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Das Maerchen
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3 Be en
zum ethischen Ziel, wenn der Darsteller des halben Helden nicht;
bloß Thesen spricht, wenn er mitfühlbar leidet, schwankt, ringt.
Davon war das äußerliche Gehaben des Schauspielers Kurt
von Möllendorff leider kaum berührt. Noch schlimmer
stand es um die meisten Glieder des von seiner Regie geführten
Ensembles. Aber die jugendliche Camilla Spira hat das
warme und helle Blut des armen „Märchens". Hier wird Ent¬
wicklung sein.
In fast durchaus neuer Rollenbesetzung führte der Intendant
der staatlichen Schauspielhäuser den großen Wurf seiner ersten
Jahre wieder vor: seine Bearbeitung und Inszenierung des
Grabbeschen „Napoleon“. Diesmal im Schillertheater.
Seiner straffen Raffung ist die Synthese der Fetzen des Genies
gelungen, dem stürmischen Tempo und der mächtigen Tonanz der
Volks= und Kriegsszenen die Bewahrung der Illusion — über die
Risse hinweg, die der Ausfall des Undarstellbaren geweitet hatte.
Keinem vor Jeßner war es gelungen, die „Hundert Tage“ auf
der Bühne lebendig zu machen. Das Brausen schlug von den
mitgerissenen Zuschauern zurück. Gegenüber der einstigen Auf¬
führung hat die neue zwar nicht in allen Rollen an Kapazität,
aber an Einheit und Durchschlagskraft gewonnen.
Des Engländers Sutton Wane Schauspiel „Die über¬
fahrt“ war die Sensation von London. Auch bei der deutschen
Aufführung in der Berliner Tribüne stellte sich der Erfolg ein.
Es waren gewiß manche geneigt, den Verfasser als Philosophen
zu schätzen. Doch gerade die Philosophie ist seine schwache Seite.
Sie schmiegt sich bei ihm behaglich in eine Christenlehre für reiche
Sünder ein, die auch den Großschieber mit Höllenstrafen verschont.
Dagegen hat das Stück in den ersten Akten, wo es ein merk¬
würdiges Schweben zwischen irdischem und jenseitigem Dasein
vortäuscht und Abgestorbene in einer komfortablen Bar vereinigt,
etwas Besseres als bloßen Geist: nämlich Fühlsamkeit. Auf einem
Ozeandampfer sind ein halb Dutzend Passagiere vereint, die anfangs
so wenig wie der Zuschauer wissen, daß sie gestorben sind. Sie
haben auch noch die Neigungen und Gewohnheiten aus ihrem Erden¬
dasein; nur ab und zu dämpft und verwirrt sie Unheimliches.
Bis sie erraten, daß sie nicht in der alten, sondern in einer un¬
bekannten Heimat landen werden. Das Ziel ihrer Reise wird
der „Prüfer“ bestimmen. Der steigt endlich, zähneklappernd er¬
wartet, an Bord, ist aber ein gar jovialer Herr, wie sich brave
Engländer etwa einen trinkfesten Friedensrichter vorstellen. Mit
jedem armen Sünder nimmt er bei gutem Humor Protokoll auf,
und für den Schlimmsten hat er doch nur ein bißchen Fegefeuer
in Bereitschaft. An dem göttlichen Zollvisitator wäre der bloße
Grundgedanke originell, wenn er nicht auffällig an die himmlische
Wachtstube in „Lilian“ (des Ungarn Molnarl) erinnerte. Besser
als der ernste Scherz ist der scherzhafte Ernst bei den voraus¬
gegangenen persönlichen und sozialen Reibungen der Passagiere,
die, wie man sieht und entgegen der bequemen Besserungstheorie,
in Ewigkeit zu bleiben scheinen, was sie waren. Unter diesen
von Regisseur Dr. Robert durchaus gut eingestellten Leutchen
ist eine arme, alte Frau mit einem treuen Mutterherzen. Die
Lucie Höflich gibt sie. Und dieser Schatten ist so voll schlichten
und heiligen Lebens, daß um seinetwillen, um der Höflich willen,
das ganze Stück uns willkommen sei!
*
vorgegangen.
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bei dem doch als strenge Parallele aufzufassenden Pro¬
zeß gegen die Organisation C — und nicht nur
bei diesem — die Oeffentlichkeit in wesent= seh¬
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Schnitzlers ohnehin nicht sehr dicht gewebtes „Mär¬
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chen“, das das Lessingtheater zur Schau stellt, ist im
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Laufe der Jahre entsetzlich fadenscheinig geworden. Wenn
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der Disput über den Wert einer Jungsernschaft heute noch
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so viel Bedeutung haben sollte, daß man damit einen ganzen
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Abend füllte, dann müßte es zum mindesten von einem ganz
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andern Gesichtspunkte geführt werden als von dem einer
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Konvention. Die Schauspielerin Fanny Theren kann einem
direkt leid tun, daß sie dermaßen zwischen die Spießer ge¬
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fallen ist — vollends, wenn ihr eine so begabie junge Kraft
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wie Camilla Spira angenehmste Gestalt und menschlichen
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Gehalt gibt. Ihr Spiel, hinter dem echter Enthusiasmus für
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die Aufgabe stand, war der eigentliche Ertrag des matten
der
Abends.
Eoist eine Probe auf die Potenz eines Dichters, wenn sich
Wiederauinahme nicht ab=, sondern
Dr. Max Goleschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telefon: Norden 3051
Die Welt am Abend, Berlin.
23 Mälz 1925
Theater und Musik.
Schmiplers ohnehin nicht sehr dicht gewebtes „Mäx¬
chen“, das das Lessingtheater zur Schau stellt, ist im
Laufe der Jahre entsetzlich fadenscheinig geworden. Wenn
der Disput über den Wert einer Jungfernschaft heute noch
so viel Bedeutung haben sollte, daß man damit einen ganzen
Abend füllie, dann müßte es zum mindesten von einem ganz
andern Gesichtspunkte geführt werden als von dem einer
Konvention. Die Schauspielerin Fanny Theren kann einem
dirett leid tun, daß sie dermaßen zwischen die Spießer ge¬
fallen ist — vollends, wenn ihr eine so begabte junge Kraft
wie Camilla Spirn angenehmste Gestalt und menschlichen
Gehalt gibt. Ihr Spiel, hinter dem echter Enthusigsmus für
die Aufgabe stand, war der eigentliche=Ertrag des matten
Abends.