Faksimile

Text

Zwei Stücke werden da gespielt, beide als
Weihnachtsgaben gedacht, Rumpenlichter
auf dem Christbaum, beide in kleinen Thea¬
tern, in denen man ihrem Charakter und
dem Londoner Vorbild widersprechend —
nicht rauchen darf. (Wenn man noch rau¬
chen dürfte!) Beide Stücke österreichischer
Autoren, beide französischen Vorbildern
nacheiternd. „Ping-Pong heißt das Spiel
vom Jaray. Kein Tennis des Geistes, kein
Match zwischen der Lenglen und Kozeluk,
kein Spiel mit starken Backhands und kün¬
nen Sprüngen am Netz, aber ein nettes
Spielchen auf dem grünen Tisch — Ping¬
Pons, ein neues Wort für Flirt, für jeder¬
leichtes Hin und Her. De kommt eine Frau
zu ihrem Mann zurück, paar Wochen waren
sie verheiratet und schon ist sie für sechs
Monate abgereist, um französisch zu lernen,
nicht erwarten konnte sie es, scheinbar, das
ranzösisch, und nun steht sie wieder da,
mitten im Zimmer und ... nein, sie hat
kein richtiges Pariserisch erlernt, und Hans
Jaray auch nicht, sonst wurde jetzt etwas
anderes geschehen, als hier geschieht, wo
die beiden — statt Tennis — gleich anfan¬
gen zu pingen und zu pongen, einen Flirt¬
Flort sozusagen, Pferdesport zu treiben,
statt Körpersport, und wo einem die Ge¬
schichte von der pruden Engländerin, dem
Affen und dem Wärter einfällt, dem Wärter
der die Engländerin fragt, ob sie für Nüsse
alle Unsittlichkeit lassen würde? Ja, die
beiden Leute lassen hier für etwas Ping¬
Pong die Unsittlichkeit, noch dazu die le¬
gitime, und erobern einander erst im letz¬
ten Sett. Und trotzdem das ganze ist um¬
weit von einem süßerben Hauch des, so¬
gar, Möglichen. Wie hier zwei Menschen
einen Liebeskampf beginnen, mit allen auf¬
gezogenen Registern, wie sie uneinander
raufen — es gibt ja auch Bormeister des
Federgewichtes —, und wie diese Rauferei
pikant wirkt durch das schon Miteinander¬
Erlebte, du ch gelebte Stunden, durch leise
Dagewesenheiten, wie hier Neugierde
zweier Menschen gezeigt wird, die einander
kennen (man ist nur neugierig auf das, was
man kennt: das alles ist bestes Theater,
gespielt von einer unendlich großen Frau,
Paula Wessely, und einem sehr begabten
jungen Mann, der auch der Autor ist und
sein Stück „Ping-Pong“ nennt, obwohl er
es am besten „Der Müller und sein Kind
nennen sollte, denn Monar heißt zu
deutsch Müller, und der Jardy ist sein
Kind.
Freilich: Auch hier ist ein Zug ins Pos-
senhafte, auch hier spukt Blumenthal. Ka¬
delburg, ja sogar Vater L'Arronge. Hier ist
ein Rechtsanwalt, der ein fideles Haus ist
(denkt an den Dr. Lenz in Großstadtluft“
und sich benimmt, als spielte er eine
„Fledermaus" ohne Musik. „Puschel" nennt
Kerr jene alten Lustspielfiguren, die nur
eine einzige Eigenschaft, eine einzige
„Pusche!“ haben. Dieser stückstörende
Rechtsanwalt Jarays — glänzend von Karl¬
weis gespielt, dem die Czepa brillant, bril¬
lant, brillant assistiert — hat die einzige
Eigenschaft, daß er ein fideles Haus ist,
von Früh bis Abend, von Abend bis Früh,
von Kopf bis Fuß, von oben bis unten, ein
fideles Haus in allen Lebenslagen, ein
wandelndes Ha-de-Le, ein zweieiniges
Vauen. Diese Puschelhaftigkeit teilt er
allerdings mit sämtlichen Gestalten der
Verwechslungskomödie „Mädchen für
Alles, in der ein englischer Zeitungs¬
magnat vorkommt, der die einzigen Eigen¬
schaft hat, daß er Medizin nimmt, in der
sich eine Journalistensgattin über ihre Kö¬
chin und eine Köchin über die Journa¬
listensgattin vier Akte lang aufregen, in der
ein junger Mann die einzige Eigenschaft
4.9. Anatol - Zyklus
box 9/5