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iebelei
I.
box 11
5. L 1
Ao#heter und Musik.

Deutsches Theater.
Das Deutsche Theater wollte auf seinem Zugstück nicht aus¬
rühen und seinen Freunden, nicht zuletzt auch seinen Künstlern,
neue Anregung bieten. Aber es hat damit diesmal — aus¬
nahmsweise — keine so glückliche Hand gehabt wie sonst. Schnitz¬
lers „Liebelei“ ist ja gewiß ein fesselndes Schauspiel. Aber
es ist hier reichlich bekannt, so daß nur eine ganz hervorragende
Darstellung ihm neues Inieresse erwecken könnte. Und — um
das gleich zu sagen — hervorragend war die Aufführung am
Sonnabend nicht. Zunachst überraschte es, daß die Heraus¬
hebung des spezifisch Wienerischen bei weitem nicht mit der
nothwendigen Schärfe erfolgte, wie man sie von einer Bühne
erwarten durfte, die in der Wiedergabe wienerischer Stücke
nicht unerfahren ist. Hätte man den Kahlenberg mit dem Kreuz¬
berg und das Josefstädter Theater meinethalben mit dem
Ostendtheater vertauscht, dann hätte als Ort der Handlung
ebenso gut Berlin angegeben sein können — so wenig hatte man
den rechten Ton getroffen. Das war vor allem Frl. Marbas
Schuld. Der Künstlerin, die bereits schöne Talentproben zeigen
konnte, war in der Christine eine Aufgabe zutheil geworden,
für die sie trotz aufrichtiger Mühewaltung keine Lösung fand.
Sie suchte den Gegensatz zu ihrer oberflächlichen, skrupellosen
Freundin durch eine so larmoyante Thränenseligkeit festzulegen,
daß in diesen unaufhörlichen Salzfluthen schließlich alles Inter¬
esse ertränkt wurde. Dazu hatte sie sich, wahrscheinlich als
weiteres Charakteristikum für die Sentimentalität, eine so lang¬
same Redeweise zurechtgelegt, daß die endlosen Tiraden des
letzten Aktes, an sich in ihren fortgesetzten Wiederholungen schon
höchst bedenklich, dadurch nur noch unerträglicher, ja langweilig
Es ist denn doch ein großer Unterschied zwischen
wirkten.
Schnitzlers gerade in der Hinneigung zu romantischer Träumerei
so liebem uund süßem Mädel, dem Mädel, an dem man sich er¬
holen kann, und einer wandelnden Trauerweide. Und einer
solchen glich Frl. Marbas Christine vom ersten Auftreten an.
Vielleicht verschuldete es ihr Einfluß, daß auch Herr Wiene
als Fritz melancholischer als nöthig war, immerhin hatte er das
Verdienst, daß er dem wienerischen Charakter des Stückes am
nächsten kam. Auch Frau Engl und Herr Müller als das
andere Pärchen waren darin nicht gerade unglücklich; nur haftete
ihnen zu viel vom Dörmannschen „Ledige Leut'"=Milien an,
und die Atmosphäre in Schnitzlers „Liebelei“ ist doch im Ver¬
gleich zu der jenes Sittenbildes von einer geradezu idealen Ge¬
sundheit. Herr Hille als Weiring hatte zwar ebenfalls nichts
typisch Wienerisches, erfreute aber durch die zarte Diskretion,
mit der er seine heitle Ausgabe erledigte. Daß trotz aller Mängel
das Zusammenspiel unter Direktor Reuschs Regie feinfühlig
ineinandergriff, gewährte insbesondere im ersten Akte lebhafte
Befriedigung. Dieses tadellose Ensemble zeichnete auch die
Darstellung von Frank Wedekinds drei Szenen „Der Kam¬
mersänger“ aus, die den Abend einleileten, aber keinen
besonderen Eindruck hinterlassen konnten, da sie durch einen un¬
natürlichen Wortschwall entsetzlich lang gezogen sind. Die Idee,
wie der Künstler, der lediglich ein Werkzeug in der Hand seines
Impresarios ist, über eine schwärmerische Backfischliebe mit
dekadentem Anflug, über verkanntes Künstlerthum über leiden¬
schaftlich sich verzehrende Frauenliebe brutal hinwegschreitet,
ein Sklave seines Kontraktes, ist gewiß nicht übel, drängt aber
förmlich zu einer novellistischen Gestaltung, oder würde zu einer
wirksamen dramatischen Fixirung mindestens einer Hand be¬
dürfen, die im plastischen Gestalten geschickter ist als die Wede¬
kinds. Die drei Typen, — der Backfisch (Frl. Lind), der ver¬
kannte Komponist (Herr Walden) und die mit wahnsinniger
Leidenschaft liebende Frau (Frau Straßmann=Witt) — sind
an sich gut beobachtet, ergehen sich aber in endlosen Wieder¬
holungen: eine Eigenschaft oder — auf den Verfasser bezogen —
eine Unbeholfenheit, die den Titelhelden am kraffesten kennzeich¬
net, dessen nervöse Aufgeregtheit eigentlich nur dadurch gekenn¬
zeichnet wird, daß er fortgesetzt wiederholt: „Was wollen Sie?
Ich habe keine Zeit, in 25 Minuten geht mein Zug. Herr
Kaiser bemühte sich, das möglichst nnancenreich zu variren.
Daß auch ein so moderner Schriftsteller wie Wedekind nicht ohne
den Pistolenschuß auf der Bühne fertig wird, hat mich an
diesem Abend am tiefsten betrübt. — Der gute Besuch ermuntert
die Direktion vielleicht dazu, öfter solche „litterarischen“ Abende
zu veranstalten. Ihrem Geschicke wird es sicher ein Leichtes
Konz-
sein, dann eine glücklichere Wahl zu treffen.