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5. Auslei
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Die Zukunft.
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Einfreundlicheres Bild aus dem selben Kunsttempel: „Liebelei“, ein Schauspiel,
das Herr Arthur Schnitzler gedichtet hat. Ein hübsches, künstlerisch ziemlich sauberes
Stück, zu dem der Weg über die feine Vordertreppe der literarischen Erinnerungen
- Aufgang nur für Herrschaften — führt. Der junge Herr Fritz Lobheimer hat ein
schwefelgelbes Verhältniß zu der Frau eines guten Bekannten und sucht und findet
bei der unschuldigen Stine Weiring Erholung; der Mann der gefälligen Frau schießt
ihn nieder und das Mädchen erliegt dem jäh hereinbrechenden Gedanken, daß es
im Leben des fürs Leben Geliebten nichts war als eine flüchtige Liebelei. Das
wiener Fritzchen ist, all in seiner sentimentalen Nichtigkeit, gut gesehen und Stine,
der die holde Klugheit der Frau Sorma, dieser nie genug gepriesenen Retterin
schwächlicher Brettermenschheit, über Klippen hinweghalf, darf an dem festeren
Knochenbau der fontanischen Schwester bescheiden emporblinzeln. Ein anderes Paar,
das leider nach allzu berühmten Mustern gebildet wurde, muß für die Kontrast¬
wirkungen sorgen. Herr Schnitzler ist noch jung, aber sein Denken scheint zum
Theil doch in der fröhlich seligen vorluegerischen Zeit zu wurzeln, wo man in Wien
nach bourgeoiser Moral lebte und leben ließ, den Krach von gestern schon heute ver¬
gessen hatte und an den Krach von morgen nicht dachte. Er hat viel Talent — so
sagt man ja wohl? —, eine stille, oft sichere Beobachtung, eine leichte Hand und
den Sinn für die Tragikomik aller modernen Salonleidenschaften. Ob er auch
eine Weltanschauung hat? In seinen hübschen Büchern, die manchmal bis an die
Oberfläche der Tiefe führen, ist sie nicht leicht zu finden. Sein angenehm aus
vertrauten Bildern zusammengesetztes Stück, das den Durchschnitt beträchtlich über¬
ragt, ist kein soziales Drama im guten Sinn des prostituirten Wortes, denn es zeigt
uns nicht verwandte Menschen und Menschengruppen, die in einer Luft wuchsen
und wachsen mußten. Aber es ist reinlich und liebenswürdig und weckt die Er¬
innerung an Prévost d’Exiles und Musset und manchen anderen Großen im Reiche
der Dichtung, dem Herr Schnitzler rüstig, aber in freier Selbständigkeit und nicht
als geschminktes enkant du siecle nachstreben sollte. Jules Lemattre könnte den
Inhalt der Liebelei reizend erzählen; er könnte, wenn er in Wien wohnte, das
Stück auch geschrieben haben, denn es ist fein, sehr sauber polirt und die müde
Skepsis ist in ihm mächtiger als die schaffende Kraft.
Was giebt es sonst noch? Herr von Wildenbruch hat uns und besonders
sich selbst mit zwei Albernheiten geschädigt, die man nicht für möglich hielte,
wenn sie nicht gedruckt worden wären. Frau Hedwig Niemann iraf das Ver¬
hängniß, einer von diesen Fratzen einen Körper schaffen zu müssen. Berlin
bleibt Berlin: geputzte Hetären beherrschen die Bühne und die beste, stärkste
und fraulichste deutsche Schauspielerin muß unthätig feiern oder an Erbärmlich¬
keiten ihr Können verzetteln. Wer Hedwig Niemann als Goethes Marionne,
als Hebbels Klara, als Frou=Frou, ja, sogar als Lorle erlebt hat, wird wissen,
wie kläglich unsere Spielerei, trotz der berühmten Modernität, heruntergekommen
ist. Der Theaterkritiker sollte ... Aber von Alledem, was er sollte, soll, so war
das Versprechen, in grippiger Laune heute hier nichts verrathen werden.
wertlicher Redateur: B. Harden in Verlin. — Verlag ven D. Häring in Verlin
Druck von Albert Damcke in Berlin.