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4.9. Anatol - Zyklus
von Welt und Vermögen gerade in der heutigen
Zeit in der ganzen Art der hier zum Ausdruck
kommenden Lebensauffassung und Weltanschau¬
ung schwächlich, ja frivol an — sie passen eben
zu dem Stimmungsumschwung, der sich in je¬
dem mehr oder weniger nachhaltig vollzogen hat,
nicht mehr recht. — Die gestrige Aufführung der
vier Akte darf als für unsere Verhältnisse nicht
übel bezeichnet werden. Der Ton, den Schnitz¬
ler angeschlagen wissen will, wurde am besten
in „Weihnachtseinkäufe" getroffen, wozu wohl
Frau Speidel als Gabriele das Meiste bei¬
trug. Uebrigens sei auch das Verdienst des Hrn.
Hepper nicht etwa geschmälert. Sein Anatol
war vielleicht um ein Weniges zu oberflächlich
angelegt, sonst aber eine in allen vier Akten durch¬
aus einheitliche, gut durchdachte Leistung; der
Max des Herrn Karma ließ nur insoferne zu
wünschen übrig, als er äußerlich den Weltmann
nicht immer zur richtigen Geltung bringen konnte.
Die zwei letzten Akte „Abschiedssouper" und
„Anatols Hochzeitsmorgen" waren überhaupt auf
.
einen gröberen Ton gestimmt, als es in der Ab¬
ME
sicht des Autors gelegen ist. Für ihren Erfolg
war dies zweifellos vorteilhaft, denn das Haus
fand an dieser Art der Wiedergabe sichtlich gro¬
ßen Gefallen. Frl. Schrattenbach als Annie
Anatol. — Vier Akte von Arthur Schnitz
und Frl. Kret ((Ilona) hatten dabei günstige
— In Innsbruck ist dieser Einakterzyklus
Gelegenheit, sich besonderen Beifall zu holen.
Unseres Wissens bisher noch nie vollständig ge¬
geben worden. Nur das „Abschiedssouper
den ständigen Theaterbesuchern von wenigen, schon
längere Zeit zurückliegenden Aufführungen her
bekannt. Es darf daher unserer Theaterdirektion
als besonderes Verdienst angerechnet werden, daß
sie nun auch einmal den ganzen Zyklus auf die
Bühne brachte und dadurch unserem Publikum
einen Autor, wie Arthur Schnitzler, dessen Art
und Ziel sich nicht so ohneweiters verstehen und
würdigen lassen, wieder um ein Stück näher
brachte. Die vier Einakter sind nicht mehr neu
Schnitzler ist in seinen letzten Schaffensjahren
über sie längst hinausgewachsen — aber sie kenn¬
zeichnen gerade so, wie sie sind, nicht nur den
Entwicklungsgang des Autors, sondern überhaupt
jene ganz bestimmte, spezifisch wienerische Büh¬
nenliteratur=Epoche vor 10 bis 15 Jahren, für
die sie ihrerzeit als vorbildlich gelten konnten.
Manches an ihnen — namentlich die mehr zum Li¬
terarischen als zum Theatralischen neigende Form
erscheint uns jetzt schon veralter und über¬
wunden, aber das zeitlos Gute an diesen, äußer¬
lich ganz anspruchslosen Einaktern ist auch heute
noch der vollen Wirkung sicher: an der glänzen¬
den und sicheren Dialogführung und an der knap¬
pen, aber treffenden Charakterisierung seiner mit
alles durchschauender, aber gutmütiger Ironie ge¬
zeichneten Personen freut man sich nach wie vor.
Freilich muten einem diese Szenen aus dem Leben
des typischen, leichtlebigen Wiener Junggesellen