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Liebelei
5. Lissesei box 10/3
Beilage zu „Verlag Eutsch“ Nr. 6.
Breten.
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler.
Aufführung im Deutschen Theater zu Berlin, am 4. Februar 1896.
Ein großer unbestrittener Erfolg, der von der ge¬
1 tragische Schicksal einer armen, abgenutzten Menschenseele zum Ausdruck
gekommen.
sammten Berliner Presse einstimmig konstatirt wird. Nach¬
folgend die Referate.
Die ganze Aufführung war eine der besten, die das „Deutsche
Theater“ seit langem geboten hat.
„Berliner Courier“:
Nach so mancher wildbewegter Première war dem „Deutschen
Das „Kleine Journal“:
Theater“ endlich gestern ein starker, völlig ungetrübter Erfolg
„Liebelei“ ist eine sehr einfache dramatische Geschichte, aber diese
beschieden und während des ganzen Abends, der mit einem
Geschichte hat ein Poct erzählt, der den Menschen nicht blos abgeguckt
gebrochenen Krug begann und mit einem gebrochenen Herzen
hat, wie sie sich räuspern und wie sie spucken, sondern der ihnen auch
endete, herrschte zwischen Bühne und Zuschauerraum jene
ins Herz zu sehen vermag und den Sinn jenes feinen Geflechts von
innige Verbindung, die sich nur aus den feinen Reizen eines
Nerven und Adern, von Gedanken und Empfindungen zu deuten weiß,
wirklichen Dichterwerks und aus einer meisterlichen, dar¬
das wir Leben nennen. Ich glaube gern, daß die „Modernen“ Arthur
stellerischen Vermittelung entspinnt. Vor dem todten und noch
Schnitzler zu den Ihren rechnen, und will deshalb nicht mit ihnen
o lebensvollen Dichter mag hier jetzt wieder der moderne Poet den
streiten. Mir ist es ungemein gleichgültig, ob ein „Junger“ oder ein
Vortritt haben
„Alter“ geschrieben hat, und nur gegen den eingebildeten Uebermuth
Arthur Schnitzler, der seinen interessanten Literatenkopf gestern
jener „Jungen“, die die alleinseligmachende Kunst gepachtet zu haben
Abend so häufig dankend vor dem Publikum neigen konnte, heißt
glauben, kann man nicht oft genug Front machen. Im Uebrigen giebt
„Doktor gar“
Mit seinem dreiaktigen Schauspiel „Liebelei“ hat
es für mich nur schlechte oder gute Stücke, und „Liebelei“ ist ein
Schnitzler ein starkes Talent bekundet; es ist ein warm pulsirendes
ausgezeichnetes Stück. Man wußte wohl, daß „Liebelei“ schon
Temperament, es ist Race in diesem Werk. Warum es sich in dem
in Wien und Frankfurt a. M. erfolgreich in Scene gegangen war, aber
Schauspiel handelt? Oh, das ist eine ganz einfache, fast alltägliche Ge¬
##man weiß ja auch, daß das Berliner Publikum sich durch solche Er¬
schichte, und da es ja ohne die leidige Inhaltsangabe nicht abgeht, sei's
folge vom Hörensagen nicht gerne beeinflussen läßt. Im Gegentheil, es
mit drei Worten gesagt: Ein junger Mann aus der sogenannten guten
fühlt sich dann erst recht kritisch gestimmt, und um so höher ist auch
Gesellschaft ist einem hübschen, herzigen Mädel aus den sogenannten
der gestrige Erfolg des neuen Schauspiels zu veranschlagen.
niederen Kreisen begegnet und nimmt sie sich zu eigen, wie ein kecker
Auch in „Liebelei“ ist, wie in den meisten realistischen Dramen, wenig
Wanderbursche so im Vorübergehen eine saftige Aprikose pflückt, die ihm
Werth auf die eigentkiche Handlung gelegt. Sie ist dünn und durch¬
vom Spalier entgegenlächelt. Der junge Mann aber ist der Geliebte
sichtig und sie würde für drei Akte kaum ausreichen, wenn der Dichter
einer Dame von Welt, einer Ehebrecherin. Der betrogene Gatte knallt
es nicht verstanden hätte, sie mit einer Fülle fein beobachtetdr Details
ihn im Duell nieder und das hübsche herzige Mädchen aus dem Volk,
zu umkleiden und sie durch die klare, plastische Schilderung auch der
die nur des jungen Mannes letzte „Liebelei“ war, läuft schnurstracks
leichtesten Gefühlsübergänge zu vertiefen. Diese Vorzüge jedoch sins
in's Wasser. Die Aermste — warum hatte sie auch so viel Herz?
schlicßlich auch manchem anderen der neueren Dramen eigen, aber was
Man sieht, die Historie ist in den äußeren Vorgängen sehr wenig kom¬
„Liebelei“ vor ihnen den Vorzug giebt, ist die Thatsache, daß es
pliziri und schmeckt zum Schluß sogar etwas nach dem Polizeibericht.
auch ein wirkliches Theaterstück ist, daß es sich nicht in vage
Aber immer mehr verschafft sich zum Glück der Satz Geltung, daß es
Stimmungsmalerei verliert, sondern daß es auch den unab¬
in der Kunst nicht auf das Was, sondern auf das Wie ankammt. Wer
weislichen Forderungen der Bühne gerecht wird und ein
würde nicht einer Menzel=Skizze aus dem Kleinleben, die wie ein Ab¬
Menschenschicksal zum tragischen Abschluß bringt. Die Hand¬
kontersei der Natur wirkt, vor einer sehr figurenreichen, verwickelten,
lung ist klein, aber klar und konsequent durchgeführt. (Folgt Inhalt.)
steifleinenen, großen Staatsaktion in Oel den Vorzug geben?!
Dieser zweite Akt mit seinen feineren, intimeren Stimmungen wirkte
Arthur Schnitzler aber schildert uns das Leben mit frischer Ursprüng¬
nicht ganz so eindringlich wie der erste mit seiner starken dramatischen
lichkeit, mit eindringlicher Wahrheit. Er ist ein scharfer Beobachter,
Spannung, aber der Verfasser konnte am Schlussse doch drei
mehr ein feinfühliger Empfinder als ein großer Erfinder und ver¬
Mal vor der Gardine erscheinen. Und das Publikum folgte ihm
lebendigte das, was er zum Theil „an eigener Haut“ erfahren, zum
weiter willig bis zum Schluß. Der drttte Akt bringt eigentlich nichts
Theil mit dem tieferschauenden Blick des Poeten erspäht und durch¬
weiter als die Nachricht, daß Fritz im Duell gefallen. Aber wie diese
drungen haben mag.
Nachricht, die Jeder voraussieht, vorbereitet wird, wie Christine sie
##erste Akt, der uns das Leben in dem eleganten Heim eines
schließlich dem Freunde, der schon von der Beeerdigung des Gefallenen
leichtteregen Junggesellen zeigt, muß geradezu als meisterhaft be¬
kommt, von den stummen, zuckenden Lippen abliest, wie sie nicht ruht,
zeichnet werden. Wunderbar echt und fein sind die Kontrastwirkungen,
I bis sie weiß, daß der Mann, den sie liebte, für eine Andere in den
die Schnitzler durch die völlig ungezwungene Gegenüberstellung grund¬
Tod gegangen ist, das Alles ist mit so schlichter und überzeugender
verschiedener Charaktere und Lebensanschauungen erzielt. Wie in
Wahrhaftigkeit wiedergeben, wie sie nur einem echten und ganzen
Henry Murger's herrlicher, leider noch immer nicht nach ihrem vollen
Dichter zu eigen ist. Arthur Schnitzler wurde auch am Schlusse
Werth geschätzten „Vie de Bohéme“ Mimi das unbekümmerte lachende
immer wieder jubelnd hervorgerufen und in diesen ehr¬
lichen, vollauf verdienten Beifall mischte sich diesmal kein
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Zeichen der Mißstimmung. Das Publikum hatte erkannt,
gleichsam in den beiden Wienerinnen Mizi Schlager und in Christine
[ daß ein Poet zu ihm gesprochen, von dem noch viel Gutes
die Liebelei und die Liebe verkörpert. Wie diese beiden Pärchen sich
und Schönes zu erhoffen ist.
necken und scherzen und umschlingen, wie sie ein Sonper improvisiren
und wie plötzlich zu später Stunde dieses Liebesmahl schrill und jäh
„Berliner Zeitung“ I:
durch den Rechenschaft fordernden, betrogenen Gatten gestört wird, das
Arthur Schnitzler, dessen große psychologische Kunst wir in der
ist dem Leben bis in die kleinsten Züge förmlich abgelauscht.
beachtenswerthen Studie „Sterben“ bereits bewundern konnten, dessen
Die feinste dichterische Empfindung Schnitzler's aber quillt im
zweiten Akte aus der Gestalt des alten Theater=Geigenspielers Weiring
überlegenen Humor wir aus seinen Anatole=Skizzen kennen, hat sich
gestern mit seinem feinen Schauspiel „Liebelei“ als ein Bühnen¬
hervor. Auf diesem verkümmerten Graukopf, dem Vater Christinen's,
der — eine grausame Ironie — des Recht auf den Lebensgenuß ver¬
schriftsteller ersten Ranges erwiesen. Nach jedem Akte mußte
kündet. Selten ist in schlichterer Form, mit größerer Wahrhaftigkeit das! Schnitzler sich dem begeisterten Publikum wiederholt zeigen