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box 8/5
4.9. Anato
Zyklu-
lentoret.
rar
t und Wissen, der heutigen Ausgabe
des „Hann. Cour." ist
Nummer unserer Beilage „Welt und Wissen beigegeben:
Nummer enthält die folgenden Artikel: Hans Kaiser:
Sharaku. — Ludwig Speidel: Frauenalter. — H. Hart¬
leben: Wie die Vorzeit wieder lebendig wurde.
Schnitzlers Anatol.
der
(Nachdruck verboten.)
Berlin, 5. Dezember.
Direktor Brahm, dem Hirschfelds „Zweites Leben" durch¬
gefallen ist, macht aus der Not eine holde Tugend und schafft
sich einen „neuen alten Schnitzler an. Den wirklich neuen
Schnitzler, den „Jungen Medardus aufzuführen, dazu ge¬
bricht's ja doch wohl an Mut. Der neue „alte“ Schnitzler ist
aber der „Anatol. Seit mehr als fünfzehn Jahren werden
dann und wann einzelne Stückchen der Anatol=Einakter auf¬
geführt; einmal, um eine lachfreudige Soubrette als Annie
im Abschiedssouper in Parade vorzuführen, ein andermal,
um einem zu kurz geratenen Materabend die nötige Länge
inzuflicken. Die köstlichen Demoletts, in denen der Wiener
Poet, alle Franzosen geschlagen hat, wirken natürlich auch
jedes für sich; kein Herausreißen aus dem Zusammenhang,
der da besteht und doch nicht besteht, kann den reizvollen
Skizzen aus dem Leben eines Junggesellen, der den leicht¬
innigen Melancholiker posiert und sein Leben mit dem „süßen
Nadl" verbringt, den feinen Duft nehmen.
Nun hat Brahm das gethan, was die Direktoren alle nicht
u tun verstanden (er bis jetzt auch nicht), und führt alle fünf
Einakter an einem Abend auf. Das gab zwei entzückende
Stunden. In der Reihenfolge, in der die Stückchen gegeben
erden, liegt eine ganz deutlich wahrnehmbare dramatische
entwicklung, so daß sich die fünf Szenen zu einer runden
unggesellen- und Grisettenkomödie schließen. Im ersten, der
Frage an das Schicksal“, fürchtet sich Anatol, an die
ypnotisierte Geliebte die Frage zu richten, ob sie ihm auch
ten sei. Der Herzenverbraucher ist seines unbedingten Sie¬
rtums doch nicht so gewiß, aber der süße Wahn, restlos ge¬
ebt zu sein, ist ihm lieber als die gegenteilige Gewißheit
uch der Uebergang vom Vorstadtmädl, dessen Seele und An¬
ut ja Schnitzler für die Literatur entdeckt hat, zur Frau der
esellschaft gelingt Anatol nicht; Gabriele, in dem Stim¬
ungsbildchen „Weihnachtseinkäufe, bleibt unnah¬
er und kühl, weil sie „nicht den Mut hat, und sie selbst
eist ihn zu seinem Vorstadtglück, mit dessen verlockender
childerung er sie ködern möchte. Wie er dann im „Ab¬
hiedssouper der lustigen Choristin den Abschied geben
will und ihn selbst erhält, ist nicht so blamabel für seine lie¬
benswürdige Renommisterei als die tragikomische Erkenntnis,
so arg
von einem Zirkusfräulein — (in der „Episode")
vergessen worden zu sein, daß die Vielgeliebte ihn nach kurzer
Trennungszeit nicht wiedererkennt.
Zum Schluß präsentiert er sich als angehender Ehemann
(„Anatols Hochzeitsmorgen"). Der konventionelle Aus¬
klang eines tändelnden Don Juantums. Die feurige Ilona,
mit der er die Nacht vor seinem Hochzeitstag verbracht hat,
ruft allerdings seiner Wohnung ein: Auf Wiedersehen! zu,
und die Perspektive auf Anatols Ehemannseskapaden ist
gestellt.
Hier liegt vielleicht für Schnitzler eine Lockung. Aber er
hat ihr bis jetzt widerstanden. Wohl Trivialitäten der Ehe¬
bruchsfarten fürchtend. Und er soll es auch bleiben lassen;
Anatol gibt Jugend in allen Reizen übertriebener Sentimen¬
talität, in allen Sprüngen unbekümmerter Leichtfertigkeit, in
allen Rücksichtslosigkeiten schrankenlosen Sichauslebens. Die
Aufführung des Lessingtheaters verhärtete die wienerische
Weichheit; Heinz Momard (Anatol) war ein wenig eckig und
säuerlich; Reicher (Max) unelegant behäbig. Aber die
Mädel sind entzückend. Vor allem Mathilde Sussin in den
Uebermütigkeiten der Abschiedssouper-Annie. Und diese
Jugendlich=Lustige hat bis jetzt nur kranke Tanten spielen
dürfen. . . .