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Liebelei
nnenenenenen aen
Man sieht mit halbem Staunen, wieviel gerad
in diesem Stück Schnitzler die Sprachmelodi
Wiens mitgedichtet hat — und wie fern es un
ohne sie schon liegt. Womit nicht gesagt sein soll
daß es uns mit ihr näher liegt.
Abgesehen hiervon hatte Herr Fehling aus
gezeichnete Arbeit geleistet. Er hatte die Menschei
in das Kostüm der neunziger Jahre gesteckt uni
bekam es fertig, das zeitlich noch Nahe tatsächlick
bereits historisch wirken zu lassen. Er hatte für der
jungen Herrn ein in der Stimmung sehr zeit¬
echtes Zimmer zurechtgebaut und fur Christin
auch: er hatte wieder die ganze Feinheit seine
akustischen Gliederung und Abstimmung auf
geboten — und als einzigen Anachronismu¬
Theodor am Klavier die Barcarole aus Hoff
manns Erzählungen erlaubt, die 1895 sicherlic
noch keine Mizzi hätte mitsingen können. Wenr
das Ganze trotzdem nicht historisch, sondern leicht
verstaubt wirkte, so lag das nicht an ihm, sondern
wie gesagt ein bißchen am Dialekt und ein bißchen
am Stück. Dreißig Jahre hält nicht vieles.
Christine war Frau Mannheim. Selbst
wenn man davon absieht, daß über der Gestalt
noch die Glorie des Gefühls schwebt, mit der Frau
Dorsch sie vor zwei Jahren überstrahlte: diese ge
löste südöstliche Weichheit liegt Frau Mannheim
nicht. Sie tut, was sie kann; es bleibt Tun und
bleibt damit Schauspiel und blaß. Und zwar nicht
Deutsche Allgemeine Zeitung, Berlin
nur wegen des fehlenden Dialekts.
1 5. Okt. 1925
Fast das gleiche gilt von dem Fritz des Herrn
Duschinsky. Es ist wahrscheinlich allerhand
Material vorhanden — es blieb unentfaltet. Und
das Wienerische fehlt hier auch ein bißchen im
Dreißig Jahre „Liebelei“.
Aeußeren.
Schiller=Theater.
Es fehlte auch Herrn Tiedtke als Vater
Weiring. Man soll einen Mann von seiner Kraft
Am 9. Oktober 1895 ging Schnitzlers „Liebelei“
und Saftigkeit nicht in solche Wehleidigkeiten
zum ersten Male im Burgtheater in Szene. Am
stecken wie diesen alten Musikus. Es ist schade
14. Oktober 1925 kam das Drama im staatlichen
um die Kraft und der Rolle hilft es nichts.
Schiller=Theater, von Herrn Fehling inszeniert,
Wirklich Wien und wirklich Oesterreich war
swieder zur Aufführung — im inzwischen historisch
der Theodor des jungen Herrn Heinrich
gewordenen Kostüm seiner Entstehungszeit. Eheu
Schnitzler, Papa Arthur kann sich bei dem
fugaces, Postume, Postume
Sohn für die Hilfe bedanken. Frisch, ungehemmt,
Es ist ganz reizvoll, daß Herr Fehling nach
naturlich spielt er den jungen Burschen und ver¬
halbes „Jugend“ jetzt dieses Stück vor¬
dient den Beifall, den er findet. Neben ihm gleich
nommen hat. Man konnte die Titel der beiden
echt die Frau Binder der Frau Sussin und die
Kymödien vertauschen: ihre inneren Gesichter
Mizzi des Fräulein Paudler, die verblüffend gut
aber sind so verschieden wie Nordosten und Süd¬
das historische Kostüm trug, während es bei Frau
osten des Reichs. Mir liegt der Nordosten näher
Mannheim als Maskerade wirkte.
und Hernn Fehling scheint's auch. Denn so
Vorher gab's die „Weihnachtsein¬
westpreußisch Halbes „Jugend“ trotz Kampf mit
so wenig
dem Dialekt noch geraten war
käufe“ aus dem Anatol. Sie waren überflüssig,
wienerisch war dieser Schnitzler. Obwohl die
denn diese Literatur ist endgültig tot
Regieleistung im übrigen ausgezeichnet war.
und sie waren schmerzlich, denn Frau
Lossen mußte die Dame spielen. Soll
Zuweilen hatte man fast den Eindruck einer
Absicht. Als ob das Wienerische verdrängt, das
das vielleicht eine würdige Beschäftigung für
Allgemeine herausgehoben werden sollte. Dialekt
diese Frau sein, die seit undenklichen Zeiten in
durften nur die Nebenrollen führen; die drei
dem Betrieb der Staatstheater keine Rolle mehr
Hauptgestalten kamen norddeutsch, die Christine
bekommen hat? Das glaubt wohl weder Herr
sowohl wie Vater Weiring und der Fritz. Für
Fehling noch Herr Jeßner — und darum wird
man ärgerlich, wenn man sieht, wie Wertvollstes
Wien kämpften nur der Theodor und die Mizzi
und die Frau Binder.
an Nichtigkeiten vergeudet wird. Den Anatol
Man könnte einwenden: Wenn das Wiene¬
sprach Herr Faber, der auch Besseres verdient;
rische nur im Dialekt liegt ...
Sein wir auf¬
er war so unwienerisch wie seine Pirtnerin, und
richtig: zu 75 % liegt es darin. Streicht man die
das Ganze wirkte wie eine Mondänität fürs
sprachlichen Wirkungen, so streicht man die
Schillertheater.
— und die ist hier sehr viel. Ohne
Der Beifall am Schluß war sehr stark
sie bleibt eigentlich nur noch der junge Herr ein
Fehling und die Schauspieler wurden immer
bißchen südöstlich; das übrige verliert sein Gesicht. wieder gerufen.
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