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4.9. Anatol - Zyklu-
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m. s.
Wie schon angedeutet, war der Einakter falsch besetzt. Das lichkeit führt dann zu einem ebenso komischen wie für die Be¬
fuhe.
teiligten peinlichen Auftritt mit dem gleichgearteten Bräutigam
Stück braucht, um wirken zu können, das warme Kolorit der
seinkäufe
in spe, dem Privadozenten Dr. Appell, den der besorgte Vater
Wiener Sprache, denn nur in Wien u. nur in dieser Sprache können
ma: „Lottchens
gleichfalls „aufzuklären“ für seine Pflicht hält. Schließlich aber
ein Herr und eine Dame der großen Welt so offen, so leicht und
löst sich alles in Wohlgefallen, in einer Verlobung auf, und dem
doch so ernst über dieses nicht salonmäßige Thema plaudern.
Professor fällt ein Stein vom Herzen, als seine Tochter mit dem
Herr Baumbach, der den Anatol gab, bemühte sich zwar
dem feierlicheren
gesunden Freimut eines modernen Mädchens erklärt, daß sie
wegnerisch zu sprechen, aber es gelang ihm nicht; Frl. Noor¬
tten sich gestern
heimlich einen Hebammenkurs mitgemacht habe.
man verzichtete als junge Frau ganz darauf. So wurde das
er, Otto Erich
feine Zwiegespräch seines wahren Charakters entkleidet und er¬
Gegen die vorhergegangenen dichterisch feinen Stücke wirkte
Waffen, die
zielte darum nicht die Wirkung, die es eigentlich verdient hätte.
„Lottchens Geburtstag“ derb und plump. Trotzdem brachte es
waren nicht
Der Einakter schrie ja förmlich nach Frau Ermarth und Herrn
dem Verfasser den stärksten Erfolg des Abends ein, denn Ludwig
urzem Einakter
Herz. Wenn diese bei auch am Dienstag die Penthesilea und
Thoma kennt sein Publikum. Das Stück streift oft hart an die
kam infolge
den Achill spielen müssen, dies kurze Zwiegespräch hätten sie ge¬
Grenze dessen, was auf einer guten Bühne gesagt oder angedeutet
Es gab aus
wiß auch bewältigen können. Oder man hätte die Aufführung
werden darf. Das halb enthüllte Pikante reizt und wirkt und
Zwiegespräch
besser auf später verschieben sollen, lieber als daß man das graziöse
darauf hat Thoma in der Hauptsache spekuliert. Der Dialog ist
treffen sich
Stückchen totspielte.
mit raffiniertem Geschick bis an die entscheidenden Worte geführt,
und ein Herr
gesagt werden sie aber nicht, nur in die Ohren getuschelt oder
en heimeilen
Ein Stück aus Otto Erich Hartlebens „Studentenpoesie" kam
in letzter Verlegenheit unterdrückt, aber so, daß sie der Hörer
inem Mädel
dann an die Reihe. Nach dem lieben süßen Wiener Mädel das
das Ge¬
erraten muß. Darauf beruht der Lacherfolg von Thomas Ein¬
waschechte mund= und schlagfertige Berliner „Verhältnis“, die be¬
des unver¬
akter, der, wie angedeutet, ein Meisterwerk geschickter Theater¬
rühmte Lore, um deren Gestalt der ewige Student Otto Erich
mache ist. Die Gestalten sind auch nach dem Geschmack de
del". Mit
einen Kranz seiner schönsten Gedichte geschlungen hat. Der Ein¬
Publikums gezeichet. Vor allem der Professor Giselius, der ge¬
hochmütigem
akter „Lore" ist die dramatisierte Geschichte vom abgerissenen
nau so aussieht, wie das Bild, das sich die große Masse von einem
Forstadtliebe,
Knopf, die ja wohl jeder Gebildete wie den „Gastfreien Pastor
verdrehten Universitätsprofessor macht, nach den Witzen der
am bei der
einmal gelesen hat. Die Aufführung war vorzüglich. Schon die
hr einstiger
„Fliegenden Blätter“ und des „Simplizissimus". Herr Dapper
Einrichtung der möblierten Studentenbude war köstlich stilgerecht.
gab dann die Figur noch um einige Grade derber und ein¬
andnis da¬
Ausgezeichnet in Sprache und Stil war Herr Hugo Höcker als
fältiger, sodaß der Titel „Kapazität", mit dem der Professor von
Verhältnis
steifleinener Vetter, der das Sein oder Nichtsein eines „soliden
Sie hatte
seiner Umgebung öfters belegt wurde, auf diesen Mann wirklich
Verhältnisses auf einen anzunahenden Blusenknopf gründet. Von
nicht paßte. Die Gestalt hätte bedeutend seiner und distinguierten
Mädel zu
erfrischender Echtheit, Anmut und Natürlichkeit war die Lon¬
gegeben werden sollen. Das gleiche gilt von dem Privatdozenten
daran, daß
des Frl. Müller. Den Höhepunkt erreichte ihr Spiel, als
des Herrn Rex, der so unscheinbar und kümmerlich war, wie ein
nach Hause.
sie dem entrüsteten Vetter auseinandersetzte, es sei besser, ein
verhungerter Dorfschullehrer, auch natürlich nur nach dem Bilde
schlossen
Knopf sei los, als eine — Schraube. Gut waren dann auch Herr
der Witzblätter. Gut war die Professorin der Frau Pix, die
ein Mädel
Krones als „der Kleine“ und Herr Pleß als Fred.
auch von dem Dichter zu gewöhnlich gezeichnet ist. Vortrefflich
Den Schluß des Abends bildete Ludwig Thomas erst
hat Frau Frauendorfer die kleine Rolle der Cölestine durch¬
Frau, die
vor kurzem bei Langen erschienenes Lustspiel „Lottchens Ge¬
geführt, wie Frl. Holm die der Lotte. Nicht unerwähnt darf auch
dazu nicht
burtstag“. Es soll eine Satire auf das Problem der
das famose Dienstmädchen von Frl. Genter bleiben.
sexuellen Aufklärung sein. Der welt= und menschenfremde Uni¬
Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Eltern Kinder
versitäts=Prosessor Giselius hat es sich in den Kopf gesetzt, seine
liegt in
in solche Stücke schicken können, ohne sich vorher über
Tochter Lotte an ihrem zwanzigsten Geburtstag in die Geheim¬
natal dem
deren Inhalt zu vergewissern. Jede Zeitungsredaktion und die¬
nisse der Ehe einzuweihen. Seine Verschrobenheit und Ungeschick¬