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4.9. Anatol - Zyklus
Der Morgen, Wien
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Komödie und Josefstadt:
Anatol 1934 und eine Köchin
lut, gerne in die Gletscherspalten herumzu¬
In seiner literarischen Ankündigung (im
hecken, und ein Zeitungskorrespondent
Programmheit der neueröffneten Komödie
die einzige Eigenschaft besitzt, verzweifelt
schreibt der Regisseur des Hans Adler-
zu grinsen. Eine Verwechslungskomödie
Stückes „Mädchen für Alles, Hans Thi¬
des wirklich so begabten Hans Adler-
mig: „Ein Zuschauer dürfte nie auf die
einst schrieb er Verse, die Großes hoffen
Idee kommen, zu fragen: „Wer hat das in¬
ließen — die das typische Merkmal sol
szeniert. Ein kluger Satz. Er gilt für Paul
cher Komödien trägt, daß ihre Voraus¬
Kalbeck, in dessen reizender Inszenierung
setzung nämlich die vollkommene Ver¬
das „Ping-Pong-Spiel in der Josefstadt
trottelheit aller Mitspielenden ist. Immer
Freitag so lebhaften Erfolg erntete. Wollte
wissen vier Leute und der ganze Zuschauer¬
man aber Thimigs Satz umkehren und auch
raum das Richtige und immer ist ein
gleich behaupten, daß ein schlechter Regis¬
Fünfter da, der nichts ahnt und nichts weiß
sehr sei, bei dessen Inszenierung man den
und Kalamitäten verursacht. Wo aber liegt
Regisseur rufe, dann hätte sich Hans Thi¬
der Humor, wenn die Voraussetzung der
mig gleich nach dem ersten Akt von
Schwachsinn eines Mitwirkenden ist? Laßt
„Mädchen für Alles mindestens fünfzehn¬
mal verbeugen müssen.
Wir wollen eine Parallele aufweisen.
Zwei Stücke werden da gespielt, beide als
Weihnachtsgaben gedacht, Rampenlichter
auf dem Christbaum, beide in kleinen Thea¬
tern, in denen man — ihrem Charakter und
dem Londoner Vorbild widersprechend —
nicht rauchen darf. (Wenn man noch rau¬
chen dürfte!) Beide Stücke österreichischer
Autoren, beide französischen Vorbildern
nacheiternd. „Ping-Pong heißt das Spiel
vom Jaray. Kein Tennis des Geistes, kein
Match zwischen der Lenglen und Kozeluh,
kein Spiel mit starken Backhands und küh¬
nen Sprüngen am Netz, aber ein nettes
Spielchen auf dem grünen Tisch — Ping
Pong, ein neues Wort für Flirt, für jeder¬
leichtes Hin und Her. Da kommt eine Frau
zu ihrem Mann zurück, paar Wochen waren
sie verheiratet und schon ist sie für sechs
Monate abgereist, um französisch zu lernen,
nicht erwarten konnte sie es, scheinbar, das
Französisch, und nun steht sie wieder da,
mitten im Zimmer und ... nein, sie hat
kein richtiges Pariserisch erlernt, und Hans
Jaray auch nicht, sonst würde jetzt etwas
anderes geschehen, als hier geschieht, wo
die beiden — statt Tennis — gleich anfan¬
gen zu pingen und zu pongen, einen Flirt¬
Flort sozusagen, Pferdesport zu treiben,
statt Körpersport, und wo einem die Ge¬
schichte von der pruden Engländerin, dem
Affen und dem Wärter einfällt, dem Wärter
der die Engländerin fragt, ob sie für Nüsse
alle Unsittlichkeit lassen würde? Ja, die
beiden Leute lassen hier für etwas Ping¬
Pong die Unsittlichkeit, noch dazu die le
gitime, und erobern einander erst im letz¬
ten Sett. Und trotzdem: das ganze ist um¬
weht von einem süß-herben Hauch des, so¬
gar, Möglichen. Wie hier zwei Menschen
einen Liebeskampf beginnen, mit allen auf¬
gezogenen Registern, wie sie umeinander
raufen — es gibt ja auch Bormeister des
Federgewichtes —, und wie diese Rauferei
pikant wirkt durch das schon Miteinander¬
Erlebte, durch gelebte Stunden, durch leise
Dagewesenheiten, wie hier Neugierde
zweier Menschen gezeigt wird, die einander
kennen (man ist nur neugierig auf das, was
man kennt: das alles ist bestes Theater,
gespielt von einer unendlich großen Frau,
Paula Wessely, und einem sehr begabten
jungen Mann, der auch der Autor ist und
sein Stück „Ping-Pong“ nennt, obwohl er
es am besten „Der Müller und sein Kind
nennen sollte, denn Monar heißt zu
deutsch Müller, und der Jardy ist sein
Kind.
euch einen aus dem Steinhof kommen, und
ihr habt den gleichen Spaß.
Die Aufführung in der Komödie und die
laute Regie Thimigs lassen alles zu wün¬
schen übrig. Da ist Oldens Journalist, des¬
sen Arme unter Denkmalschutz gestellt wer¬
den müßten, denn er bewegt sie zwei Stun¬
den hindurch unentwegt, als wären sie das
Riesenrad. Da ist Schafheitlin Thimig¬
Kopie d eine schrillende Unerträglichkeit
in Gestalt Fräulein Berndts. Ein Lichtblick
nur Leni Marenbach, die sich hier auch
von der komischen Seite zeigt: ein ganz
großer Gewinn für Wiens Theater. Ihre
Köchin — zum siebentenmale sehe ich eine
Küche auf der Bühne der Komödie. —
machte den versalzenen Abend schmackhaft.
Zwei Premieren in den bezauberndsten
Häusern Wiens. Mehr oder weniger Erfolg
(Mehr: in der Josefstadt. Weniger: in der
Johannesgasse). In der Josefstadt ein Stück
von Schnitzler-Flers, inkarniert in Hans
Jaray, Ein kleiner Anatol 1934/1935. In
der Johannesgasse ein Stück aus dem
Jahre 1880. Ob es 1935 erlebt?
(habe).