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4. 5. Abschiedssouper
Sass -u
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Dresdner Neueste Nachrichten
un .
= Die fliegende Schlagsahne. Ueber die primitive
BBauart des Ischler Kurtheaters, das in diesen Tagen
sein 100jähriges Bestehen feiert, erzählt Direktor
Erich Müller vom Wiener Johann=Strauß=Theater
unter anderm folgende nette Episode: „Die Bauart
DOBGERVERC
des Theaters hat uns manchmal in recht peinliche
Situationen gebracht. Für eine Vorstellung von
I. österr. behördl. konzessioniertes
Schnitzlers „Abschiedssouper“ hatte mein Requisiteur
Unteruehr en für Zeitungs-Ausschnitte
eine Porkiön allerfelnster Schlogsahne zurechtgemacht.
WIEN, I., WOLLZEILE 11
Aus Watte. Er hatte sie so schön naturgetreu auf¬
TELEPHON R-23-0-43
gebauscht, daß den Zuschauern wegen des natur¬
getreuen Aussehens das Wasser im Munde zusammen¬
an Journal: Rational Zeitung Adend.
laufen mußte. Der Kellner tritt auf die Bühne und
beginnt zu servieren. Da geht rückwärts hinter der
Bühne langsam, ganz langsam die Tür zur Straße
und
auf, ein Windstoß verirrt sich hinter die Kuliss
18 NOV. 1931 Pasel
plötzlich schwebt die Schlagsahne von der Servie
ich
weg über die ganze Bühne, hebt und senkt
launigen Bogen in der Luft, bis sie von den Bühnen¬
arbeitern hinter den Kulissen eingefangen wird
der sich auf diesen leichten graziösen Zauber schon,:
Stadttheater.
gelegt, gut wegzublasen, wenn der richtig beschwingte
„Anatol“ von Arthur Schnitzler.
Unterton feiner Ironie nicht zu sehr vom Haschen nach
der humorvollen Pointe zugedeckt wird, dann muss in
1. Kammerspielabend im Blauen Saal.
Anatols Hang zur Liebe „ohne das Bedürfnis der
Dienstag, 17. Kovember 1931.
Treue“ ein Ton jener ewig unbefriedigten Erlebnis¬
sehnsucht schwingen, der nicht nur im verklungenen
Kl. Das Stadttheater hat für die Schnitzler-Gedächt¬
Wien lebendig war, dann muss aus jedem Hörer ein
nisfeier jenes Stück ausgesucht, das als sein erstes
Max werden, der mit seinem „Hauch kalter, gesunder
auch schon seine besondere Art offenbarte, und das
Heiterkeit“ die resignierte Sentimentalität durchbricht,
seither immer und immer wieder gespielt worden ist,
den ewigen Lebensausgleich selbst schafft.
sehr häufig auch von ehrgeizigen Dilettantengruppen,
uie nach einem literarischen und leicht beschwingten
Wir können leider nicht finden, dass unsere
Stücke fahndeten, Leider! Denn gerade der cAnatol
Aufführung diesen Ton völlig erreicht habe. So flüssig
erfordert eine Fähigkeit der Einfühlung in eine ganz
und beschwingt das Spiel war, jene schwebende Ueber¬
besondere Stimmungswelt, die dort allermeistens fehlt.
legenheit brach nicht so durch, wie man es sich
Denn diese Reihe von sechsEpisoden, in
denken könnte, unter dem kräftig betonten lustigen
denen der Held derselbe bleibt, aber die Frau stets
Aeusseren verschwand allzusehr jenes traurige Lächeln
wieder wechselt, ist ganz aus jener Stimmung anmuti¬
der „Komödie unserer Seele“.
ger Dekadence gehoben, die für die nachnaturalistische
Manches mag daran liegen, dass diese so unzuläng¬
Wiener Impressionistenschule charakteristisch ist. Ihre
liche Bühne den Darsteller in seinen Entfaltungsmög¬
Menschen müssen mit Leben und Liebe spielen, denn
lichkeiten allzusehr hemmt. Trotz seiner grossen
die Illusion ist ihnen wichtiger als die Realität. Sie
Lebendigkeit des Spiels brachte aber auch Hermann
handeln nicht, sie werden vom Dichter behandelt. So
Walling nicht alle jene spielerische Substanz mit,
ist dieser junge Anatol, lächelnd leichtsinnig, mit sei¬
die zur treffenden Charakterisierung Anatols unerläss¬
nen Gefühlen kokettierend, ein Schwacher, dessen
lich ist. Der Ton des fröhlichen Bonvivants liegt ihm
stete Angst ist, er möchte sich eines Tages „stark“ fin¬
nicht genügend, manches bleibt bei ihm schwer, was
den. Denn das Schönste an der Liebe ist ihm nicht der
ganz leicht sein müsste, manche innere Hilflosigkeit
Besitz, sondern die Erinnerung. Die vierte der „Epi¬
wird humorig-drastisch umgebogen. Dafür kam die
soden“, da er mit seinem Särglein voll vertrockneter
liebenswürdige Seite dieses problematischen Lebens¬
Liebesandenken erscheint, ist die typischste für diesen! komödianten zu umso ansprechenderem Ausdruck. Den
„Hypochonder der Liebe“, All sein Fühlen ist „halbes, 1 Ton des kritisch-ironischen Freundes Max traf Karl¬
heimliches Empfinden“, wie Hofmannsthal in seinem! robert Schäfer recht gut.
Auch im Halbdutzend
Prolog zu dem Werk treffend sagt, traumhafte Ver¬
der Geliebten Anatols blieb keine Figur leer. So¬
schwommenheit voller Angst vor jedem Erwachen. Er
wohl Yvette Turner als naive Cora, wie Alma
sucht in der Liebe nur das zärtliche Abenteuer, in dem
Wallé als Emilie in ihrer wissenden Ueberlegen¬
er sich selbst spiegeln kann, darum ist ihm jede Frau
heit, wie Fritzi Bauer als fesche, in der Schluss¬
recht, sei sie Künstlerin oder „süsses Mädel“, unbe¬
szene wohl fast zu fesche Annie, wie Irene Terder
friedigte Ehefrau oder Zirkusdame. Natürlich muss
als Bianca, die so treffend dafür sorgt, dass auch im
alles in die richtige „Stimmung“ getaucht sein, rote
Liebeshimmel die Bäume nicht zu sehr obenaus
Ampeln, Halbdunkel, Dreiviertelstakt. Er „kennt“ die
wachsen, ferner Erika Felger als reizbare Else und
Frau und doch quält ihn die Frage ihrer Treue immer
Erna Beutel als trotzig-süsse llona sorgten alle für
aufs neue: „Agonien, Episoden“, lächelnde, schummrige
die nötige lebendige Buntheit dieses Liebesreigens.
Welt, was hat uns dieses „verklungene Wien“ heute
noch zu sagen? Wenn es gelingt, den Staub der Zeit, Herbert Besker al Spielleiter suchte aus dem
Szenischen zu machen, was an diesem Orte nur
miner möglich war.
So sehr man es versteht, dass man die Kammer¬
spielserie mit einem Schnitzler eröffnen wollte, und
s0 gerne man Wiedersehen mit Anatol feierte, so
fragt man sich doch, ob das Gedächtnis dieses Dich¬
ters nicht eines Abends im Theater, etwa mit der
(Liebeleis oder einem seiner gewichtigeren Stücke
wert gewesen wäre? Aber auch so ging das Publi¬
kum, aller Raumenge zum Trotz, vergnügt und an¬
geregt mit und spendete den Spielern herzlichen und
dankbaren Beifall.