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Paula Wessely und Hans Thimig
ihr ursprünglich zugedachten Partner,
Gustav Waldau, noch zu erreichen, der
einem Wiener Winter des Mißvergnügens
gar zu rasch entflohen ist. Danken wir
trotzdem für das verspätete Weihnachts¬
geschenk
Die Blätter, auf denen der große Meister
des psychologischen Clair-obscur diese
zarten, vom Baum des Schicksals be¬
schatteten Liebesszenen niedergeschrieben
hat, sind ein wenig vergilbt und dadurch
nur noch kostbarer geworden. Gerade weil
es diese Menschen nicht mehr gibt, weil ein
junger Mann und ein junges Mädel von
heute nicht mehr imstande sind, so gerade
heraus von ihren Gefühlen zu sprechen, die
man nach der herrschenden Mode gewisser¬
maßen mit dem Pelz nach innen trägt —
gerade deshalb ist dieses Schauspiel über
seinen bloßen Inhalt hinausgewachsen und
unversehens zu einem literarischen Doku¬
ment des versunkenen Vorkriegs-Wien ge¬
worden. Zeit: Gegenwart, so steht es auf
dem Theaterzettel. Aber die Angabe ist
falsch. Die „Liebelei“ ist sozusagen von
innen heraus zu einem Kostümstück ge¬
worden, dem man nur gerecht werden kann,
wenn man die große Zäsur auslöscht, die
zwischen den Menschen von 1890 und jenen
von 1933 liegt
Vielleicht war es diese Forderung, die
Paula Wessely nicht ganz erfüllen
konnte, vielleicht war das der Grund, warum
ihre Christine bei aller Meisterschaft nicht
so völlig überzeugen konnte, wie man es
von dieser ganz großen Schauspielerin er¬
wartet hatte. Ihr inneres Wesen und das
Wesen ihrer Kunst ist eine herbe Scheu,
eine Schamhaftigkeit des Gefühls, die das
allzuklare, allzudeutliche Wort vermeidet,
um destc verständlicher durch jene kaum
merkbaren Gesten der Zärtlichkeit oder der
Verzweiflung zu reden, die nur gerade ihr
eigen sind. Schnitzlers Christine aber trägt
das Bekenntnis ihrer Liebe auf den Lippen
und schreit ihren Schmerz hinaus — unge¬
hemmt, nicht verhalten, mit jener unend¬
lichen Simplizität der reinen Natur, die sie
eben so sympathisch und so recht erst zum
„süßen Mädel“ macht, zu der aber Paula
Wessely nur auf einem Umweg über eine
sicherlich sehr mühevolle, geistige Verarbei¬
tung der Rolle gelangen kann. Es gelingt
denn was sollte einer
ihr schließlich
aber
Künstlerin wie dieser mißlingen
trotz wunderbarer Momente zartester Emp¬
findung bleibt ein ungelöster Rest, eine
schmale Schicht kühler Luft, die sich
zwischen Kunst und Natur drängt und die
Verschmelzung beider verhindert. Bei einer
Darstellerin von weniger ausgeprägter Eigen¬
art hätte man all das vielleicht aus Respekt
vor der Meisterschaft der Mittel übersehen.
Aber bei einer Paula Wessely ist diese
Meisterschaft zu selbstverständlich, um allein
schon als Erfüllung zu gelten.
Hugo Thimig war der alte Weyring.
Tief erschütternd durch einfache Menschlich¬
keit und überzeugendste Güte. Dieser wun¬
derbare alte Mann hat hier mit der großen
Schwierigkeit zu kämpfen, da er eine so
ganz andere Sprache spricht, als dieser ur¬
wienerische, brave Musikant. Aber die
Sprache des Herzens ist eben an keinen Dia¬
lekt gebunden und deshalb gelang es ihm
OBTHVER“
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llzeile Nr. 1.
GRAAIS ralerna B-33-9-49
ser Tag, vien,
vom 23. 2. 1933
„Der tapfere Cassian.“
* Wenn es in unserem Bericht über den
Schnitzler=Abend in der Josefstadt hieß, daß
Fraulein Czepa den tapferen Cassian ins Bra¬
marbasierende hinüberspielte, so ist dies ein
liebenswürdiges Bramarbasieren der Setzmaschine.
Richtig muß es heißen: Friedl Czepa ist als süßes
Puppenmädel nett und lieb, Friedrich Neuge¬
bauer spielt den tapferen Cassian ins Bramar¬
basierende hinüber.