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Liebele
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Theater und Musik.
Irbing Place Theater.
Agnes Sorma in „Liebelei“.
Als zweite Gastrolle spielte Agnes Sorma
gestern die Wiener Geigerstochter Christine
Weiring in Arthur Schnitzler's „Liebe¬
lei“, einer kleinen tragischen Herzensge¬
schichte, auf deren ganz volksstücksartigen
Alltagsscenen ein Hauch rührender Poesie
liegt, der Zauber einer weichen, aber doch
sich ehrlich und ungeschminkt gebenden
Stimmungslyrik. Die schlichte Fabel, welche
so heiter beginnt und so traurig endet, hat
keinen grobstofflichen Reiz, ist aber trotz
ihrer Einfachheit pathetisch genug, um der
großen Menge Theilnahme abzugewinnen,
ihr Rührung und Ergriffenheit in allen
möglichen Stärkegraden zu bescheeren. Aber
auch das kleine Häuflein geistiger Fein¬
schmecker, welche durch das Geräuschvolle
und Rührselige dieses auf den Wiener Lo¬
kalton gestimmten, mit Liebelei einsetzenden
und mit dem Tode zweier junger Men¬
schenkinder ausgehenden Stückes die
Stimme einer feinen und tiefen Poeten¬
kunst vernehmen, wird der gastirenden
Künstlerin für die anziehende Gabe herz¬
Soviel ge¬
lichen Dank zu sagen haben.
treue Wirklichkeitsschilderung und soviel
lautere Poesie, die auch das Einfachste und
Alltäglichste mit einem goldenen Schimmer
überzieht und in dem nüchternen Stübchen
eines armen Wiener Vorstadtmädels Alles
zum Grünen und Blühen bringt, wird man
nicht oft vereint im einem modernen Thea¬
terstücke finden. Um so tiefer war die
Wirkung der einfachen Herzenstragödie,
als Agnes Sorma für die Ver¬
körperung des Wiener Gretchen's die herz¬
ergreifendsten Töne voll Sehnsucht, Her¬
zensangst und Verzweiflung bereit hat.
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Agnes Sorma in „Liebelei“.
Wie Ibsen's Nora, so schreitet auch diese
zweite Sorma'sche Gestalt, die Wiener Mu¬
sikantentochter Arthur Schnitzler's durch den
ganzen Jammer der Entzauberung. Wäh¬
rend sich die norwegische Lerche in die Ein¬
samkeit flüchtet, um dort zu gesunden, bricht
dem armen Wiener Grisettchen — auch sie
Eine jener Asra, welche sterben, wenn sie
lieben — ob der grausamen Enttäuschung
das Herz. Sie ist eine Doppelgängerin der
Pariser Studentenliebchen, welche Henri
Murger und Musset literaturfähig gemacht,
aus dem Quartier Latin in Wiener Boden
verpflanzt. In einem kleinen Einakter, der
in der schon erwähnten Sammlung Wiener
Lebensskizzen in Dialogform „Anatol“
enthalten ist, schildert Schnitzler diesen Ty¬
pus so anmuthig wie rührend: „Die An¬
dere“, sagt Anatol zu einer Mondaine, „ist
einfach ein süßes Mädel. Ihre Wohnung
ist ein kleines, dämmriges Zimmer. Eine
Hängelamne mit einem Schirn Vom Fen¬
ster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht
auf die im Dunkel versinkenden Dächer und
Rauchfänge. Dort bin ich zuweilen auch
glücklich. Sie ist nicht bezaubernd schön,
sie ist nicht besonders elegant und sie ist
durchaus nicht geistreich, aber sie hat die
nenscheinstimmung der Liebes= und A
schiedsscene ist von wärmstem poetische
Reize.
Wie Christine den Tod des Geliebten
Zweikampf einer Anderen wegen erfäh
das bildet den Inhalt des dritten Akt
Keine Zeile hat er ihr hinterlassen, kein
letzien Gruß ihr gesendet, er, dem sie#f
mit Leib und Seele dahingegeben, ist g
Nimmerwiedersehen dahingegangen, sei
Verwandten, seine Freunde sind bei dies
Ereignis, das sie bis in's innerste H
trifft, achtlos und verächtlich über sie h
weggeschritten. Sie war ihm nichts
ein Zeitvertreib. Da schreit sie in furc
barem Jammer auf: „Hat er denn nicht
wußt, daß ich ihm Alles hingegeben ha
was ich ihm habe geben können, daß ich
ihn gestorben wäre, daß er mein Herg
gewesen und meine Seligkeit, hat er de
das gar nicht bemerkt? Er hat von
sortgehen können mit einem Lächeln 1
sich für eine Andere niederschießen lass
#
Vater, Vater, verstehst Du das?“
stürzt zur Thüre hinaus, zu
nem Grabe, wie sie sagt.
der zusammenbrechende Vater u
es besser: „Sie kommt nicht wieder,
kommt nicht wieder“, schluchzt er auf.
Das Schnitzler'sche kleine Werk hat v
theatralischen Standpunkte aus gewiß m
chen Fehler, zum Schaden einer stärke
dramatischen Wirkung herrscht eine we
lyrische Stimmung vor, es werden
feinster Kunst Seelenzustände geschild
aber die eigentliche Handlung ist nur ger
Aber doch sollte Jedermann, dem es
Theüter nicht nur auf grobstoffliche Reiz
gen ankommt, an dieser so einfachen
bensstizze, an der Wahrheit ihrer Emp
dungen, an der Schärfe der Charakter
der einzelnen Gestalten, der Echtheit
Milieus seine helle Freude haben.
allen Wiener Lebensbildern, die in den
ten Jahren zu uns gekommen, zeigt
Schnitzler'sche „Liebelei“ die feins
benmischung und die sicherste künstler
Hand.
Das ergreifende Spiel Agnest
ma's in der Wiedergabe der „Chrisi
haben wir schon oben erwähnt. Die al
zeichnete Künstlerin giebt das „süße M
goldecht, mit wundervoller Einfachheit,
leisen Anhauch weltfremder Unerfal
und rührender Innigkeit, Alles a
tiefsten Borne weiblicher Emp
geschöpft, in den ersten Scenen, Un
Schlußakte erregt der furchtbare Jam
Ausbruch alle Herzen auf's Tiefste.
Agnes Sorma über die echtesten Her¬
töne verfügt, welche man seit langem
irgend einer New Yorker Bühne gel
bewies ihre „Christine“, deren ergreife
Bild nicht so bald in der Erinnerung
Zuschauer verblassen wird. In dem ke
Hangen und Bangen, in der selb
Hingabe ihres ganzen Wesens, in
sehnsüchtigem Verlangen, dem Ge
Alles zu sein, in ihrer mädchenhaft
tenen Liebesfülle und in dem leiden
lichem Schmerze, als Alles zu Er
fesselt auch diese Sorma'sche#
Zuschauer von der ersten bis zur
Scene mit zauberischer Gewalt. Di
ist eine große Künstlerin. Das
Mizi Schlager milderte Fräulein
durch ihren prächtigen
ihre liebenswürdige Natürlichkein
Link gab den alten Musikus in sei
sten Vatertönen. Dem in
hineinwachsenden Fritz Lobhei
Frische und Natürlichkeit
Reusch, der jeden falscher
Ton vermied, sehr zu statten, als Cy¬
Kaiser war die wienerische Art des H
Strobl in ihrem richtigen Fahrwasser.“
Fräulein Pietsch war als geschwo
Strumpfwirkerin gut am Platze. Die
scenirung des Schnitzler'schen Dramas
□l.
Wsooile. Das in allen 4