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eige Abend im Raimund Theater versprach ein recht interestanter
zu werden. Zeitungsnotizen meldeten vor einigen Tagen, dass es Herrn Director
Gettke gelungen ist, Fräulein Sandrock für die Darstellung der „Juana“ zu
erwärmen. Soviel Überredungskunst hätte ich Herrn Getike gar nicht zugetrant.
Alle Achtung! In Fräulein Sandrock wieder muss ich von heute an eine Opfer¬
willigkeit bewundern, die geradezu an classischen Ideulismus grenzt. Das Haus
war bis auf den letzten Platz gefüllt, von Premierenlöwen und =Löwinnen, von
Naivlingen, die ins Theater erregt geeilt kamen, sich auch einmal in eine große
literarische Action hineinzumischen. Endlich hat das Publicum zu spielen auf¬
gehört — das Stück beginnt. Pardon — ich habe mich geirrt — von dem Beginnen
eines Stückes kann nicht die Rede sein, denn „Juana“ ist gar tein Stück. Marquis
del Mantillo, General der Artillerie, hat, wie es die spanische Artillerie in dem
letzten Kriege oft gethan, auch in seiner Ehe vorbeigeschossen. Wenn er sich auch
bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten mit seinem Weibchen Juana
schnäbelt und herzt, so sind die ehelichen Bande dennoch nicht aus Rosen und
Lilien gewunden. Juana ist ein sehr, sehr temperamentvolles Weib. Der fromme
Abbate kann ihr gar nicht schnell genug die Tarantella spielen, der flaumbärtige,
zuckerrohrweiche Liettenaut Ruiz Navarete nicht intensiv genug lieben. Die Arme
muss alle Kraft und Kunst ihrer sinnlichen Heißblütigkeit zusammennehmen, um den #ire
Liebhaber immer und immer wieder anzufeiern. Sie ist ein Tigerweib, das bis ins no.
Abar
tiefste Herzenswinkelchen des Mannes mit den Krallen hineingreifen muss, sich zu foraus
sättigen. Der General Mantillo ist der bequemste und in solchen Stücken handlichste
Gegensatz. Lammfromm, bieder vom Scheitel bis zur Sohle, vertrauensselig und ist das
es den
obwohl ein stolzer Spanier, eine kleinwinzige Ehemännernatur. Er ist froh, dass g.
sich sein lustiges Weibchen mit dem schmucken Lieutenant belustigen kann, ja selbst,
als er durch drei Wochen anonyme Briefe erhält, in denen er auf das Verhältnis
seiner Gattin mit dem jungen Herzensfreund aufmerksam gemacht wird, kommt er
gar nicht aus der Fassung, im Gegentheil, besieht sogar mit voller Fassung den
verdächtigten Liebhaber und spricht mit ihm ganz conversationell über die peinliche
Affaire, wirft ihm das Bündel anonyme Briefe wohlgemuth auf den Tisch und geht
froh wie ein Schneekönig von dannen, als ihm der ehrenhafte Ruiz das Ehrenwort
gibt, dass zwischen ihm und seiner Frau nichts verdächtiges vorliege. Nun kommt
aber das Superlativ seiner stoischen Ruhe in Ehebruchsgeschichten. Im dritten Acte
bekennt sich Herr Ruiz, dass er die Nichte seines Generals, die reizende Angela,
liebt. Juana faucht ihn deswegen wie eine gereizte Katze an und schwört ihm,
für die versagten intimen Liebesdienste bittere Rache. Mit ihrem Sturm im
Inneren erhebt sich auch draußen ein solcher, und als ihr Gatte von einem
tüchtigen Ritt heimkehrt, legt sie sich auf die chaise longue und berichtet ihrem
Manne bei elektrischem Licht, flackernden Blitzen und flackernden Kerzen die ganze
Geschichte. Doppelter Donner! Draußen und in der Brust des betrogenen
Gatten. Er befiehlt dem bösen Menschen dienstlich zu erscheinen und nachdem
er von ihm als vorgesetzter General mit „erhobener Faust“ den Degen abver¬
langt, präsentiert er ihm zwei gut erhaltene Revolver, zu eindeutigem Zwecke.
Lientenant Navarete geht ins Gebüsch und erschießt sich. Juana, die bisher
gemächlich auf der chaise longue gelegen, hat, ohne mit einer Wimper zu zucken,
dem ganzen Schauspiel zugesehen, erhebt sich erst und schreit mit gräfslicher
Verzweiflung. In feierlichem Zuge bringen Diener auf einem in allen Staaten
patentierten Krankenstuhl den erschossenen Jüngling und nun beginnt Heros
Klage an Leanders Leiche. Die Klage steigert sich bis zum Wahnsinn.
Juana knickt um und liegt maustodt in einem rechtwinkeligen Dreieck über dem
Opfer ihrer Leidenschaft und Rache. — Herr Bahr, dieses Stück haben Sie geschrieben,
Sie, der mit ätzendem Griffel über die Werke anderer richtet? Sie kamen sogar
mit siegesfrohem Lächeln vor die Rampe und dankten für den Beifall des
Publicums. Haben Sie denn nicht das Zischen und Hohngelächter bis in
die fernsten Winkelchen der Coulissen gehört? Oder haben Sie es gehört und
kamen nur näher, um sich zu überzeugen, dass es keine Täuschung ist. Der Rest
ist Schweigen. Fräulein Sandrock hat sich im Schweiße ihres Angesichtes
bemüht, das zu retten, was nicht zu retten war. Wäre nicht die Sandrock eine
so vortreffliche Künstlerin, die sogar mit dem nüchternsten Gewäsch das Publicum
zu fesseln versteht, wer weiß, ob genug Zungen im Theater gewesen wären,
Herrn Bahrs Juana in den Grund zu zischen. Armer Herr Burg, der als
Lieutenant Navarete stellenweise so reiche, herzerquickende Töne fand, armer
Herr Raeder (General), der seine Kunst so mühelos verschwenden musste, armes,
armes Fräulein Krauß (Angela), die bei soviel Liebreiz und Schönheit eine
so häfsliche Rolle spielen musste. Allerärmstes Publicum, das unschuldig zwei
Stunden lang die Marter der spanischen Inquisition gelitten. Nach dem bitter¬
bösen Wermut des Herrn Bahr war Schnitzlers Abschiedssouper ein
süßes Pillchen. Ich will absolut nicht sagen Pille. Die ganze Sache ist ein
alltägliches Geschichtchen, zu dem nicht einmal das Talent Schnitzlers gehört, es
so wiederzugeben. Fräulein Sandrock als Annie war das einzig Bemerkens¬
werte in dem Stück.
M. Hin.