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4. 7. Anatols Hochzeitsnor“
Aee ee eneeeee ee Serenen
emcago Christiania, Genk, Kopen¬
I#, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholi, St. Petersburg.
(Quelleng###be ehne Gewübs).
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt
1912.
vom:
ZM
chnitzlers „Anatol"englische Operette.!
In der LonönerMufie Hall Tivoli, wo die
urwüchsigsten englischen Volkssänger wie Harry
Lauder, Mark Sheridan, Phil Ray und ähnliche
starke Komiker ihre grotesken Spiele treiben,
tanzen und singen seit wenigen Tagen in einer
einaktigen Operette, im — „Hochzeitsmor¬
gen“ Schnitzlers, Anatel, sein Freund Max
und ein Dämchen, das Fifi, oder Lulu oder so
ähnlich heißt. Wenn Schnitzler das sehen würde!
— Anatol kommt im Frack, mit derangiertem
Kragen und verschobener Krawatte auf die Bühne;
er hat die Nacht durchschwärmt und taumelt noch
(man weiß, wie das im Varieté gemacht wird).
Er zeigt Max die Hochzeitsgeschenke, die er er¬
halten hat: ein Dutzend Spazierstöcke, ein Dutzend
Zigarettendosen, ein Dutzend Bilder, Vasen und
dergleichen unnützes Zeug. Nun folgt ein Duett.
„Schön ist das Boheme=Leben — aber jetzt kommt
so ungefähr; dann
der Ernst des Lehens
erscheint Fifi, kostämiert, leicht geschürzt und
dekolletiert, aus dem Schlafzimmer. Der Diener
schämt sich (man weiß, wie Diener auf dem
Varieté sich schämen); aber Anatol erklärt soforf
nd, daß er die junge Dame wohl auf einem
Maskenball aufgegabelt und ihr Gastfreundschaft
in seinem Zimmer gegeben habe, daß er selbst aber
im Klub geschlafen habe. (Jetzt weiß man, wie
moralisch Anatols im englischen Barieté zu sein
pflegen). Natürlich ist jetzt der Anlaß zu einem
Terzelt gegeben; Fifi steigt auf Stühle und Tische
und benimmt sich auch sonst sehr fifinenhaft —
bis der Moment kommt, da Anatol ihr erklären
muß, daß heute mittag seine eigene Hochzeit statt¬
findet. Fifi schlägt alle Hochzeitsgeschenke in
Scherben und will sich eben von Max trösten
lassen, da — Ueberraschung! — stürzt Anatol
wieder ins Zimmer. Er hat soeben eine Depesche
bekommen: seine Braut ist mit einem andern da¬
0
Umarmung
vongegangen. Frohlocken
Jubel — Entzücken! Die drei nehmen einander
bei den Händen: „Hoch die Freiheit, die Liebe!
Cancan und
Hoch Bohemia, Bohemia!“ —
Tusch! X Traurig senkte sich der Vorhang ....
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Tagesbote aus Mähren und Sehlesien
Brünn.
Abendblatt
GARZ 19
K. u. k. Fronttheater. Man schreibt aus Wien: Jetzt
eben in der zweiten Hälfte des dritten Kriegsjahres ist das
k k. Fronttbeater gegründei worden und soll fortan — wie
es zuvor schon in Deutschland (freilich in ganz anderer
Form und unter ganz anderen äußeren Bedingungen) ge¬
schehen — auch an die k. k. Fronten in Nord, Ost und
Süd ein bißchen künstlerischen Frohsinn bringen. Ein
Schauspieler Dr. Benno Wünsch hat die Idee dazu gehabt.
Das Kriegspressequartier hat sie beifällig aufgegriffen
die Wiener Privatbühnen haben den einfachen, leicht
transportablen Fundus beigesteuert, und so ist denn das
„Fronttheater der Wiener Privatbühnen“ (wie es mit
seinem vollen Titel heißt) entstanden, an dessen Spitze —
im Rang eines Leutnants — der ehemalige Direktor der
Wiener Residenzbühne L. Wolf steht. Die Schauspieler
sind lauter Feldaraue keine Stars zwar. aber sie haben
in einer öffentlichen Generalprobe (im Wiener Johann¬
Strauß=Theater) gezeigt, daß sie ganz beträchtliches zu
leisten vermögen. Die Hauptanziehung aber war — wie
es auf dem Zettel hieß. „die für das Fronttheater erbause
mobl#e Bühne in feldmäßiger Ausstattung“. Das ist ein¬
ganz entzückende Reliefszene, ohne Kulisse, ein Kasperl¬
theater, auf dem ein toller Verwechslungsschwank („Die spa¬
nische Fliege“ von Franz Arnold und Ernst Bach) ganz
kasperlmäßig und marionettenhaft und zum Schreien
lustig heruntergespielt worden ist. Mit den nämlichen
Requisiten wird man auch den ewigen „Raub der Sabi¬
nerinnen“ darstellen können. Außerdem aber nimmt das
Fronttheater literarisches Gepäck nachdenklich gedämpfter
Lustigkeit, es nimmt richtige österreichische Dichtungen.
dreier richtiger Wiener Dichter mit: Hans Saßmanns!
„Blaues Auge“. Felix Saltens „Auferstchung“ und „Ana¬
tols Hochzeitsmorgen“ von Artur Schnitzler Gar so ein¬
fach war die Repertoirhildung nicht. Es gab hundertundein
Zensurbedenken und hundertundzwei technische Schwierig¬
keiten. Man brauchte Stücke mit möglichst geringem Fun¬
dus. Dern die Reise geht in ewas bühnenfremde Gegen¬
den, zunächst zwar nur nach Krakau, von da aber nach
Lublin, nach Kowel, nach Wladimir Wolinsk und dann
vom Norden nach dem östlichsten Osten. Konstantinopel ist
d#e Endziel. Montag den 5. Mirz ist das aanze
Theater mit Sack und Pack abgedaripft. Einen Monat
lang wird das Spiel im Norden dauerr: Es gibt Offiziers¬
und Mannschaftsvorstellungen (die natirlick grat's sind),
Die Koiten trügt der Staat: und die Kozten sind nicht klein:
jedes Mitglied des Fronttheaters bezieht z. B. nebst freiem
Quartier und vollständig freier Verpflegung — eine Tages¬
gage von 13 bis 20 K. Vorläufig verspricht man sich von
der Einrichtung sehr großen Erfolg: denn am 14. März
geht eine zweite Frankbühne ab, an deren Spitze die Ope¬
rettendiva Annie Dirkens steht.