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4.9. Anatol - Zyklus
chnitt aus: Deutsches Abendblatt.
Neues deutsches Theater.
Gauspiel Leopold Kramer.
Anatol.
Für Einakter aus dem gleichnamigen Zyklus von
Artur Schnitzler.
In seinem „Ana¬
den Typus
des weichen, sein vibrierenden Wiener und
Liebeskünstlers geschaffen, der mit dem prickelnden
Raffinement einer vorurteilslosen Dialektik, lächelnd
und verlegen witzelnd über alle Höhen und Tiefen
des menschlichen Empfindens dahinschreitet und wie
der müde Ausklang eines schluchzenden Walzers ver¬
schwindet, man weiß nicht wie und wo. Diesen Ana¬
tol zeichnet unser viellieber Gast mit geradezu un¬
heimlicher Sicherheit. Verwunderten Auges und
pochenden Herzens denkt er in lockendem Gespräche
mit einem entzückenden Weibe, an das andere,
schweigt in Wonnen köstlich konstruierter Gefühle,
ersinnt die delikatesten Fragen an das Schicksal, hat,
im Falle, nicht den Mut, sie tatsächlich zu stellen
und verliert sich schließlich in den lustigsten Kapriolen
des verlegenen Schoßlindes der Liebe. In der drei¬
fachen Steigerung dieses Themas fand er an den
Damen Neff (Weihnachtseinkäufe), Hermine Me¬
delsky (Abschiedssouper) und Maria Deval
(Hochzeitsmorgen) brillante Partnerinnen. Recht
gut hielt sich auch Frl. Margit Gottlieb als
Cora in dem Eröffnungsstücke. Ein nicht uninteressanter
Versuch war die Besetzung der Bianca in der „Episode
mit Frl. Annie Hoffmann. Die Rolle des Max
des unbeteiligten Dritten, der etwa den Rest des
natürlichen Alltagsverstandes in dieser Welt reprä¬
sentiert, spielte Herr Huttig mit vollem Verständ¬
nis der jeweiligen Situation. Das sehr gut besuchte
Haus unterhielt sich großartig und stürmte zum
Sie den leben hat immer nieder beruft.
Seite aus.
16 bendblatt
m:
Ant¬
Parschein Teisten
ter.
Gis w. Deutsches Landestheater. Herr Kra¬
ner spielte gestern Schnitzlers „Anatol. Der
liebenswürdige Bonvivant und Charakterspieler des
Wiener Volkstheaters, der in Bernsteins Lebemanns¬
then und in Monars Verwandlungsvollen zu do¬
minieren vermag und seine Konversation in geistvol¬
len Lichtern aufblitzen läßt, scheint der von Naivität
und Idealismus angehauchten Schnitzlerschen Viveur¬
figur einigermaßen entwachsen. Die Maske macht allzu
gesetzten Eindruck und die Geste entbehrt des Elasti¬
schen, Agilen, das übrigens Herrn Kramer sonst
Auch in bejahrteren Rollen eigen ist; vielleicht wünscht
er diesen Anatol als sinnend rückblickenden Phlegma¬
tiker hinzustellen, den manigfache Erfahrungen erüch¬
tert haben. Demgemäß gestaltet er auch Empfindungs¬
ausdruck und Sprache, die nur beim „Abschieds sou¬
per“ aus dem Ton des Gleichtemperierten, Feinpoin¬
tierten ins Temperamentvolle aufspringt. Von den
fünf Einaktern war auch das „Abschiedssouper
das einschlagendste und Frl. Medelsky ein schau¬
spielerischer Leckerbissen für den anspruchsvollsten Gour¬
mand. Weitere Liebesheldinnen des amüsanten Fünf¬
akters hatten die Damen Neff, Gottlieb und
Hofmann darzustellen. Frl. Neff sprach in distin¬
guierter Haltung, weich und wohlklingend. Fräulein
Gottlieb bediente sich geschickt des spitzen Tous
eines Lustspielsoubrettchens, währen unsere Operet¬
tensoubrette Frl. Hofmann sich ganz gut in die
Rolle der Schauspielmondäne hineinfand.
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Die „Dramatisch-literarische Gesellschaft“, die in
Brüssel deutsche Theaterkunst pflegt, ist sehr ehrgeizig. Wie unser
Brüsseler Korrespondent meldet, hatte sie jüngst den Direktor
des „Deutschen Theaters von Köln, Herrn Kuhnert, eingeladen,
damit er vier Stücke aus Schnitzlers Anatolzyklus und Hartlebe
Schnurre von Lores abgerissenem Knopf aufführe. Bevor dies ge¬
schehen durfte, waren beträchtliche Hindernisse zu überwinden. Sehr
viele Deutsche Brüssels waren höchst feindlich aufgelegt gegen Schnitz¬
ler und Hartleben, denen sie die gefährlichste Unsittlichkeit vorzu¬
werfen hatten. Es mußten an die Kunstfreunde eigene Drucksachen
verschickt werden, die gewissermaßen alles wiederholten, was deutsche
Literaturgelehrte mit Professortiteln zugunsten der umstrittenen Stücke
gesagt hatten. Trotzdem wurde ein Aufstand der Schnitzlerfeinde im
Theater befürchtet. Das Unglück trat aber nicht ein, und die Ent¬
rüsteten schwiegen, obwohl die Schauspieler von Köln die Wiener
Dialoge nicht sanft genug, nicht genügend verwandelt von der an¬
mutigen Ironie ihres Textes sprachen.
Husschnitt aus:
vom 1802
Deutsche Kunst in Brüssel. Man berichtet uns aus
der belgischen Hauptstadt: Die Literarisch-drama¬
tische Gesellschaft, die sich das hohe Ziel gesetzt hat,
das Niveau der künstlerischen Interessen der Deutschen in
Brüssel zu heben, glaubte leider ihrem Ziele näher zu kom¬
men, indem sie die diesjährige Saison mit einer mäßigen
Aufführung von Sudermanns „Es lebe das Leben er¬
öffnete. Am zweiten Abend war dann vorsichtig der Versuch
gemacht worden, den süßen, geistreichen Leichtsinn von
Schnitzlers „Anatol=Zyklus auf die streng richtenden
Gem hiesigen deutschen Publikums einwirken zu
lassen. Eine ganze Reihe von Auszügen aus Kritiken führ¬
ten Schnitzler auf der Einladung genau so ein, wie die Kon¬
zertagenturen mit beginnenden Sängerinnen und Klavier¬
virtuosen zu tun pflegen, und so waren denn die Zuhörer
einigermaßen vorbereitet auf alle jene kühnen Unmorali¬
täten, die nun von der Bühne her in den Saal schwirren
sollten. Denn so mancher brave deutsche Philister hier ist
nun einmal so, daß er unbedenklich den schlimmsten Ehebruchs¬
schund mit anhört, wenn nur die Sprache französisch ist und
der glatte gewohnte Verlauf des Spiels keine allzugroßen
geistigen Anforderungen an ihn stellt, daß er aber sofort vor
Entrüstung siedet, wenn statt der üblichen Franzosen ein
Deutscher von der Bühne spricht, der sich sogar so weit ver¬
gißt, ein Künstler und ein Dichter zu sein. Dem „Anatol¬
Zyklus voran ging Otto Erich Hartlebens amüsante „Lore"
Die Aufführung durch Mitglieder des Deutschen Theaters in
Köln war recht gut. — Der deutsche Gesangverein
in Brüssel hat sein erstes großes diesjähriges Konzert unter
Leitung seines Dirigenten F. Welcker gegeben. Gesungen
wurde u. a. Max Bruchs Kantate „Schön Ellen, Peter
Benoits „Ave Maria" und J. Weismanns Kantate „Macht
hoch die Tür. Die Ausführung zeigte, bei sorgfältig aus¬
gesuchtem Stimmenmaterial, wiederum die treffliche Schu¬
lung, die für diesen Verein charakteristisch ist. Als Solisten
zeichneten sich aus Herr Oberdörffer=Leipzig (Bariton)
und Frau Valnor-Köln (Sopran). — Frl. Lonny Epstein,
eine Frankfurterin und Schülerin Friedbergs, errang sich hier
nit einem Klavier=Konzert großen Beifall. Sie spielte Be¬
ven, Schumann und Chopin mit einer Vollendung, die viel¬
ach die Meisterschaft ihres
res erreichte.