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Liebelei
5. Kgg1
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ist;
ihr Auftreten in Lille den Ruf „A bas l'Allemagne!“ hervorgerufen !die Heldin Christine, sondern deren Vater ausspricht, der alte
Geiger am Josephstädtischen Theater, wird Schnitzler sicher das
haben, den man Jahre lang in Frankreich nicht gehört hat.“
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Naserümpfen aller Moralphilister eintragen, mehr noch wie seinem
auf:
Auf dem internationalen Schachturnier in Nürnberg siegte
dramatischen Vorredner Sudermann, der seiner Magda in der
nicht
Albin gegen Schallopp, Maroczy gegen Pillsbury, Steinitz gegen
„Heimath“ ähnliche Worte von dem „gleichen Recht auf Arbeit wie
Staa
Charusek, Wisnawer gegen Porges. Die Partien Schlechter gegen
auf Liebe“ in den Mund legt. Dennoch fühlen wir, daß aus dem
Lasker und Marko gegen Schiffers wurden Remis.
Schauspiel ein bedeutender Dichter zu uns spricht, der es versteht,
schon
Ein eifriger Agitator der Sozialdemokratie, für die er in Wort
wahre Menschen von Fleisch und Blut auf die Bühne zu stellen,
ganzi
mit markigen Strichen frappirend lebenstreue Charaktere zu zeich¬
und Schrift thätig war, saß am Donnerstag auf der Anklagebank
einm
nen und mit packender Stimmungsgewalt die Tragödie eines schlichten,
des Landgerichts Hof. In Weissenstadt (Oberfranken) hat in diesem
ganz
innigen Menschenkindes zu erzählen, die vielleicht gerade um ihrer
Frühjahr der Schweinehändler Gustav Frister, ein reicher und ge¬
Da
Einfachheit, ja ihrer Alltäglichkeit willen alle Hörer in ihren Bannkreis
achteter Mann, einen jungen Menschen, der auf ihn eindrang, in
eine
reißt. Das „Was?“ der Tragödie ist bald erzählt; von dem Inhalt ist
der Dunkelheit schwer verletzt. Der junge Mensch starb und Frister
wend
nicht allzuviel Aufhebens zu machen. „Was wird denn drinnen sein?
wurde in Untersuchungshaft genommen, später aber vom Schwur¬
mein
fragt einmal Koschat von einem seiner Lieder und antwortet gleich
gericht in Bayreuth freigesprochen. Als er noch in Haft war, kam
gehe
darauf: „A bisserl Lustigkeit — an' Menge Traurigkeit — a bisserl
eines Nachts ein Mensch zu Frister's Frau, der sich für einen
höfli
G'müath — und G'fühl, und sonst nicht viel.“ Er hat recht, der alte
Boten des Gefängnißwärters zu Kirchenlamitz ausgab und einen
zu 1
Kärnthner Liedermeister; seine Worte können auch von der „Liebelei“
Brief überreichte. Darin stand, daß der Gefängnißwärter dem Frister
Hier
gelten. Aber in der seltsamen Mischung dieser uralten poetischen
nach Amerika verhelfen wolle; Frister bekomme sicher eine schwere
festst
Ingredienzen liegt's, darauf beruht der Erfolg dieser dramatischen
Zuchthausstrafe. ja am Ende gehe es ihm gar an's Leben. Des¬
Aerz
Mixtur. Von einem düsteren Hintergrunde, der nach dem sprühen¬
halb wolle Frister fliehen und seine Frau solle dem Boten, einem
den Leichtsinn und fröhlichen Gläserklingen des ersten Aktes doppelt
verschwiegenen Manne, alles Geld im Hause mitgeben, auch die
städ
unheimlich wirkt, hebt sich die Tragödie Christinen's ab, des liebenden
Kleider, den Ueberzieher und ein paar Stehkragen einpacken. Sie
oder
Mädchens, das nichts weiß von Tändelei und Liebelei, sondern nur
solle sich aber beeilen, denn noch in dieser Nacht müsse der Kourier¬
unse
die eine große Liebe kennt, von der die Pessimisten behaupten, daß sie
zug erreicht werden. Den Brief solle die Frau zurückschicken, damit
Ihn
längst aus dieser schnöden Welt geflohen sei, und die man nicht
nichts herauskomme. Dies war ungefähr der Inhalt des Briefes.
sicht
verliert, ohne daran zu Grunde zu gehen. Und Christine geht zu
Die Frau ließ den angeblichen Boten warten, that, als ob sie den
zahl
Grunde. Unaufhaltsam schreitet das Schicksal über sie hinweg und
Auftrag ausführe, und — holte Leute herbei. Als der Mensch
geli
zermalmt ihr armes kleines Herz, das sie nicht im goldenen Leicht¬
dies merkte, ergriff er die Flucht, wurde aber von einem großen
sinn frühester Jugend, sondern in einem Gefühle echter, tiefer
Fleischerhunde festgehalten, obgleich er dem Thiere die Zunge
an
Neigung dem Geliebten geschenkt hat, der ihr Leben lang der „Herrgott
durchstach. Es stellte sich nun heraus, daß der angebliche Bote
bis
und ihre Seligkeit war“. Von der poetischen Kraft des Dichters legt
ein eifriger sozialdemokratischer Agitator, der 40jährige Schuhmacher
Mi
unserer Ansicht nach nichts ein größeres Zeugniß ab, als daß er
Wolfgang Heidel aus Weissenstadt war. Seine Angaben waren
uns auch in dem freilich viel zu langen dritten Akte noch für vor
natürlich völlig erlogen. Er wurde dingfest gemacht, und jetzt
seine Heldin zu interessiren weiß, nachdem sie erfahren hat,nat
erhielt er vom Landgericht Hof wegen seiner Schwindelei 1 Jahr
daß Fritz im Duell mit dem Manne der Frau, zu der er Lir
Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust. Vor Gericht gab er an, er
— Hu
in sündiger, aber heißer Liebe aufgeblickt hat, gefallen ist.
hätte für die sozialdemokratische „Oberfränkische Volkszeitung“, die
wei
Das Ganze verräth jedenfalls eine große Gabe für Menschen¬
ihn zu ihren Mitarbeitern zu zählen die Ehre hatte, nur ausspioniren
geb
schilderung, eine seine und tiefe Kenntniß der Psychologie, wie
wollen, ob Frau Frister nicht falsche Zeugen zur Verhandlung
und
sie den meisten Jungen und Jüngsten unserer Litteratur ver¬
gegen ihren Mann zu gewinnen suche.
zer
bunden mit einer so starken dramatischen Konzentration nur selten
Zu den Thorner Verhaftungen wegen Spionage wird noch
He
eigen ist. Wirkungsvoll sind in den einzelnen Figuren die Kon¬
berichtet: Die Verhaftungen erfolgten, nachdem der Briefverkehr
kodk
traste herausgearbeitet: der sentimentalen Christine, die das Leben
der Verdächtigen mehrere Tage bei der Thorner Postbehörde über¬
Mi
und seine Leiden so schwer nimmt, und dem weichen Fritz, der
wacht worden war. Besonders enthält ein Schreiben des Schacht¬
trotz allen Leichtsinns tiefen Gefühls nicht bar ist, stehen der
meisters Fahrin an eine russische Behörde, das zufällig dem Polizei¬
öffe
realistische, genußfreudige Theodor Kaiser und die tolle, lebens¬
inspektor von Thorn in die Hände fiel, viel Belastungsmaterial.
frohe Mizzi Schlager, das echte „Wiener Madl“, gegenüber. um
Die Vernehmungen vor dem Untersuchungsrichter finden tagtäglich
Eine wundersam tragische Figur ist der alte Weiring, der es so
statt. Sämmtliche in Haft genommenen Personen behaupten, un¬
gut meint mit seiner einzigen Tochter, die ein besseres Leben haben Adi
schuldig zu sein, und wollen von einer verübten Spionage nichts
sollte, als seine alte Schwester, die er zeitlebens bemutterte und u. s.
wissen.
bewachte, und die doch nichts hatte als ein freudloses, trauriges
Aus Karlsruhe wird gemeldet: In Renchen und in Willstedt
Dasein. Seine Anschauungen von dem argen „Recht des Mit¬ Bez
im Hanauer Lande sind in der Nacht vom 23. ds. Mts. fünf Erd¬
genießens“ sind allerdings stark moderner Natur, und es gehört Rat
beben mit donnerartigem Getöse verspürt worden. In letzterem
schu
nicht viel Kombinationsgabe dazu, sie Schnitzler und nicht dem
Orte werden die Stötze, welche kurz hintereinander folgten, als
stun
alten Violinspieler am Josephstädtischen Theater in den Mund zu
ziemlich heftig bezeichnet
Be
legen. Mit gleicher Virtuosität, mit der der Dichter übrigens die
Der sozialdemokratische Abgeordnete Jöst hat, entgegen dem
ihre
Tragik seiner Handlung wiederzugeben weiß, versteht er auch mit
dem sozialdemokratischen Parteivorstand gegebenen Versprechen,
wenigen, aber markanten Strichen eine übermüthige, lustige Be¬
Abends an den Verhandlungen der hessischen Zweiten Kammer
jede
wegung hervorzurufen; so ist das Enterieur einer vornehmen Jung¬
theilgenommen. Der Parteivorstand hat infolgedessen Jöst noch¬
nack
gesellenwohnung, in der Lust und Fröhlichkeit, Uebermuth und
mals aufgefordert, seine sämmtlichen Mandate sofort niederzulegen.
gesp
Sorglosigkeit zu Hause sind, ebenso echt dargestellt wie die von
Das Bremer Schiff „Arnim“ das vor 7 Monaten von Sunder¬
liege
kleinbürgerlichen Anschauungen geschwängerte Atmosphäre des
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land nach Chile fuhr, ist mit 17 Mann Besatzung verschollen.
ein
Weiring'schen Hauses. Arthur Schnitzler's „Liebelei“ ist noch keine
Oesterreich. Die Stadtvertretung von Gaya in Mähren
auch
dramatische Großthat, aber sie zeugt von so viel Frische, Ursprüng¬
wurde aufgelöst und ein Regierungskommissar bestellt.
Beid
lichkeit und Originalität eines reich veranlagten Bühnentalentes,
Frankreich. Der Regierung nahestehende Blätter melden
so m
daß man von ihrem Schöpfer noch Großes erwarten kann.
bevorstehende erhebliche Veränderungen in der diplomatischen Ver¬
Das Publikum befand sich vorgestern Abend in der denkhar glück¬
8 5
tretung Frankreichs Graf Montebello wird auf den Petersburger
möch
lichsten Stimmung und ließ sich selbst durch den eigentlich ziemlich
Posten nicht zurückkehren. Zum Botschafter in Petersburg ist Graf
Elekt
faden Einakter „A temvo“ von Enrico Montecorboli, der sich erst
Montholon, der Gesandte in Brüssel, ausersehen.

Anste
wie ein gefälliges jeu d’esprit anläßt und dann zu einer thränen¬
Die Regierung beauftragte den Präfekten des Nord=Departe¬
könnt
seligen Rührkomödie auswächst, nicht seine gute Laune verderben.
ments, einen ausführlichen Bericht über die Vorgänge in Lille
18 5
Erfah
Dieselbe samose Stimmung herrschte übrigens auch oben auf der
einzusenden, wo eine auswärtige Macht durch beleidigende Zurufe
54 —
Bühne, und gleich die ersten Scenen der „Liebelei“ in dem behag¬
geschmäht worden. Man kündigte auch Maßregeln gegen den
der st
8
lich ausgestatteten Junggesellenheim Fritzens, in das der tolle
Liller sozialistischen Bürgermeister und den Liller Gemeinderath
* 5
den e
Humor Dory Kaiser's vortrefflich paßte, den Herr Carl Witt ¬
an, dessen Auflösung bevorsteht.
9
einmal ganz in seinem Element! — mit sichtlichem Wohlbehagen
## #
Falls der Czar am 15. September nach Paris kommt, was
5
seit 2
und nicht minder sichtlicher Wirkung bei dem Publikum repräsen¬
ietzt allgemein geglaubt wird, soll eine große Truppenschau bei
Herbs
tirte schlugen zündend ein; unter diesem guten Eindruck schienen
Angouléme veranstaltet werden, wozu 200,000 Mann zusammen¬
dazwi
die Kräfte aller Mitwirkenden von Scene zu Scene zu wachsen.
Bekat
2 " gezogen werden.
Die neue Naive des Residenztheaters: Frl. Anna Fürst, konnte
In Lille dauerten die Ruhestörungen die ganze Nacht zum
soll,
sich für ihr Debut keine bessere Rolle wünschen, als die der Mizzi
Sonnabend fort. Eine Sozialistenschaar von 1000 Mann drang
glück
Schlager, dieses feschen Wiener Madls mit der fidelen Studenten¬
in das Redaktionslokal des „Progres du Nord“, mißhandelte die
Scht
moral „Morgen ist auch ein Tag, heute ist heut'“. Ihr Spiel ist
Redakteure und zertrümmerte die Fensterscheiben: eine andere
auf
decent und macht nie einen forcirten Eindruck, ihr Organ klingt
Schaar drang in die Redaktion der bonapartistischen Zeitung
näm
nicht unsympathisch, und ihre Bühnenerscheinung wird sich recht
Dépéche“ und mißhandelte den Chefredakteur Boulanger derart,
gut für das ihr zufallende Fach eignen. Hier und da hätte sie der
daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Dagegen stürmten die
vielleicht vorgestern Abend stärker, energischer charakterisiren und resig
Antisozialisten das Café del Planque, wobei ein blutiges Hand¬
der ganzen Figur mehr Farbe geben können; sehr gut benahm sie Geg
genienige entstand: 18 Personen wurden in's Spital gebracht.
Thrifine
—Bachri
Kant