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4.9. Anatol
Zyklus
box 9/5
zu sagen: „Lieber Freund, absolut talentlos.
großen Frenden im Leben des Dichters, als es ihm
vergönnt war, kurz vor seinem fünfzigsten Geburts= Selbstverständlich hieß es nun für den jungen Herrn des
Wiener Theaterwoche.
schw.
tage für seine Familie und sich dieses Heim zu er¬ Artur bei der Medizin bleiben und brav weiter
Artur Schnitzler an drei Bühnen: Im Burg
werben. Ein Stück Boden, und wäre es noch so klein, rackern. Kürzlich zeigte uns übrigens ein Arzt eine es,
theater, Vorkehrter und an der Renaissance¬
sein eigen zu nennen, war seit jeher ihm ein lieber kleine Schrift, die in jener Zeit entstanden ist und Ma¬
von deren Existenz die Schnitzlerliteratur wohl kaum von
Ein
Wie der Dichter arbeitet.
bühne.
Traum gewesen. Im Frühling und Sommer im
Freien sein Abendbrot zu nehmen, bereitete ihm ein Kenntnis genommen hat. Sie betitelt sich: „Ueber die der
großmütiges Geschenk.
halb
Behandlung von Stimmbandlähmungen mittels Hyp
Wohlbehagen ganz besonderer Art. Als er sich noch
Artur Schnitzler, der feinsinnige, stille Poet,
tot
nicht „zu den Hausherren zählen durfte, ging der nose." Als Verfasser zeichnet „Dr. Artur Schnitzler
der in seinem lieben Häuschen zu Füßen der Stern¬
Dichter oft und oft in irgendeinen der vielen vor¬ Assistent an der Poliklinik. Es wäre übrigens nicht wie
warte mit der schönen Wiener Natur heimliche Grü߬
ortlichen Gasthofgärten, um dort zu Füßen alter uninteressant zu erfahren, ob Dr. Schnitzer auch erdo
tauscht, wird in dieser seiner Freude gerade jetzt
tatsächlich eine derartige Heilung bei einem Patienten blät¬
Bäume nach wienerischer Art zu schwelgen". Ein
empfindlich, aber durchaus nicht unangenehm
Gulyas, ein Stück Emmentaler, zwei „aufge¬ versucht hat. Mit hypnotischen Mitteln hat er übrigens
gestört. Drei Wiener Bühnen rufen ihn gegenwärtig
vor unseren Augen schon gearbeitet, aber als
sprungene Riesenwecken dazu, und etwas Bier und
zur Teilnahme an Probearbeiten: Das Burgtheater,
Dichter, nicht als Arzt. Es geschah dies im reizenden
einen Gespritzten — welchen Hochgenuß bereitet
das seine neueste Dichtung, das Canovastück „Die
Einakter „Die Frage an das Schicksal". Der Held das
dieses volkstümliche Men dem Dichter!
Schwestern vorbereitet, das Deutsche Volkstheater
versetzt sein Liebchen in hypnotischen Zustand, um „He
Und wenn in diesem Gasthausgarten zufälli=
auf dem gangene Woche die Einakter „Der
ganz wahrhaftig zu erfahren, ob ihm das Mädchen tre¬
hatt
Volkssänger eine „Soiree", gaben, so
Puppenspieler“, „Der grüne Kakadu" und „Komtesse
jemals untreu gewesen. Doch bevor es noch die ganze Kar
Schnitzler auch nichts dagegen. Er hörte in heiteren
Mizzi, und die Renaissancebühne, auf der (mi
jüdi
Wahrheit aus dem Halbschlaf ausplandern kann, ge¬
Beobachtung zu und wurde solcherart ein Kenne
Harry Walden) die „Komödie der Worte in neuer
dieser heute verschwundenen Welt des ungehobelten rade in dem Augenblick, in dem das entscheidende Ja deut
Inszenierung gegeben worden sind. Es ist, als wär
Brettels, in der Unbildung und Talent zu wildem oder Nein fallen könnte — erwacht das Fräulein! Und
unser Wiener Dichter neu in Mode gekommen. Gewiß
ist ängstlich, ob sie sich nicht doch verraten habe...
Reigen sich ketteten. Wie urdrollig hat er die Gestalten
wird sich Dr. Schnitzler darüber freuen. Aber wir
Schluß: „Er weiß nach wie vor nichts Gewisses.... Frei
der Wiener Volkssängerei in der Novelle „Das neue
unten darauf wetten: Er läßt sich durch all diese
zu
Lied geschildert: den „Kapellmeister" (eigentlich
im festen Arbeits¬
Geschäftigkeit der Theater in
Wie gesagt, von Sonnenthal aus war Artur
Klavierspieler), der die „Nr. 1" spielt, die „Ouver¬
plan nicht stören.
läche
Schnitzler „absolut talentlos". Niemand ist jemals
türe", den Komiker Wiegel=Wagen, der im grünen
Es gibt nämlich wenige Schriftsteller, die mit
Frack „direkt aus Afrika auf die Bühne kommt, den ob eines Irrtums so verlacht worden wie Sonnen¬
solcher Regelmäßigkeit dem Tagewerk des Schaffens
von sich selbst. Er hatte Schnitzler schon
thal
„Musiklon" Jedek, der auf Glasrändern konzertiert
obliegen wie Schnitzler. Des Morgens ein Spazier
die „Ungarin“ Ilka, die wienerisch magyarembert usw. als Kind gekannt und vielleicht gerade deshalb an
gang rings um den Türkenschanzpark, dann Lektüre
Man hat diese Gestalten in Saltens „Der ihn nicht geglaubt. Er hatte auch kein Auge gehabt
dann nach Tisch ein wenig Ruhe, aber gleich darauf
für die eigentümliche, halb leichtlebige, halb ver¬ eine
Gemeine“ wiedergesehen, als wären sie aus Schnitz¬
die Arbeit. Er hat natürlich ein prächtiges Stück von
sonnene Gesellschaftsschichte, der dieser nachdenkliche
lers Novelle gekommen — ähnlich wie der Mann im
Schreibtisch und einen bequemen, weichen Lederstüh
grünen Frack aus Afrika, nur nicht ganz so direkt.... Lebemann Anatol entstammt. Das war eine ganz
davor, aber sie bleiben abseits, wenn der Dichter
andere Klasse als die Bourgoisie Bauernfelds, in
schreibt. Da stellt er sich an sein hohes Stehpult, und
Wer hätte je geglaubt, als das erste Büchlein dessen Lustspielwelt Sonnenthal aufgewachsen war. dru¬
erst da fließen ihm Verse und Prosa leicht aus der
Als dann Burckhard dem jungen Schnitzler di¬
von „Anatol“ vorlag, daß diese Gestalt über die ganz
Feder. Es vergeht wohl selten ein Nachmittag, an
Pforte des Burgtheaters öffnete und trotz des
deutsche Bühnenwelt ihren Siegeslauf nehmen werde
dem Schnitzler nicht irgend eine Arbeit fortgesetzt
Artur Schnitzler hatte das Werk noch als Student wilden Widerstandes hochadeliger Funktionäre das
hätte, sei es eine Novelle, sei es ein Drama. Hat er
Proletarierstück „Liebelei“ aufführte, da sprang
der Medizin geschrieben. Sein Vater, der geschätzt
die Sache fertig, so wandert sie zunächst in die Lade
Sonnenthal gleich mit beiden Füßen ins Lager der
Laryngologe Professor Dr. Johann Schnitzler, lebte
dort bleibt sie mindestens drei Wochen liegen. Dann
Jungen. Sein Musikus rührte ganz Wien zu
noch in der Hoffnung, sein Sohn Artur werde ein be¬
nimmt er sie wieder heraus und liest die Blätter
Tränen. Nur des Künstlers liebste Freundin und
rühmter Kehlkopfoperateur werden. Während er daran
förmlich als Fremder, mit den Augen des Kritikers
schwor, sein jüngerer Sohn verde zu einem großen Kollegin Charlotte Wolter konnte sich nicht be¬
ruhigen. Die Gestalt dieses Vaters — meinte sie
Da wird das Ding entweder unbarmherzig ver¬ Dramatiker sich entwickeln. Nichtig ist dieser jünger
worfen oder aber neu geformt. Jedenfalls auf das
sei einfach eine Ohrfeige fürs Burgtheater. Ein
Sohn just der heutige bekannte — Operateur Pro¬
Vater, der da wisse, daß seine Tochter Beziehungen
eingehendste durchgearbeitet und ausgefeilt. Kein fessor Dr. Julius Schnitzler geworden!
Dialog irgendeines Schnitzlerstückes, der nicht zwei¬
zu einem jungen Mann unterhalte, die nie zu
krankte sich der alte Professor, daß sein Sohn Artur
bis dreimal vollkommen umgearbeitet worden wäre
Ehe führen können, der diese Tochter darob nicht
die Medizin weniger liebte als verschiedentliche Aus¬
Und erst wenn die letzte Form die Prüfung des
niederschlägt und zum mindesten aus dem Haus¬
flüge in höhere Regionen, aus denen nur Lorbeerduf
Dichters bestanden hat, wird die Arbeit in die Wel¬
jagt, das sei kein Held, das sei eine abscheu
zu holen ist
Die Sache mußte aber endlich entschieden werden: erregende Erscheinung. Und doch hatte der Dichter
geschickt.
entweder Laryngologie oder Schreiberei fürs Theater, gerade in diesem alten Mann reinste Liebe und
Fest entschlossen nahm eines Tages Professor edelste Lebensweisheit verkörpern wollen. Der
Schnitzlers Villa in der Sternwartestraße hat
greise Musikus will das junge Glück seiner armen
seit jeher innige Beziehungen zum Burgtheater unter Schnitzler das Anatol-Manuskript seines Sohnes und
ging damit zu Adolf Sonnenthal, seinem alten Tochter nicht ertoten, er weiß ja, er ahnt, es ist
heiten. Bevor der Dichter dieses liebliche Haus be¬
der erste und der letzte Sonnenstrahl, der in ihr
Freund. Der las die Anatol-Einakter mit Hingebung
sessen, war es Eigentum des Künstlerehepaares
Römer=Bleibtren gewesen. Es bedeutete eine der und kam auch einigen Tagen zum Professor, um ihr junges Leben fällt.