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iebel
1.
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5. LEI
Nr. 4.
Mephisto
Seite 2.
Schnitzler's „Liebelei“ ist ein vornehmes Kunst= Zauber einer stark intuitiv wirkenden Genialität aus¬
geht. Dabei dürfte die Rolle der „Christine“ kaum
werk, „obgleich“ darin frivole und leichtfertige Menschen
auf dem Gebiete liegen, auf welchem die Eigenart
vorkommen, „obgleich“ darin ein junger Lebemann eine
dieser Künstlerin sich uneingeschränkt entfalten könnte.
Dame der großen Welt zur Geliebten hat und von
Ihre größten Erfolge dürften ihr wohl da erblühen,
ihrem Gatten im Duell erschossen wird, „obgleich“ er,
wo auch die Triumphe der Duse ihre Quelle haben,
nur um sich „Zerstreuung“ zu verschaffen, eine „Liebeter“
mit der sie übrigens zur Zeit ihrer Berliner Bühnen¬
mit einem armen braven Mädel anspinnt, das mit der
thätigkeit häufig verglichen worden ist. Mit Recht oder
vollen Jnnigkeit der ersten Liebe an ihm hängt und
Unrecht? Jedenfalls wäre es falsch, in Alma Reinier
ihm Alles hingibt, was es ihm zu geben hat. Trotz
eine Nachahmerin der Duse zu erblicken. Sollte wirklich
all' dieser „unmoralischen" Zustände und trotzdem darin die
hre Spielweise an die ihrer berühmten Landsmännin
Sprache des Volkes gesprochen wird, ist Schnitzler's
erinnern — ich habe diesen Eindruck nicht empfangen
„Liebelei“ ein vornehmes Kunstwerk, einfach deßhalb,
- so dürfte dies wohl sehr einfach mit der in der
weil es eben wirklich und wahrhaftig ein Kunstwerk
Abstammung liegenden Verwandtschaft und mit der
ist. Wer das nicht versteht, dem ist nicht zu bessen;
Thatsache zu erklären sein, daß sich eben doch natürlich
der mag sich in Gottesnamen im königlichen Residenz¬
bei allen Schauspielern gleicher Nationalität gewisse
theater „Madame sans gène“ ansehen und die Ge¬
Eigenthümlichkeiten eines ihnen allen gemeinsamen Stils
meinheit, die sich dort unter seidenen Prunkgewändern
verrathen. Daß Fräulein Reinier in einer Rolle, in
verbirgt, für Vornehmheit halten.
der sie entschieden noch nicht alle Register ihres Talentes
Wir Anderen aber wollen uns freuen, daß wir
ziehen konnte, so ergreifend, so erschütternd zu wirken
im Deutschen Theater die „Liebelei“ sehen und genießen
vermochte, ist wohl der beste Beweis für meine Be¬
konnten. Daß Direktor Meßthaler dieses entzückende
hauptung, daß in ihr das Deutsche Theater eine
Werk, welches man um Gotteswillen nicht nacherzählen
dramatische Künstlerin ersten Ranges besitzt.
darf, welches unbedingt Jeder selbst auf sich einwirken
Ein weiterer Vorzug dieser Aufführung, der übrigens
lassen muß, — daß Direktor Meßthaler dieses Stück
ebenso ihren Vorgängern eigen war, bestand in der allen
in München auf die Bühne gebracht hat, das ist in so
Feinheiten der Dichtung liebevoll nachgehenden Sorg¬
hohem Grade dankenswerth, daß man — ich will nicht
sagen: geneigt sein möchte, die noch bestehenden Mängel
falt, welche Oberregisseur Stollberg auf die In¬
scenirung des Werkes verwendete. Der in die Mysterien
der Darstellung zu übersehen oder zu bemänteln, wohl
des Bühnenlebens nicht Eingeweihte vermag freilich
aber sich ganz besonders verpflichtet fühlt, dem Ge¬
höchstens die der „Ausstattung“ der Bühne gewidmete
leisteten nach jeder Richtung hin volle Gerechtigkeit
Aufmerksamkeit zu würdigen und hält damit die Thätig¬
widerfahren zu lassen.
keit des Regisseurs für erschöpft, ohne zu ahnen, daß
Die Darstellung der „Liebelei“ war für die Be¬
hier seine Mühewaltung, deren höchstes Ziel die
urtheilung der Leistungsfähigkeit des Deutschen Theaters
stimmungsvolle und harmonische Interpretation der
auf dem Gebiete des Schauspiels mehr als irgend eine
Dichtung ist, erst beginnt. Selbstverständlich kann
der bisherigen Aufführungen instruktiv. Sie zeigte uns
dieser Vorzug in diesem Hause, dessen Raum¬
das Gute, was schon jetzt geboten werden kann, in hellstem
verhältnisse und dessen Charakter alle intimen Nüancen¬
Lichte und ließ zugleich erkennen, was noch fehlt, was
unerbittlich verschlingen, niemals voll zur Geltung kommen.
noch zu verbessern und zu vervollkommnen ist. Zunächst
Hiemit hatte ich das besonders Ruhmenswertheean—
verdanken wir dieser Vorstellung den stärksten Eindrück,
dieser Vorstellung berührt. Nun zu den Mängeln, mit
den bisher eine schauspielerische Leistung im Deutschen
welchen aber auch wieder Vorzüge Hand in Hand
Theater erzeugt hat. Was Fräulein Alma Reinier
gehen. Es ist entschieden nicht gelungen, etwas sehr
als „Christine“ bot, überragte nicht nur alles dort bisher
Wesentliches an der Schnitzler'schen Komödie: das
Geleistete, es hat uns auch die Ueberzeugung verschafft,
Wiener Lokalcolorit, den Wiener Lokalton einheitlich
daß in ihr das neue Theater über eine Künstlerin ver¬
wiederzugeben. Herr Schmidt=Häßler erwies sich
fügt, der, was die Intensivität ihrer Gestaltungskraft,
auch diesmal als ein Schauspieler von großer und
die Stärke ihrer Accente, das Colorit ihrer
gestaltungskräftiger Begabung, aber daß dieser „alte
künstlerischen Individualität betrifft, keine Münchener
Weiring“ die Violine im Orchester eines Wiener
Bühne, auch die Hofbühne nicht, etwas Ebenbürtiges
Vorstadttheaters spielt, konnte man ihm mit dem besten
an die Seite zu stellen hat. Fräulein Alma Reinier
Willen nicht recht glauben; ebenso schien die ehrsame
ist das, was dem Münchener Theater seit langer Zeit
Strumpfwirkerswittwe, so wie Fräulein Sanden
mein Gedächtniß reicht überhaupt nicht so weit —
(eine im Uebrigen gleichfalls bewährte Kraft) sie dar¬
fehlte; eine künstlerische Individualität von scharf
stellte, erst vor Kurzem aus Norddeutschland in
und tief ausgeprägter Eigenart, eine Persönlichkeit,
Wien eingewandert zu sein, vielleicht in Gesellschaft
welche mehr, sehr viel mehr zu geben hat, als eine
des „Theodor Kaiser“, der in den Händen des
correcte Wiedergabe dessen, was in der Rolle steht,
eine schöpferisch beanlagte Kraft, von welcher der Herrn Sick (eines allem Anschein nach sehr ge¬