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er am
nennt man diese besten Namen
der Jungwiener neunziger Jahre, und etwa den Wassermanns,
Richard Beer=Hofmanns dazu, so braucht der Raoul Auernheimers
nicht darum vergessen zu werden, weil er aus dem Feuilletonteil
einer Wiener Zeitung, also sozusagen aus dem Halbstock der
Literatur in die Beletage des selig entschlafenen und eingegangenen
„Wiener Verlages" übersiedelte. Als hier die „Rosen, die wir
nicht erreichen erschienen, hatte Wien neben dem Dramatiker
Schnitzler und dem Aestheten Hofmannsthal seinen neuen No¬
vellisten, einen wienerischen Maupassant sanfterer, zierlicher und
graziös ironischer Prägung. Dieser neue Wiener gravitierte
natürlich recht stark nach Paris, das gehörte damals sozusagen
zum guten literarischen Ton und hatte speziell in den
Feuilletons, die Auernheimer schrieb, schon eine Art von
Tradition für sich. Solche Feuilletons mit tadelloser Tournure,
romanischer Verve und deutschem, zwischen Schwermut und Ironie
genau die Mitte haltendem Tiefsinn hatte zuerst kein Geringerer
als Theodor Herzl geschrieben, und er hatte sie als Korrespondent
der „Neuen Freien Presse" in Paris zu schreiben gelernt.
Aus der Schule Herzls schrieb Auernheimer sein erstes
Feuilleton vom Wirtshaus zu verlorenen Zeit. Er war damals
ein junger Jurist mit losen Beziehungen zur Literatur, der bei
einem flüchtigen Berliner Aufenthalt den Schauspieler Josef Jarno
kennen lernte. Er traf sich mit ihm an einem der wenigen
Literaturstammtische, an denen Herr Auernheimer verkehrt hat,
und erwähnte gesprächsweise, daß er eben mit einem kleinen
breiaktigen Lustspiel fertig geworden sei. Jarno, der um
dieselbe Zeit als Direktor nach Wien ging, las das Stück, es
gefiel ihm und er setzte es für seinen zweiten literarischen
Abend in der Josefstadt an. „Talent, hieß die talentierte
Kleinigkeit des so gut wie unbekannten Autors, von
dem bisher nur einige Aufsätze in der neugegründeten Münchener
„Jugend erschienen waren. An seinem ersten literarischen Abend¬
war Jarno mit schwerem Geschütz aufgefahren, er spielte Strind¬
berg. Der zweite sollte eine wienerische Note bringen, und der Erfolg
kleinen Stückchens war so groß, daß im „Neuen Wiener Journal
darüber zu lesen stand: „Neunundzwanzigmal durfte sich der junge
Autor gestern seinem Publikum zeigen. Es war ein Erfolg für
Herrn Auernheimer, der sich das nächstemal hoffentlich bemühen
wird, ihn zu verdienen.
Ungefähr zur selben Zeit suchte Wollzogen eine amusante,
dramatische Kleinigkeit für das notleidende Programm seines
Ueberdrettels und fand in einem alten Jahrgang der „Jugend
die Auernheimsche Bluette „Der Unverschämte, die er von dem
Wiener Autor sogleich erwarb und zur Aufführung brachte. Und
in ziemlich rascher Auseinanderfolge erschienen nun die Novellen¬
bücher Auernheimers, schmale, leicht in der Hand wiegende
Bändchen, richtige Geschenkhändchen, galante Geschichtchen und
Silhouetten der guten Gesellschaft. Anatol in immer neuen Auf¬
lagen; halb kritische, halb amüsante Almanache aus einer Welt,
in der man sich nicht langweilt.
Das ging so einige Jahre, bis Herr Augenheimer des ta¬
was man einem beliebten Autor nur ungern verzeiht: es
wechselte das Thema, Er schrieb seine Geschichte vom „Gußeisernen
Herrgott, deren Held keine ängstliche Dodo oder erfahrene Renée
aus einem Ringstraßensalon, sondern ein simpler istrianischer
Rauchfangkehrer war. Er ließ in der hochanständig langweiligen,
sozusagen hochhoffiziösen „Oesterreichischen Rundschau"
seinen
„Leichenbestatter von Ehenbrunn“ erscheinen, der zwischen einer
politischen Quartalschau des Barons Chlumecky und den Bücher¬
besprechungen eines Regierungsrates von der „Wiener Zeitung
beunruhigend, ja aufreizend wirkte. Der amusant mokante Ge¬
sellschaftsplauderer war in diesen Sachen nicht mehr zu erkennen.
Statt amoureuser Silhouetten gab er Schicksale; an die Stelle
der „Gesellschaft" eines Auernheimer Feuilletons traten leidende,
gequälte, von der Tragik eines dumpfen, engumhegten Daseins
aufgeriebene Menschen. Aus dem Feuilletonisten gesellschaftsfähiger,
ondulierter und manikurter Schicksale wurde ein Dichter des
Existenzminimums kleiner und kleinster Leute, die nie im Leben
das Wort „Ardeliano gehört hatten¬
In der in ihrer unentrinnbar sachten Fronie erschütternden
Erzählung von „Laurenz Hallers Praterfahrt zeigt Auernheimer
ungefähr die Wege, die er künstig gehen will. Hier ist in An¬
sätzen, was ihm wohl noch als großer Wurf gelingen wird: der
Wiener Roman Anatol, zu Jahren gekommen, legt den Spiegel
weg, in dem er immer nur sein eigenes, alterndes Antlitz sah.
Er sieht um sich; an den Dingen der Wirklichkeit, an geahnten
menschlichen Schicksalen wird der Aesthet zum Dichter und der
4.9. Ana
us
Zyk
ANTOL
Jetzt bist du erkannt. Am alternden Spieler erkannt.
Wie er den Mund auftat, Geistreiches betonter zu äußern,
wie er mit umfangreicher Hand an der Halsbinde zupfte, ob sie
noch richtig kavalierhaft geknüpft und er noch der Bezwinger
der gerne Bezwungenen — wie wußte ich plötzlich Bescheid:
Das ist nicht der Sichere, das nicht der Schlanke, nicht der
Leichte und Schöne, der Mann der Frauen.
Dieser ist der Wahre: Liebhaber von Minderen, betrogen
schon in der Wahl. Bedürftig unleisen Lobes, unfähig zu lieben
ohne Publikum. So eitel wie gering, billigen Geschmackes, rat¬
los, wenn's zu wählen gilt. Wohlhabender Dreißiger bald, Fa¬
brikant, Bankdirektor oder irgend ein Rat. Im Innersten ständig
erstaunt, wie fein alles gelungen.
Wie er vor dem Spiegel die Mundfalten befühlt! Nein, nicht
dies: nicht Geist, nicht Erleben, nicht Erfahrung hat sie ein¬
gegraben, es ist einfach der Zeitablauf, das Altern des Mannes,
jedes Mannes, jedes Menschen.
Max, Freund dieses Laffen! Staffage seinen Spassen! Über¬
legen, zumal da du schwiegst. Wende dich ab, laß sie allein, die
Einfalt mit der Hübschheit, der Ware für alle.
Max, entwandle, zieh dich zurück in dein Zimmer, nimm ein
Buch zur Hand. Nicht den Casanova, den Anatol brauchte. Lies
vom Casanova im Schlosse zu Dux, vom greisen Edlen, noch er¬
haben im Keifen.
Dir aber, Anatol, werde verziehen. Dein Staunen über dein
Glück entwaffnet den Mahner.
Orrò PICE.
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