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ebelei
5. E
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22. Februar 1896
Gemüthes ausgehen zu lassen. Soweit diese nicht wit
bei den Symbolisten zum Excentrischen führt, ist dieses
Bestreben ein echt dichterisches und kann nur dazu bei¬
tragen, das Gefühl für edle Empfindungen zu heben
und den Sinn für ein reines Kunstwerk zu steigern.
Schnitzler steht, wie schon angedentet worden, mit seinem
Werke „Liebelei“ auf der Seite Derjenigen, welche das
höher gestimmte Verständniß für innere Vorgänge auf
das Leben um sie selbst anzuwenden und ein Bild zu
geben wissen, das vertieft empfunden und dennoch lebens¬
wahr geblieben ist.
Christine Weiring ist ein braves Mädchen, das
vom Vater, einem Violinspieler am Josephstädter Theater,
sorgfältig erzogen wurde. Weiring ist trotz seiner engen
Stellung kein Philister; er versteht den Trieb der Jugend
nach Glück, auch wenn er mit der pflichtgemäßigen
Tugend in Widerstreit geräth. Darum erlaubt er den
Verkehr Christinens mit der „Modistin“ Mizi Schlager.
Mizi ist eine erfahrene junge Dame und genießt den
Schaum des Lebens, so lang es eben geht. Ihr Schatz
ist Theodor Kaiser, ein guter Junge, der ohne viel
Nachdenken das nimmt, was ihm seine Stellung bietet,
Genuß und Liebe. Sein Freund, Fritz Lobheimer, ist
von tieferer seelischer Empfindung, ein richtiger nervöser
Sohn der Großstadt, der sich der Liebe mit allem Raf¬
sinement der Keckheit und Gefährlichkeit hingibt. Theodor
will ihn von der Leidenschaft zu einem „dämonischen“
Meibe heilen und bringt ihn in die heitere Gesellschaft
Das Schauspiel „Liebelei“ hat bekanntlich in Wien vor Mz. und Christine. Fritz fühlt sich wohl unter
Sensation gemacht. Und wenn bei dem stürmischen Er= diesen frischern Wesen und faßt, ganz gegen die Mei¬
folge auch ein wenig Localpatriotismus dabei war, da
nung Theodor's, eine ernstliche Neigung zu Christine.
Schnitzler ein Wiener ist, so wollen wir das den Wienern
Theodor hat beide „Mäderl“ in die Wohnung seines
durchaus nicht verdenken, stimmen vielmehr ohne Vor¬
Freundes geladen und sie erscheinen auch wirklich:
behalt in das Lob ein, das einem Dichter von starker
Mizi voll lebenslustiger Sorglosigkeit, Christine in ehr¬
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Begabung, ernstem Willen und warmherziger Empfin¬
licher Hingebung an ihre echte Liebe. Ein lustiges, wenn
kt, dung gebührt. Schnitzler hat sich schon durch seine ersten
uuch bescheidenes Mahl würzt das Beisammensein und
sie Arbeiten einen Namen gemacht. Und wenn er auch von
Dori weiß gar nicht genug Lazzi aufzubieten, um die
iß den Zünftigen der Moderne mit Freude begrüßt wurde,
Stimmung so leichtblütig als möglich zu erhalten. In
u.
so beweist doch sein neuestes Werk, daß er sich von der dieses trauliche Beisammensein fällt eine schreckhafte
ch
Uebertreibung der Schule freizuhalten gewußt hat. Das
Unterbrechung. Ein Herr, der Gatte von Fritz' Geliebten,
Schauspiel „Liebelei“ stellt ihn zu den hoffnungsvollsten
en
wünscht den Hanswirth zu sprechen. Die Gesellschaft wird
hr
Dichtern, welche die jüngste Gegenwart aufzuweisen hat.
in ein Nebenzimmer geschoben, der Herr tritt ein und
Wenn man den Inhalt des Stückes erzählen will, so ist
fordert Fritz in kurzen Worten zum Duell. Dori, dem
man bald fertig. Denn es ist ein einfaches, volksthüm¬
Fritz den Fall sofort erzählt, ermuthigt ihn, nicht gleich
er
liches, durch keine Nebenepisoden verbreitertes Motiv,
das Aeußerste zu fürchten und führt die beiden Mädchen
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das in großen Strichen ausgeführt ist und den geraden
weg. Fritz bleibt in trüben Gedanken allein. (Der erste
er Weg zu unserer Empfindung wählt. Es ist bekannt, daß
Act, der diese Vorgänge schildert, ist ein Meisterstück der
in die jüngste Dichtung bestrebt ist, alle geschilderten Vor¬
Gestaltungskraft und zeigt den Dichter auf seiner Höhe).
gänge in das innere Leben der Seele zu legen und die
Christine hat mit Fritz ein Stelldichein besprochen, aber
ie Bewegung nicht von der Mannigfaltigkeit der äußereus er kommt nicht und sie kehrt bekümmert und gekränkt
di Vorgänge, sondern von den reichen Schwingungen des nach Haus zurück. Da erscheint Fritz in ihrem Kämmer¬