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Liebelei
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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Wr. Allgemeine Zeitung, Wien
vom:
2 2. FEB. 83
8
HEA
K
er Schmerzensschrei der Wessely
Schnitzier-Abend der losefstadt: „Liebelei“ und der „Tapfere Kassian“
Das tragische Erseönisshoittasuch an
vorderste Josefstädter Front. Dieses
diesem Abend Paula Wessely. In Tränen
Quecksilbergeschöpfchen sprüht gepfefferte
der Liebe, des Hasses und der Demut ge¬
Anmut, berechnendsten Uebermut und den
badet. Mit heroisch verzerrter Schönheits¬
Mädchenreiz der verführerischenen Vor¬
linie. In monumentaler Verachtung nicht
städte der Erde. Frau Czepa ist seit gestern
nur des Kitsches, auch des Begriffs: Süßes
eine „Nummer“. Und eine auf schlaueste
Mädl. Unheimliche Erinnerung: So schrie
Art sehr reizende.
Kriemhild auf an Siegfrieds Bahre. So
Der Fritz Hans Thimigs scheint eine
brach die Wolter los: Grell und gellend,
Edel=Notbesetzung. Mit Verzicht auf die
entflemmt und flammend, schmerz= und
gemisse romantisch flirtmüde Blasiertheit.
schamgepeitscht. Eine große Schauspielerin?
Aber von einer spröden Innigkeit, die ans
Mehr: Eine große Frau!
Herz greift. Ein Schicksalsspieler, starr
und stolz, ist Hans Thimig ja immer...
Die Wessely hats nicht leicht. Das Ver¬
Als Theodor ist Heinrich Schnitzler,
hängnis ihrer billigeren Wiener Beliebtheit
des Dichters Sohn, keineswegs über¬
ist gerade ihr Berliner Sturmerfolg. Aber:
schäumend von entsprechend kontrastieren¬
Sie hat dort zum erstenmal diesen Schrei
der Laune. Aber er hat einen Gefühlston
schriller Entfesselung aus sich selbst gehört.
der Konversation, der die gute Kinderstube
Ein großes Dichterwort entrückte sie dem
einer Seele verrät.
Prächtig ungeschminkt die Bosheits¬
bringt erfreulich viel, erschütternd viel zu¬
komik Frau Rosars. Herr Hübner sehr
rück von solcher Schärfe, von solcher Zucht,
theatersicher, aber gerade kein beklemmen¬
von solch strammer und klarer Bitternis.
der Todesbote.
Wir wissen es: In Berlin hat sie uns ver¬
Bleibt der Weyring Hugo Thimigs.
treten, hat Oesterreichs geheimste Seelen¬
Eine saftige Leistung, aber mit unverhoh¬
landschaft, die heimlich und liebessanft ver¬
lenen Musikus=Miller=Tönen. Ohne alle
schluckte Träne ins schlesische Korn ge¬
Wienerwald=Resignation. Breitspurig knur¬
zaubert. Hier bei uns löst sie sich willens¬
rig. Eine verehrungswürdige Fehlbesetzung.
stolz und herzensstark vom Biedermeier¬
klischee.
Sie spielt Schnitzler, fast in Strindberg¬
Solche Besetzungs=Schwankungen ver¬
Nähe, ohne Stimmungs=Duliäh. Gesund,
dunkeln kaum Weihe und Wehmut einer
blutverbunden, sinneswarm. Mit elemen¬
Feier des Gedächtnisses, der Persönlichkeit,
der
taren Weibestönen, mit kindlich einsamem
unausgesprochen aufwühlendsten
Menschlichkeit.
Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Gottes
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in
Die „Liebelei“ wird von der Josefstadt
ihrer Hingabe wie in ihrem Gefühlsurteil
sozusagen im Halb=Kostüm gespielt. Retro¬
unerbittlich, wie es Wind, Wetter und
spektiv im Gefüge allein, nicht in der Mode¬
* Wiesenhauch sind ...
linie.
Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist
er?“ zählt zu den größten deutschen Büh¬
neneindrücken, zu den einmaligen, unum¬
stößlichen, unerbittlichen. Ihr wild zer¬
rissener Schmerzensmund verdrängt eine
Legion süß dahinschmelzender Christinen.
Ihr Sturz ins Unabsehbare, jäh, taumelnd,
verflackernd, läßr die Bühne leer, todes¬
Was hat sich denn verändert? Dra¬
matisch, an diesem Meistergriff ins ewig
verratene Liebes= und Weibesleben nichts.
Erotisch? Nur die Phrase, nicht die Flamme
des Blutes.
Gewaltiger Eindruck, daß Schnitzler
überzeugender lebt denn je. Daß seine
Jugend verräterische Schatten mitten in
unsere selbstbewußte Sexualemanzipation
wirft. Daß dieses Biedermeier der Erotik
groß und glühend aufleuchtet, wortkarg
zermalmend, lebenswahr wie eh und je ..
Ein tiefes Stück, diese „Liebelei“, ein
schlummerstilles Stück Liebesbitternis. Ein
Theaterstück ohnegleichen. Ein Evangelium
launig verzweifelter Abschiedsbereitschaft.
Ein Puppenspiel des Todeseros. Heu¬
rigenmusik des Untergangs und der Er¬
lösung durch eine Mädchenträne. Diesmal:
Der Best,ämung durch einen Mädchenschrei.
Verastet? Dann würde Paula Wessely
nicht leben. Sie selbst ist Christine, das
Mädchen mit dem irrend sicheren Herzen
und dem schonungslos weyen und wahr¬
haften Liebesmund. Eine Generation, die
diese Schauspielerin und diese Frau hervor¬
brachte, hat sie immer noch die Schnitzler¬
Tiefe des Abschieds und der Treue. Im
Blätterfall, im Maimorgenglanz, im Berg¬
wiesenwind. Unter Tränen, die wie dazu¬
mals ein Wunder sind und ein Glück.
Paula Wesselys Keuschhei, widerlegt
alle Verwicklungen der Sexualität. Es ist
kein Theaterzauber mehr, es ist der Zauber,
die Reinheit, die Schicksalsgewißheit der
Frau.
Es ist ihr Abschled von allem, was
diesen Zauberspielplan niedlich stören
könnte. Die große tragische Schauspielerin
der Wiener Bühne hat den Boudoirflitter
abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiel¬
los, glüht auf.
Und das Lächeln eines süß und still
verwirrten Kindes liegt auf ihm.
Ludwig Ullmann