred Georg.
1 noch immer die Darsteller.