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Text

4.9. Anat
1
yklus
box 9/1
vor
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Gent, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
den der
Ausschnitt aus:
burger Post
Straßburger Stadttheater.
Anatol.
K. S. Straßburg, 9. November.
Die Anatol-Einakter Arthur April dieses
Jahres zun ersten Male in einer literarischen Nachmittäg=Vorstellung
auf der Straßburger Bühne erschienen, haben nun auch den Abonnenten
ein paar zärtliche Stunden gebracht. Der Verfasser bietet darin, wie
man sich erinnert, allerlei kleine Genreszenen aus dem Leben eines
Wiener Junggesellen. Nach seiner Ansicht haben diese Einspänner an der
schönen blauen Donau das goldenste Herz, das man sich denken kann.
Immer und ewig sind sie verliebt: bald in eine Dame von Stand,
bald in ein armes Vorstadtmädel; ihre Liebe flattert mulig hinter die
Kulissen der Theater zu den zärtlichsten Tänzerinnen oder sie setz sich
zu einer Zirkusreitern aufs Roß und galoppiert mit ihr durch die
fackelbeleuchtete Manège. Groß, leidenschaftlich, pathetisch oder gar
ragisch ist diese Liebe niemals. In der Sonne entstanden, geht sie
mit der Sonne meist zur Ruhe; manchmal dauert sie nur ein paar
Stunden, manchmal einen Tag oder zwei, oder sie schlingt ihre Rosen¬
gewinde durch einen halben lustigen Winter von einer Redoute
zur andern. Das Frivole an ihr wird gemildert und verklärt
durch eine behutsame Zärtlichkeit, in der meist etwas Wehmutvolles
und Entsagendes mitschwingt, weil alle diese Leuthen nach
der 2 des Anatol von vornherein wissen und es auch
ihren großen und kleinen Damen rechtzeitig beibringen, daß in ihrer
Liebe die Keime des Welkens und Sterbens ein für allemal schlummern.
Die gestern gespielten Szenen — denn um mehr als geistreich dialogi¬
sierte und scharf pointierte Szenen handelt es sich nicht — boten
Ernstes und Heiteres in den milden, abgetönten Farben der Schnitzler¬
schen Kunst. In der Frage an das Schicksal, die die Reihe er¬
öffnete, vertritt der Dichter den Standpunkt, daß es für das
Glück der Menschen oft besser ist, einer Wahrheit nicht
auf den Grund zu gehen und sich lieber mit einer
frommen Lüge zu belasten, als seine Illusionen vor der Zeit zu
zerstören; die Weihnachtseinkäufe erwecken in einer Dame der
Gesellschaft den leisen Wunsch, doch auch einmal so lieben zu dürfen
wie eines der kleinen, sich skrupellos dem geliebten Mann hingebenden
Mädels, zugleich als auch die bittere Erkenntnis, daß zu solcher Liebe
ihr der Mut fehlt; in der Episode muß Anatol erfahren, daß ein
Mann im Ueberschwange des Gefühls die Dame seines Herzens leicht
mit Eigenschaften schmückt, die diese gar nicht besitzt und die darum seiner
blühenden Liebe eigentlich nicht wert ist, und in Anatols Hoch¬
zeitsmorgen zeigt der Dichter an einer Groteske das Ende
einer solchen Vorstadtliebe mit dem zarten Hinweis da¬
rauf, daß eine Ehe eine derartige Liebele wohl unter¬
brechen kann, nicht aber gerade zerstören muß. Alles das bringt Schnitzler
fein und kultiviert mit einem sanften, überlegenen Humor, der jede
Schärfe mildert, und mit einem Takt, der ihm alles zu sagen erlaubt und im
entscheidenden Augenblick zu schweigen versteht. Die Aufführung ent¬
sprach im allgemeinen der vom April. Herr v. Prangen als Anatol
und Herr Ernst als sein skeptischer Freund Max hatten als Vertreter
der Wiener goldenen Jugend die erforderliche Haltung, wenn manches
auch noch frischer und rassiger hätte geboten werden können
In die Frauenrollen verschiedenen Schlags teilten sich die Damen
Gaab, Schoenemann-Heuberger, Meißner und Gast; auch
bei ihnen gelang das Meiste gut. Im Szenischen hatten wir von der
Spielleitung einige Besserungen erwartet. Konnte man das Straßenbild
in den Weihnachtseinkäufen nicht ein wenig mehr beleben? Das Heran¬
kommen des Wagens nach der Beendigung des Gesprächs hätte sich
doch wohl durch Räderrollen oder Schellengeläute bemerkbar machen
können. Auch ein paar tanzende Schneeflocken wären für die Weihnachts¬
stimmung von Vorteil gewesen. Hübsch war das letzte Junggesellen
Zimmer im Glanze der Morgensonne.