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Zyklus
4.9. Anatol
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin 10. 43, Georgenkirchplatz 21
Leitung:
det:
Datum:
Kammerspiele.
Arthur Schuler Anatol.
den sieben Tagen des Schritterschen Erstlingswerks
haben die Kammerspiele zum ersten Male fünf auf
ihre Höhne gebracht. Es geht einem sensam mit diesem Theater
Das richtige Theatergefühl will in diesem vornehmen Raum,
der so viel eher ein Vortragssaal sein könnte, nicht erwachen.
Die Bühne behält immer etwas von einem Podium, auf dem eine
Zwiesprache geführt oder lebende Bilder gestellt werden sollen
und man findet auch vornehmlich die Regie dort auf Flächen
und nicht auf Raumwirkung eingestellt. So war es auch gestern
in dieser „Erstaufführung des von vielen Bühnen her seit
endlosen Jahren bekannten Werkes. Die Bühne war ganz
flach genommen, selbst in der Szene der „Weihnachtseinkäufe
die am wirkungsvollsten blieb, und durch einen engen Lichtkreis
wurde auch diese Fläche noch so weit ins Dunkle gelegt, daß es
an Laterne Magica erinnerte
Es wurde damit dem „Anatole viel Gutes getan, denn er
wird weltfremder, je länger er am Leben erhalten bleibt. Der
Krieg hat das, was einstmals so lebendig schein, fortgefegt und
mit leisem Erstaunen läßt man diese Art Menschentum über sich
ergehen, die einstmals ein Zeitbild und gewissermaßen eine
Sittendarstellung gewesen sein soll.
Den Anatol, den Dichter, der die diesem „Stande zuge¬
schriebenen Eigenarten selbstfroh mit dem heimlichen Dank, nicht
so sein zu müssen, wie die anderen Menschen, an seiner Um¬
welk auslebt, spielt Anton Edlhofer, der vor kurzem erst eine
andere wienerische Gestalt eines Wiener Dichters, Hoffmanns¬
thals Schwierigen auf dieser Bühne verkörperte. Damals gab
das leise durchklingende Gefühl Hoffmannsthals ihm Leben über
seine Grenzen hinaus. Schnitzlers „Anatol aber umreißt seine
Grenzen scharf. Sein Gegenspieler ist Hermann Thömig,
reifer und trotz der Verführung dieser Rolle verhaltener als sonst
oft. Er hat seine eigene Gestalt so oft parodiert, daß ihm hier
die Zurückhaltung besonders anzurechnen ist. In die Frauenrollen
teilten sich Erik von Thellmann, Lina Lossen
Margarethe Christians, Margarethe v. Buco¬
vinz und Stelle Arbenia. Sehr schön wirkt Lina
Lossen in „Weihnachtseinkäufe. Aus dieser Szene bleibt
etwas Dauerndes zurück. In den anderen kleinen Einaktern tritt
gerade in den Frauengestalten das etwas Peinliche dieser Dich¬
tung hervor; vor allem in der Episode, doch das fällt nicht auf
die Darsteller, sondern auf die Zeit zurück, die in derartiger Er¬
sassung von Lebensvorgängen Wesentliches zu sehen glaubte
the Melde /
box 9/3
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georganischplatz 21
Zeitung: Tägliche Rundschau
Berlin
Ort:
Datum:
J. N. 1922
Kammerspiele des Deutschen Theaters.
Artur Schnitzer: „Anatol¬
Es sind bald dreißig Jahre her, daß Schnitzler seinen
„Anate schrieb. Die fünf kleinen Spiele galten damals
für besonders bezeichnende Vertreter der Dekadenz, des fin¬
de siècle, wie man sich auszudrücken beliebte. Schnitzler hat
uns inzwischen Bedenklicheres zu kosten gegeben, und über
diesem seinem Frühwerk liegt der noch heute reizende
Schimmer einer übermütigen Jugendlaune gebreitet. Dieser
Anatol ist ein Taugenichts und ein charakterloser dazu. Aber
er nimmt seinen Leichtsinn nicht leicht. Er sucht hinter dem
Abenteuer das Erlebnis, und es ist ihm bestimmt, an keiner
Stätte zu ruhen; er möchte die spröde und ungefällige Wirk¬
lichkeit nach seinen Illusionen formen, und da ihm das nicht
gelingt, wird er zu einem jener schwermütigen Toren, die
man um ihrer Schwäche willen liebt.
In der von Iwan Schmith sorgfältig geleiteten Auf¬
führung der Kammerspiele gab Anton Edhofer den
Anatol. Er gar nicht alles, aber viel. Er wirkte matt in
den „Weihnachtseinkaufen", wo er neben der Gabriele Line
Lossens stand, die mit ergreifender Sehnsucht in das
Vorstadtglück heimlicher Liebe späht. Er war ein wenig zu
der im „Hochzeitsmorgen", so daß man beinah an alte
Scherze vom Junggesellen in tausend Nöten denken mußte.
Aber er verfügt, was von entscheidender Wichtigkeit ist, über
jene müde Gelassenheit, von der nur ein Schritt zur Selbst¬
ironie führt und hinter der sich dennoch ein leidenschaftlich
fühlendes Herz verbirgt. So kam es, daß dieser Anatol Edt¬
hofers am stärksten und am menschlichsten in der dramatisch
schwachen „Episode wirkte, wo er dem Freund seine Aben¬
teuer übergibt und erleben muß, daß eins der geheimnis¬
vollsten und kostbarsten nur eine Schöpfung seiner Phantasie
gewesen.
Der Freund Max, Helfer und Gegenspieler Anatols, war
Hermann Thimig: braungebrannt, gesund, gutherzig,
von bürgerlich klarem Verstand, auch eine Art Sancho Panso.
der seines Don Quichotte Abenteuer miterleben muß. In die
fünf Frauenrollen teilten sich mit Lina Lossen: Erika von
Thellmann — mädchenhaft frisch, Margarete von
Bukovics — reizend in ihrer unbefangenen Vergeßlich¬
keit, Stella Arbenina — ein wenig hergebracht
in den Aeußerungen ihrer Eifersucht, und Margarete
hristians von überraschend echter, volkstümlicher Derb¬
heit als austern- und schampusfrohes, süßes Mädel vom
Ballett.
Dr. Hans Weiglin.