Faksimile

Text

box 7/3
Anat
4.
Anatol. Von Arthur Schnitzler. Berlin 1893, Verlag
des Bibliographischen Bureaus. „Die lustigen Aoenturen....
Sind es nicht eigentlich die traurigen? — die, welche mit dem
Todeskeim geboren werden — die unter Sang und Klang be¬
ginnen und dann so dumm und ekelhaft enden! Zuerst gedanken¬
loses Verzeihen, dann bequeme Verachtung!" Das steht zwar
nicht im „Anatol“, sondern in Schnitzler's psychologisch tiefem,
wenn auch vielleicht nicht bühnenwirksamen Schauspiel „Das
Märchen“ aber sie bezeichnen am prägnantesten die ganze
Stimmung, der die vorliegenden feinen und geistreichen Einacter
entspringen. Es sind deren im Ganzen sieben und sie alle haben
den gleichen Helden — an sich eine neue und hübsche Idee —
einen schwermüthigen, übersensitiven Menschen, der in das All¬
tägliche seine eigene Empfindung hineinträgt und sich dann von
dieser Empfindung tragen läßt, der einen nervösen Widerwillen
gegen alles Niedrige und Banale empfindet und dessen Leiden
es ist, immer erkennen zu müssen, daß er zu hoch für all seine
Erlebnisse gestimmt war und daß sie an sich niedrig und banal
sind. Das kommt in all diesen dramatischen Skizzen zum Aus¬
druck und das Merkwürdige an ihnen ist, daß es eigentlich
lauter Lustspiele sind, deren Hauptfigur eine tragische Person
ist. „Aus dem reichen und schönen Leben deiner Seele hast du
deine phantastische Jugend und Gluth in ihr nichtiges Herz
hineinempfunden und was dir entgegenglänzte, war Licht von
deinem Lichte,“ sagt Freund Max zu Anatol, die beste
Charakteristik des Menschen, dessen ewige Qual es ist, sich selbst
zu täuschen und dann zur Erkenntniß dieser Täuschung zu
kommen.
Eine Anzahl gutgeschauter Details, hübscher Pointen und
charakteristischer Apergüs findet sich in diesem Buche, das viel¬
leicht den Moralinsauren an manchen Stellen zu weit geht,
für mein Empfinden aber aus rein künstlerischer Stimmung
heraus entstanden ist. Viele werden es nach flüchtiger Lectüre
französisirend finden, ich glaube mit Unrecht. Hermann Bahr
sagt einmal in seinem Aufsatze über Loris, dessen entzückende
Einleitungsverse eine Zierde des Schnitzler'schen Buches sind:
„.. daß es kein Franzose sein sollte!. .... Wir haben diesen
Schlag in Oesterreich, wenn er sich freilich meist gefließentlich
versteckt und von seiner spröden Schönheit nichts verrathen will,
den Schlag der heimischen Künstler. „. Er mußte lange
französisch gelebt haben, um so an Schnitt und Tracht des
Geistes durchaus pariserisch zu werden, wozu die Wiener Neigung
und Talent besitzen.“ Das ist mir so ungemein sympathisch im
„Anatol“, daß Schnitzler es mit Glück versucht, im Milien
und Dialog ein Stück Wienerthum festzuhalten und der typisch
gewordenen Pariser Cocotte, dem Pariser Lebemann das Wiener
Pendant an die Seite zu stellen, eine dankbare und bisher un¬
versuchte Aufgabe.
Im „Anatol“ dürfte wohl „Episode“ das Beste sein, dann
das „Abschiedssouper" und Die Frage an das Schicksal“.
Inhaltsangabe? Ich will mir diese billige Captatio lieber er¬
lassen. Am schwächsten finde ich „Agonie" und „Denksteine",
vielleicht irre ich mich, aber schließlich wird es Niemand leugnen,
daß alle kritische „Erkenntziß“ nur Empfindungssache ist und
daß die begründenden Gedanken erst hinterher kommen. Ich
will weder mich noch Andere in dieser Weise täuschen.
Richard Specht.
„Argus“,
Internationales litterarisches Institut.
Leipzig, rnalstrasse 2 Bendorf a. Rh. Paris, Rue Montmartre 155.
Zeischi DM

Nr.: □.
ereertereten e
Folio: sn
####ees susastessa
Anatol von Arthur Schnitzler. (Berlin, Bibliograph. Institut.)
Unter dem Namen Anatol vercinigt der Autor sieben in der Form der
dramatischen Eina### gehaltene Erzählungen, in deren jeder als Mittel¬
punkt Anatol, eine echte Wiener Oberklassenfigur, halb Lebemann, halb
Künstler halb Lyriker, halb Schwärmer aber begabt mit einem guten
Portemonnaie, steht.) In fünf dieser Einacter erscheint noch neben der Haupt¬
figur des Anatol sein Freund Max, der ähnlich wie die Heldenfreunde
bei Shakespeare, den Beruf hat als negatives Charakterisirinstrument zu
dienen ohne selbst weiter charakterisirt zu sein. Sobald er nämlich mit #
Anatol zusammen kommt, gibt es Gefühlsideenscharmützel, aus dem Max
sich gesoöhnlich dann zurückzieht, wenn die Hauptschlacht beginnt, nämlich
Anatol's Kampf mit dem Weib. Nur in einem Falle, in dem reizenden
Einacter „Episode“ behauptet Max das Feld während Anatol etwas ge¬
demüthigt zu weichen hat. (Die inhaltliche Wiedergabe der Sujets würde
viel von dem eigenarligen Zauber nehmen, den sie durch die Form er¬
halten haben. Die einzelnen Beobachtungen, die allenthalben eingesirent
sind, haben etwas eisblumenhaft zartes. Ein rauher Hauch macht sie zu
Wasser zerfließen. Daher gewinnen sie, gehört aus dem Mund eines
ähnlich gearteten Recitators, wie Emanuel Reicher noch unendlich gegen¬
über der Lectüre, wie der Erfolg, den dieser Schauspieler mit dem Vor¬
trag des ersten Anatolstückes „Frage an das Schicksal“ jüngst errungen,
zur Genüge dargethan hat
Pna4