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Liebelei
box 13/8
Kainz.
Aochie
Von einem Freunde unseres Blattes erhalten wir
die folgende Zuschrift: Langsam dringt die Nachricht
hinaus ins Grüne, in die fernen Gebirgstäler, an die
stillen Sommerseen, an denen die Wiener jetzt sitzen. Wie
es einst durch die Welt geklungen hat: Der große Pan
ist tot, so klingt es nicht viel leiser jetzt dem kunst¬
freudigen und =verständigen Wien ins Ohr: „Kainz will
vom Burgtheater gehen!“ Das Dementi ist aller¬
dings auch schon da, Herr Direktor Doktor
Schlenther hat sich interviewen lassen und hat
sofort konstatiert, daß an den Gerüchten kein
wahres Wort sei. Herr Kainz habe bloß einen etwas
längeren Urlaub erhalten, der sich allerdings über die
gesamte Wintersaison erstreckt, und triumphierend hat der
Direktor des Wiener Hofburgtheaters beigefügt, daß
dieser verlängerte Urlaub dem größten deutschen Schau¬
spieler „gegen Karenz seiner Bezüge“ ge¬
währt wurde. Wien fragt sich zweifelnd: Was soll nun
aus dem, was einst das Burgtheater war, werden, wenn
nun auch Kainz geht? Und der Direktor erwidert er¬
staunt: „Wozu der Lärm, ich brauche ihm ja für die
Zeit seiner Abwesenheit nichts zu bezahlen!“ Vielleicht
sogar, daß er im Stillen schon berechnet hat, um wieviel
sich dadurch die Bilanz des Burgtheaters bessern wird...
Es ist in der letzten Zeit, zuletzt anläßlich der zehn¬
jährigen Wiederkehr des Tages, da Herr Dr. Schleuther
vom Strande der Spree zu uns übersiedelte, so gründlich
über seine Tätigkeit geschrieben worden, daß heute zu
sagen fast nichts mehr übrig bleibt. Die endgiltige Sub¬
stituierung des klassischen Burgtheaterrepertoires durch
„Husarenfieber“ und Anna Karenina“ spricht allein zu
laut, als daß man noch ein geschriebenes Wort dazufügen
müßte. Es hat Burgtheaterabende gegeben, an denen Ein¬
heimische und Fremde mit allen sichtbaren Zeichen des
Entsetzens das Burgtheater verließen. Es sei nur an den
vorletzten Abend der abgelaufenen Saison erinnert, an
welchem an „Liebelei“, das stimmungsvollste Bühnenwerk
des wienerischesten Poeten, „Endlich allein“ angehängt
wusde, ein Zirkusscherz, dessen „dramatischer Höhepunkt“
darin besteht, daß Herr Thimig, dessen geheime Tätigkeit
am Burgtheater ja längst ein offenes Geheimnis ist, ein
paar dutzendmal mit einem Bettpolster unterm Arm um
einen Tisch herumzugaloppieren hat. Derartige Ver¬
gehen an der heiligen deutschen Kunst,
am Wiener Burgtheater, an uns allen begangen, jahre¬
lang fortgesetzt, haben nicht genügt. Ein Glanz, ein
großer Schimmer war dem Burgtheater noch geblieben,
er hieß Josef Kainz. Und nun ist es ganz gleichgiltig,
ob Kainz den überlangen Urlaub mit oder ohne Karenz
der Gebühren erhält, denn das Burgtheater ist eine Kunst¬
stätte, die Anspruch auf einen ganzen Kainz erheben
darf; es ist noch viel gleichgiltiger, ob Kainz' Kontrakt
noch drei Jahre läuft oder nicht, denn niemand wird
diesen Feuergeist zwingen können, da er doch offenbar
nicht bleiben will. Man versteht ja seinen Ueberdruß so
gut, und es hat auch an Sturmvögeln für diesen Orkan
nicht gefehlt. So hat Korff, einer von denen, die
man auch viel höher einschätzen würde, wenn sie nicht an
diesem Burgtheater spielen würden, seinen Widerwillen
schon oft in der ihm eigenen überdrastischen Manier zu
erkennen gegeben. Und nun Kainz. Weil eben jeder
Lebensstürmende, nach hohen Zielen Ringende endlich des
Degoutts vor dieser Art der Bühnenführung sich nicht er¬
wehren kann. Es ist aber nicht einzusehen, warum für Burg¬
theaterdirektoren in gewissen Fällen nicht dieselben Regeln,
G. B.
Giltigleit haben sollen wie für Minister.