Faksimile

Text

4.9. Ana¬

klu-
box 8/5
deklamiert, wo Schweigen innerlichst geboten; und wird weitläufig
und eloquent, wo Kürze und Einsilbigkeit das Selbstverständliche.
Auch der Sattlermeister Eschenbacher, sonst eine so menschlich liebevoll
gesehene und gezeichnete Figur des Dramas, hat Hang zu sublimen
Wendungen. Er schaut in die Frühlingslandschaft hinaus und kon¬
statiert: „Die Säfte quellen. Man hat die Empfindung: innere
Poesie einer guten Seele schwitzt, harzgleich, nach außen durch. Der
Totengräber meint: „Mir ist noch keiner auskommen. Totengräber
im (dichterisch=qualifizierten) Schauspiel haben immer so was jovial
Tristes. Ein Hauch gutmütiger Verwesung ist um sie. Dann erscheint
in der Dichtung: ein uralter Herr mit einem kleinen Mäderl. Der
alte Herr mokiert sich übers Sterben. Gleich hat man die peinliche
Gewißheit, daß ganz bestimmt das kleine Mäderl früher wird daran
glauben müssen als der Greis. Richtig. In der Bastei=Szene wird,
als einzige Person, das Kind erschossen. Der Tod (im dichterisch¬
qualifizierten Schauspiel, hat immer so säuerlich wohlschmeckend
ironische Pointen. Da ist ein alter Arzt, der plötzlich ein wild=weh¬
mütiges, schneidend humorvolles Hadern mit Gott beginnt, weil der,
kommt ihm die Laune, Kinder vor den Eltern sterben läßt, und weil
überhaupt das Leben eine Senkgrube ist, voll von mephitischem Jammer
bis an den Rand ... Die Ballade mit ihren vielen Einlagen
übers Sterben scheint mir nicht die wertvollste Substanz des Schnitzler¬
schen Werkes.
Im Theatralischen, in der Komödie voll Spannung, Aufregung,
Ueberraschung liegt meines Erachtens der Hauptwert des „Jungen
Medardus. Szenen von kräftigster Konzentration (die erste Fried¬
hofsszene, die Zähmung des wilden Medardus durch die Prinzessin,
die Schlußszene, die letzte Szene des Eschenbacher und manches andre)
bannen immer wieder das erst affende Interesse. Mit erlesenem
Geschick sind die dramatischen ege der Hauptakteure verschlungen,
mit der äußersten Straffheit, gewissermaßen in der Luftlinie, spannen
sich die Fäden von Schicksal zu Schicksal. Ausgezeichnet der kleine
Auftritt zwischen Prinzessin und Arzt in seiner Ruhe, Klugheit und
Noblesse, die blanke, schimmernde Einfachheit der Szene zu Beginn
des Stückes, die bunte Szene vor dem Schönbrunner Schloß, fast
überquellend von Aktion und Affekt. Alles, was „Theater im Jungen
Medardus, scheint hoch qualifiziert.
Minder glücklich ist die Historie geraten. Sie wird breit, aber
ganz in der Fläche entfaltet. Ein künstlich bewegter Binnensee von
Menschen ohne natürliche Strömung, ohne Wellenschlag. Die Bastei¬
Szene ist ganz armselig. Man kommt und geht, benimmt sich furcht¬
sam oder lächerlich oder heldenhaft; aber alles so gleichgültig-typisch,
ohne Lebhaftigkeit in der Farbe. Der hier gesprochene Text ist
durchaus belanglos; er könnte ruhig wegbleiben. In der bildhaften
1266