Faksimile

Text

box 9/3
4.9. Anat
Zykl
Münchener Neueste Nachrichten
14
Waldaus Anatol
Schnitzlers Anatol, der im Residen
theaterie feierliche Auferstehung erlebt
ist ein Typus von gestern. Die heutige Juge
erkennt sich in diesem leichtsinnigen Melanch¬
liker nicht wieder; dafür ist er sowohl zu gu
artig als zu geringwertig. Er ist das Früch
chen einer bequemeren Zeit. Aber Walda
Regie holte aus dem leichten Rokokoton
Hofmannsthalschen Prologs, den Frl. Schran
wohl etwas forciert sprach, die Stimmung fi
sein eigenstes, beherrschendes Spiel. Und de
musikalische Rahmen Josef Derfins versetzt
lockeren fünf Akte in eine Reinheitsatmosphär
die von Mozart und Schubert ausgeht und von
Gustav Waldaus Anatol=Seele in leichter, selbs
ironischer Verzerrung gespiegelt wird. Diese
Anatol ist ein Leidender, ein Opfer des halbe.
Gefühls, das immer wieder sich vergreift, die
Enttäuschung als blasierte Pose kultiviert und
dabei doch immerhin Gefühl bleibt. Alles
liegt, kaum ausgesprochen in Waldaus schwin¬
gendem Unterton. Ein Kabinettstück war das
streichelnde Zwiegespräch mit Herta v. Hagen.
Auch die übrige Besetzung — mit Karl Grau¬
mann als Max und den Damen Krüger,
Schrantz, Herterich und Pricken in den Rollen
der diversen süßen Mädel“ — traf den Ton
wenn auch manchmal um eine weibliche Nuance
zu grell. Der Applaus klang warmherzig und
zeigte, daß auch diese Einakter um die Gestalt
des dekadenten Romantikerleins mit dem etwas
komischen Namen, daß dieses leichte Vorspiel
gewissermaßen zu Schnitzlers Lebenswerk immer
R. P.
noch sein dankbares Forum findet.
Münchener beitrug, Kirchen.
fremd, sondern wie zarte Patina, die das feier¬
ar, sitzt ei Sacher im Separé, erzählt von den schönen
rünetten jenseits der Linie, draußen in Hernals, ist echten Dichters angesetzt. Auch Waldaus köstlicher, bis in
14. Dez. 1925
jede Einzelheit empfundener und echter Anatoll, der di¬
n bißl zynisch und ein bißl sentimental, wie's grad trifft
und fängt uns wieder ein für ein paar frohe, vom Geist Linie des Lebenskünstlers aus Beruf und Neigung, eine
iner — subjektiv genommen — unendlich viel glück= unendlich verfeinerten und intimisierten Casanova, ein¬
Anatol.
hielt, war von dieser leisen Ironie umwittert, die dem
licheren Zeit getragenen Stunde.
hervorragenden Künstler auch in seinem „Schwierigen
Im Residenztheater hat Waldau den Anatol in
Fünf Einakter von Arthur Schnitzler,
so gut zu Gesicht steht, und schwang, mit Wehmut versetzt,
szeniert und gespielt. Man weiß, daß er, für den diese
(Erstaufführung im Residenztheater.
Rolle gleichsam geschrieben scheint, früher im Schauspiel besonders in „Weihnachtseinkäufe" mit, um dann in den
Ein alter Bekannter, der vor einem Vierteljahrhun
haus als Anatol triumphierte und daß er vor einem beiden letzten Stücken einer unbesorgteren, faschingshaften
dert in unseren Gesichtskreis trat und uns drüben in
Lustigkeit von ansteckender Kraft und Wirkung zu weichen
Jahr am Josephstädter Theater Reinhardts in Wien auf
Schauspielhaus, und wo sonst wir ihn antrafen, frohe
Stunden bereitete, kehrte wieder — der leichtsinnige die Wiener selbst als Anatol hinriß. Was lag näher, als Das war wieder der alte lustige Gustl Waldau vom
nun auch an der Hauptstätte seiner Wirksamkeit die frohe Schauspielhaus, den die Münchner so sehr lieben und nie
Melancholiker Anatol, der Sohn des Wiener Arthur
vergessen werden, und doch lag auch das Abgeklärte, künst¬
Schnitzler, ein über die Maßen verliebter, in Aben Fünfzahl der Einakter herauszubringen
Den Rahnen hatte Waldau sehr stimmungsvoll ge= lerisch Vertiefte, Verfeinerte, Vergeistigte darüber, das
teuern der Liebe sein sorgloses Leben erschöpfender, aber
staltet. Eine mehr andeutende als erfüllende, träumerisch
dem Künstler in seiner weiteren Entwicklung, auf dem
immer die Linie erlesener Lebenskunst einhaltenden
die Szenen umrahmende kleine Musik, die man hinter Weg zu der letzten Höhe der Schauspielkunst, zuteil ge¬
geistreicher junger Wiener von anno 1895, als in der
fröhlichen Stadt an der Donau noch die Lust am Dasein, einem Vorhang in der rechten Proszeniumsloge spielen worden. — Ein famoser, leicht überlegener, innerlich
ließ, brachte die Stimmung des „Es war einmal, heiterer, unkomplizierter, gutmütig spottender und herz¬
an den schönen Maderln, am guten Leben, am gescheid
Haydn, Schubert, Lanner, Strauß erklangen und da trat haft lachender Mar war Herr Graumann, der Anatol
ten Plaudern aufschwang, als Liebe noch ein „Problem
ein Rokokodäuchen (Fräulein Schrantz), sehr appetit köstlich parierte und sekundierte, und durchwegs trefflich
war, das die Dichter reizte (Wer fragt heute darnach
lich anzusehen, heraus und sprach Hofmannsthals Prolog
war die Reihe der Frauen. Die muntere Cora, das ge¬
Welcher Dramatiker darf es, wagt es, ein Stück ganz
der in seiner Roko Bildhaftigkeit ausgezeichnet in diese
borene Medium, gab Frau Krüger mit der pikanten
auf dieses Problem zu stellen?), und als Hofmannsthal
Haus paßt. Von den sieben Einaktern spielte man die Leichtigkeit des Vorstadtmädchens. Die Zirkusreiterin
(„Loris" nannte er sich zu jener Zeit) in einem wunder¬
Bianca wurde von Fräulein Schrantz mit viel Wit
schönen Prolog die Brücke schlug vom Wien der Maria gebräuchlichen fünf. Mit der „Frage an das Schicksal
Anatol als Hypnotiseur, der das geliebte Mädel im
und starkem, echtem Wiener Lokalkolorit gespielt. Eine
Theresia, vom Wien Canalettos, vom Wien des Rokoko
Traumzustand nicht zu fragen wagt, ob sie ihn treu mondäne Gabriele von ganz großer damenhafter Haltung,
zu dem Wien Schnitzlers und Loris, zu dem zweiten
ist, weil er ein Nein befürchtet und seine Illusionen zu mit der sich die Melancholie der unerfüllten Frau und
Rokoko, in dem man dichtete und spielte, was man selb¬
sehr liebt, als daß er sie sich zerstören lassen möchte¬
die unausgesprochene Sehnsucht des Weibes mischten
erlebte
hebt es an, „Episode folgt — eine wehmütige erotisch
stellte Frau von Hagen heraus. Ganz Uebermut,
Also spielen wir Theater,
Revue vergangener Freuden — und dann die feinste
sprühende Laune, kapriziös und naiv in einem, ein über¬
Spielen unsre eignen Stücke
innigste, dichterischste der Szenen, der Dialog „Weih¬
schäumendes Wiener Herz, mitreißend, genial: das war
Früh gereift und zart und traurig,
nachtseinkäufe, das Bekenntnis der mondänen Frau, daß Frau Herterichs Anny in der Souperszene. Die
Die Komödie unsrer Seele
sie das kleine Vorstadtmädel um sein selbstverständliche
Ilona im Schlußstück gestaltete Fräulein Pricken, die
Das also war damals. Heute hat es uns den Blunten
primitives Liebesglück beneidet. Nach der Pause das hier vor einer neuen Aufgabe stand, sehr temperament
garten verhagelt. Das Lebenstempo ist anders geworden
Scherzo, das sich diesmal zum großen Schlager aus
voll, nur fehlte der ungarische Einschlag.
Wichtiges von damals trat in den Hintergrund, man hat
wuchs: „Abschiedssouper, eine übermütige Sache, die
Die Szenen wurden ungemein beifällig aufgenom¬
keine rechte Lust mehr zum Plaudern in der alten Weise
nach den vorausgegangenen zarteren Gebilden den Kon¬
men. Stürmischer Applaus galt dem Dichter, dem Spiel¬
vielleicht auch keine Zeit; die süßen Mädel haben in die
takt mit dem begeistert mitgehenden Publikum herstellte
Vorstadt hinaus geheiratet, sind brave Mütter geworden
und leise angegraut — vorbei! Aber da kommt der liebe Als Schlußgalopp „Anatols Hochzeitsmorgen" mit dem leiter, den Darstellern, und bewies, daß „Anatol", das
das Interesse für das Wien, wie's liebt, für das schöne
Anatol wieder, bringt seine unterschiedlich gearteten, in drastischen Ausklang einer Lebemannslaufbahn.
Waldau hatte für sich und die Darstellerschaft da und Einst noch lebt, daß sie alle vielleicht unsterblich sind.
ihrem Charakter und Intellekt so mannigfaltig abgestimm¬
Wol-
ten Weibern daher, philosophiert mit seinem Freund dort eine leise Ironie mittlingen lassen, sie wirkte nicht