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4.9. Anatol - Zyklus
Bayerische Staatszeitung
München
Theater und Musik.
ter Schauspielhaus. In der Samstag=Aufführung von
Arthur Schnitzers altem und leider noch immer nicht ver¬
den Kann die welche den er die Blätter
nen besetzt. Im ersten, der „Frage an das Schicksal lernten
wir in der Rolle der Cora eine anscheinend noch ganz junge, an¬
mutige Darstellerin in Carle Saltern kennen, die sich in dieser
Volle graziös bewegte und recht natürlich sprach. Abschließendes
wird über sie erst bei größeren Aufgaben zu sagen sein, aber was
man sah und hörte, versprach das Beste. Im zweiten Einakter, der
Episode", spielte Mela Schwarz mit Laure wieder ihre
Bianca. In den darauf genden „Weihnachteinkäufen",
dem unbedeutendsten des ganzen Zyklus, stand eine Else Boden¬
Heim als Gast auf dem Zetter. Zum letzten Male, an dem
Hebungehend von September 1811, gab diese Gebiete eine
Grete Bodenheim. Ich bin mir nicht ganz klar, ob es am Samstag
nicht dieselbe Darstelerin gewesen ist, die längere Zeit dem Per¬
sonal angehörte. Im meistgegebenen „Abschiedssorper
war ebenfalls ein Gast Ewis Borkmann, ließ aber leider ihre
weit erfolgreicheren und vor allem feineren Vorgängerinnen als
Annie, Lina Woiwode und Consula Nicoletni nicht vergessen.
Dafür zeigte sich Leonie Dielmann in „Anatols Hochzeits¬
morgen als eine begabte Nachfolgerin Hilde Herterichs als
Ilona. Trotzdem bedauer wir gerade das Ausscheiden des Frl.
Herterich aus dem Personal ganz besonders. Sie war zuletzt
entschieden die interessanteste Schauspielerinn unter der vorigen
Direktion und hätte von rechtswegen vom Schauspielhaus direkt an
das Nationaltheater gehört, wo wir keine ihresgleichen haben. Die
Seiden Freunde Anatol und Max wurden wieder von den Herren
Günther und Weybner gespielt. Der letztere findet sich im¬
mer mit Anstand dieses ihm eigentlich nicht liegende Rollenfach.
Ersterer, der eleganteste Vertreter des Anatol, den wir hier gehabt,
war under umso unverständlicher, je natürlicher er spricht. Nicht
eben so natürlich wie seiner Rede Fluß ist Herrn Günthers Spiel
mit den Händen. Jetzt sollte man aber den Schnitzlerschen Anatol
überhaupt bald schen lassen. Er gehört zu jener unerträglichen
Sexualliteratur vom ewig süßen Mädel“, die doch endlich der Krieg
und der mit der Zeit überwunden haben sollte. A. M. K.
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Rede aber schles. Presse.
Olmütz
Theater und Kunst.
Anatol von Arthur Schnitzler. Mit der
Aufführung dieses Stückes wurde die Direk¬
tion einer doppelten Aufgabe gerecht, indem
sie uns damit sowohl einen jetzt vielfach auf¬
geführten Bühnenschriftsteller, als auch einen
lebenden österreichischen Modernen vorführte.
Jedenfalls hat das Publikum Anspruch dar¬
auf, das ihm auch etwas von Schnitzler ge¬
boten werde. Und zwar sowohl diejenigen, in
deren Geschmacksrichtung — de gustibus non
est disputandum er liegt, als auch die¬
jenigen, welche ihn zufällig noch nicht kennen
sollten, um sich ihr Urteil aus eigener Anschau¬
ung zu bilden. Was Schnitzler selbst betrifft,
so schwankt sein Charakterbild, von der Par¬
teien Gunst und Haß verwirrt. Seine Haupt¬
domäne ist das Dirnentum in unermüdlicher
Variationen. Er scheint also nicht über einen
großen Reichtum von Stoffen und Charakteren
zu verfügen. Daß die Dirne ebenso wie die edle
Frauengestalt, der Schurke ebenso wie der ideal
veranlagte Held von dichterischer Gestaltungs¬
kraft behandelt werden, zeigen die großen Mei¬
ster der Weltliteratur. Das Postulat über die
Art der Behandlung aber hat niemand Gerin¬
gerer als Schiller in seinem bekannten Aufsatze
„Die Schaubühne als eine moralische Anstalt
betrachtet, niedergelegt, wenn man von den
mehr allgemeinen Kunsttheorien Lessings und
Aristoteles absicht. Sollte gegen Schiller der
moderne Naturalismus ins Feld geführt wer¬
den, so brauchen wir nur auf Ibsen, den gro¬
ßen Meister des naturalistischen Dramas hin¬
zuweisen, der Schillers Forderung in jeder
Hinsicht entspricht. Denn was sich ändert, ist
die Form, der Inhalt aber bleibt derselbe. Man
raucht nur die Werke der großen Dramatiker
von Sophokles angefangen bis Ibsen zu ver¬
folgen, um die stets wechselnde Form und das
gleichbleibende Kunstgesetz zu erkennen. Da
aber den Zeitgenossen die nötige Perspektive
fehlt, so müssen wir die Bewertung Schnitzlers
als Dichter der Nachwelt überlassen, bekanntlich
eine zwar späte, aber gerechte Richterin. Ein
ausgezeichneter Techniker ist Schnitzler jeden¬
falls, wie seine Eroberung der Bühne beweist.
Mit dem Einakterzyklus „Anatol" eröffnete
er seine Laufbahn als Bühnenschriftsteller, wel¬
che sich bis jetzt wenigstens so erfolgreich gestal¬
tet hat.
Die Darstellung des Stückes mit seinen
allerdings sehr dankbaren Rollen war ausge¬
zeichnet. Als Spielleiter führte sich Karl
Ander vorteilhaft ein, der auch die Titel¬
rolle, den Anatol mit seinem weiten Herzen
gab. Seine Darstellung wurde den verschiede¬
nen Stimmungen und Launen des „Helden
vollständig gerecht, doch hätte man eine schät¬
fere Nüancierung gewünscht. Sehr ausdrucks¬
voll war Otto Mazels Max, Anatols
Freund und besseres Ich. Die Cora spielt