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4.9. Anatol - Zyklus
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Deutsche Warte
Berlin
Ort:
Datum:
Kunst u. Wissenschaft.
merelle des Deutschen Theaters.
In ersten Male: Anatol von
Arther Schnitzler, Spielleitung: Iwan
Schmidt.
Wie verblaßt erscheinen uns heute diese
dramatischen Bilder, die Arthur Schnitzler im
Jahre 1893 als der damalige hervorragendste
Vertreter von „Jung=Wien“ schrieb. Was ist aus
dem sorglosen, leichtlebigen „Jung=Wien“ von
damals geworden! Damals und noch längere
Zeit später konnte man wenigstens an seiner ge¬
fälligen Eleganz eine gewisse Freude haben. Aber
diese Formen sind uns, die wir so Schweres
durchgemacht haben, gleichgültig geworden. Wir
haben uns mehr daran gewöhnt, in den Kern der
Dinge zu schauen und zu prüfen, ob er faul oder
gesund ist. Was für ein Interesse können wir
da noch finden an einem leichtfertigen
Melancholiker wie dem von Schnitzler vorge¬
führten Anatol, dem Vorbild jener blasierten
Lebemenschen, die vielleicht über manche ge¬
winnende Formen verfügen, aber in ihrer
neurasthenischen Passivität gegenüber ethischen
und politischen Grundsätzen auch nicht die ge¬
ringsten Stützen der Gesellschaft sind? Nein,
dieser Anatol und seine Abenteuer, in denen er
nicht einmal die Freuden des Lebens in vollen
Zügen zu genießen vermag, sind uns gleichgültig
geworden, so wenig Schnitzlers feine, stimmungs¬
volle Schilderung dieser morschen Welt bestritten
wird.
Die Spielleitung hatte den sicheren Instinkt,
daß der Mattheit dieser dramatischen Bilder auf¬
geholfen werden müsse, und gab den darin ent¬
haltenen Humoren kräftige Farben, besonders im
„Abschiedsouper" und in „Anatols Hochzeits¬
morgen". Von den Darstellern sorgte vor allem
Hermann Thimig als trocken humoristischer
Max dafür, daß keine Langeweile aufkam. Anton
Edthofer gab den Anatol, als dessen vortref¬
licher früherer Vertreter Eugen Burg in bester
Erinnerung ist, echt wienerisch, zwar nicht allzu
elegant, dafür aber recht lustig. Die Dame in
dem Bild „Weihnachtseinkäufe wurde von Lina
Lossen mit vornehmer Menschlichkeit, die
Dämchen in den anderen Bildern von der (ihrer
Rolle entsprechend) molligen Erika von
Thellmann, der aufgekratzten Margarete
Christians, der naiv-dreisten Margarete
von Bukovics und der temperamentvollen
Stelle Arbenina gespielt.
XV.
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Schnitzlers „Anatol" in den Kammerspielen.
Die von der Regie Iwan Schmith's betreut, saubere
flotte Einstudierung von fünf der amüsanten Anatol-Szenen
nach der faden Cochennerie modernster französischer „Origi¬
scheität", sagt Rudolf Lothar) schon ein Labsal. Schnitzlers sycho¬
logie der Frau, die sich nicht gern langweilt, ist auch nicht prüde.
Aber sie ist echtet, blutvoller als die blecherne Konstruktion mittel¬
mäßiger Pariser Stückefabrikanten, wenn sie auch selbst aus
(besseren) französischen Mustern erworben ist. Die Darstellung des
von mensch allzumenschlichen Hemmungen geplagten modernen
Don Juans Anatol durch Anton Edhofer ist im großen
und langen auf der Höhe. Hermann Thimig mit den
guten Freund Max mit gut verhaltenem Humor, und die Damen
v. Theilman, Lossen, Christians, v. Bukovics und
Arbenina tollen und schmollen als mehr oder weniger proble¬
matische Weibchen, spaßig durch die Handlung. Das Reklame¬
bedürfnis der Kostümlieferanten muß auf den Inseratenteil ver¬
Wr.
wiesen werden.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin 10. 43, Georgenkirchplatz 211
Die Frei¬
Zeitung:
Berlin
Ort:
.
Datum:
„Anatol (Kammerspiele). Der geistvolle Schwätzer mit Tra¬
nendlich und Philosophen — Bimbam spricht zu uns, Wien¬
Paris und berühmtes jüdisches Herz. „Anatol"; ziemlich ab¬
gestandene Kost von 1900. Schnitzler zeigt, wie ein unsympathischer
Nichtstuer herumliebelt und verläßt uns mit dem erhebenden
Ausblick, daß sein Held es nach der Hochzeit weiter so treiben
wird. Man fühlt: der Dichter moralisiert mit schwerem Herzen.
Im Grunde liebt er alle diese Flachköpfe und will uns zu ähn¬
lichen Abenteuern Lust machen. Daher fühlt sich auch unser so¬
genanntes besseres Publikum bei diesen Stücken wohl, obgleich
es bereits empfindet; da ist nicht viel dahinter. Anton Edt¬
hofer trug nichts dazu bei, seinen Anatol sympathisch zu ge¬
stalten. Er schwebte mit bleichem Antlitz zwischen Schauspiel und
Lustspiel und war weder originell noch lebendig. Seinen lang¬
weiligen Freund, der ihn heimlich bewundert, gab Hermann
Thimig ebenso unbedeutend. Trotz aller Routine wußte er
nichts im Gang, Rede und Erlebnis aus seiner allerdings sehr
undankbaren Rolle herauszuholen. Aber gerade in solchen Fällen
zeigt sich ein feineres Talent am deutlichsten. Lina Lossen,
als Gabriele, hatte trotz des Geistig=Zugespitzten, das ihr stets
anhaftet, viel echten Charme, und Margarete Christians
gab viel Temperament und Natürlichkeit her.