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Liebelei
5. LLLEI box 11/1
„Theater, Kunst und Wissenschaft.“
Kures Teutsches Theater.
Sonnabend, 15. Nov.: „Der Kammersäu¬
ger“ drei Szenen von Frank Wedekind;
„Liebelei“, Schauspiel in drei Akten von Arthur
Schnißler.
Das Deutsche Theater hat zwei kurze Werke
in sein Repertoire ausgenommen, die früher schon
theils an anderem Ort, theils von einem fremden
Ensemble hier zur Aufführung kamen. Der große
Beifall; welcher am Sonnabend jeder der beiden
Aufführungen folgte, erwies, wenn er auch vor¬
nehmlich der ausgezeichneten Vorstellung galt, diesen
Griff der Direktion als gerechtfertigt.
Frank Wedekind ist der Neurastheniker unter
den modernen dramatischen Schriftstellern und seine
Muse leidet an Hysterie. Kinder aus solcher Ver¬
bindung pflegen mit dem modernen Allerweltsübel,
der hochgradigen Nervosität, behaftet zu sein und
alle Wedekindschen Bühnenfiguren machen in der
That einen etwas morphiumsüchtigen Eindruck. Und
so wenig man das zuweilen einem Anlauf zum ein mit feinen Pinselstrichen gemalter Charakter¬
Genialen nehmende Wollen Wedekinds verleugnen kopf, der einem mit dem Fallen des Vorhangs
nicht entschwindet, sondern den man vor seinem
darf, so wenig kommt sein Können zu ungeschwächter
dramatischer Wirkung. Man hat all seinen Büh= geistigen Auge immer wieder auftauchen sieht und
dem man vertraut zunicken möchte. Die Regie des
nenerzeugnissen gegenüber die satale Empfindung,
Herrn Walden verdient in ihrer Subtilität und
krankhaften Erscheinungen gegenüberzustehen und
Berücksichtigung intimster Details volle Anerken¬
kommt auch bei seiner Satire auf die schnöde Ma¬
nung. Den Ton des englischen Backfisches traf
terialisirung der Kunst durch beutelüsterne Impre¬
[Alma Lind recht gut. Alles Uebrige in dem
sarien
sänger.t sein „Kammer¬
Werkchen ist bedeutungsloses Beiwerk.
nicht davon los. Sein Gerardo ist
in dem Hasten und Jagen von Stadt zu Stadt,
Festeres dramatisches Gefüge zeigt Arthur
von Land zu Land, hyper=nervös, und seine Helene
Schnitzlers dreiaktiges Schauspiel „Liebelei“, allein¬
Marowa ist so bedenklich hysterisch veranlagt, daß
auch darin ist die Handlung auf ein Minimum kon¬
man den Revolverschuß, der dies Leben vernichtet,
densirt und Seelenstimmung tritt an ihre Stelle.
nicht einmal sonderlich zu bedauern vermag. Zwei
Der Inhalt? Der läßt sich in einem Satze wieder¬
nach der anderen Seite hin schlagende Satiren schuf
geben: Die Frau liebt mit dem Herzen, der Mann
Frank Wedekind aber in dem alten verkannten Opern¬
denkt nicht daran. Für die erstere ist die Liebe das
komponisten und in dem englischen Backfisch, der große Lebensereigniß, für den letzteren Episode. Und
alles gegeben hätte und mit einem Bilde des Ge¬
wenn diese Christine, die dem jungen Studenten
feierten sich begnügt. Wer das Künstler= und Büh¬
sich selbst mit Leib und Seele giebt, während er
nenleven kennt, weiß, daß der Autor hier zwei Sa¬
mit einer verheiratheten Frau ein Verhältniß hat
tiren schuf, wie sie schärfer umrissen selten auf die
und dann von dem Gatten niedergeknallt wird,
Bühne getragen wurden. In den Figuren an sich
ausruft: „Ja, was war ich denn für ihn?“ so
liegt denn auch der nicht allzu große Reiz des
giebt der Autor die Antwort in seinem Titel: Eine
Stückchens. Dramatisch ist es bedeutungslos.
nichts weiter und wir können es der
„Liebelei“
Aber diese drei Szenen, die sich in einem Auf¬
Christine nicht verdenken, wenn sie an sein Grab
zuge abspielen, haben Rollen, nach denen moderne
eilt, um nicht an demselben zu beten!
Künstler wohl Verlangen tragen mögen. Freilich
In das Stimmungs=Wallen der drei kurzen
fordern sie kluges Maßhalten. Ein Ueberschreiten
Akte hinein wirft der Autor zwei dramatische Blitze,
der Linie und aus den nervösen, jeder Stimmung
und die zünden. Das ist die kurze, dramatisch
nachgebenden Bühnenmenschen Wedekindscher Fak¬
wunderbar zugespitzte Szene, in welcher der betro¬
tur werden Karrikaturen. Es ist das Verdienst
gene Gatte vor den jungen Leichtfertigen tritt, und
kluger und sorglicher Regie, der wir im Deutschen
jene Schlußszene, in welcher Christine erkennt, daß
Theater auf Schriet und Tritt begegnen, daß diese
aller Reichthum an Liebe, die sie ihm schenkte,
Pinie nie überschritten wurde und so kann man an
für ihn nicht mehr als die Bedeutung einer ange¬
der Aufführung des „Kammersängers“ sein
nehmen Episode gehabt hat. Diese beiden drama¬
herzliches Behagen haben. Erich Kaiser hatte
tischen Höhepunkte des Schnitzlerschen Stückes fanden
bei der Ausgestaltung seiner Rolle mit sicherer Hand
in der Darstellung den erforderlichen künstlerischen
die Grundlinien seines unter dem Banne: „Kon¬
Ausdruck. Ganz vortrefflich, vernichtend in Ton
trakt“ von Erfolg zu Erfolg eilenden Künstlers ge¬
und Blick, spielte Julius Straßmann den
zeichnet und er füllte die Rolle mit vollem Leben
Gatten und Jenny Marba, welcher die Rolle
aus. Die nervöse Unruhe, das Hasten unter dem
der Christine anvertraut war, fand in jener Schlu߬
Fluchworte: „Müssen!“, die Abgestumpftheit gegen
szene für den Schmerz und die Empörung, die sie
das Gemüse des Ruhmes und die schmackhaftere
durchtoben, Töne so echter Leidenschaft, daß wir
Beilage allzubereiter Frauenliebe, die sich Tages¬
die junge Künstlerin dazu beglückwünschen. Frl.
berühmtheiten entgegendrängt — all' das kam in
Marba hat ein starkes Temperament, und eine Auf¬
Ton und Spiel wahr und gut heraus und hat unsere
gabe, die auf einem solchen sich ganz aufbaut, müßte
hohe Achtung vor dem Können dieses Darstellers
bei ihr eine interessante Durchführung finden. Eine
nur noch zu mehren vermocht. Zu großer drama¬
wundervolle Type leichtfertigen, feschen, gutherzigen
tischer Wucht steigerte Frau Hermine Stra߬
Wienerinnenthums bot wieder Olga Engl. Diese
mann=Witt die Rolle der Frau Helene Marowa.
Art Rollen spielt ihr mit gleicher Verve und Drolerie
Ihr glaubt man das Schwerglaubliche, daß ihr der
so leicht keine andere Darstellerin nach und sie lich¬
Lebenstrank ohne den Besitz dieses Künstlers schal
tete das Düstere der Stimmung in dem Stücke in
und ungenießbar erschien. Bis zur Athembeklem¬
erfreulichster Weise durch ihr ganz köstliches Spiel
mung mischte sie sinnliche Gluth und Verzweiflung,
auf. Mit dem Fritz fand sich Conrad Wiene
und diese Szeue riß denn auch die Zuschauer zu
ganz lobenswerth ab; besonders gut gelang ihm
stürmischem Beifall hin. Ein Kabinetstück prächti¬
der Ausdruck der gequälten Stimmung, in der er
ger Charakterisirungskunst lieferte Oberregisseur Max
Walden mit seinem Professor Düring. Das war sich befindet; eine prächtige Charge schuf Carl
Müller aus seinem „Theodor“; im ersten Akte
wirkte seine Komik zuweilen geradezu zwerchfell¬
erschütternd. Recht charaktervolle Züge wußte
Ernst Hiller seinem Hans Weiring zu geben,
der gelernt hat, gewisse Dinge mit verzeihender
Milde zu betrachten, und Helene Dietrich blieb
der Rolle der Frau Binder nichts schuldig. Nächst
Olga Engl hielt sie den Dialekt am konsequentesten
fest. Sehr geschickt war die Inszene des Herrn
Direktor Reusch. Sie unterstützte die intime Wirk¬
ung des Schauspiels in hervorragender Weise.
Das Publikum zeigte Interesse für beide Werke
und war von der Aufführung sichtlich auf's höchste
befriedigt. Duurch vielen und herzlichen Beifall
zeichnete es die Hauptdarsteller aus. Sie hatten
C. S.-8.—
ihn redlich verdient!