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Das Maerchen
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3. Bennnnn
in, wird inzwischen weiler sieabrnftich derseig..
(Deutsches Volkstheater.) Das war gestern ein ganz sonder
barer und völlig unerwarteter Durchfall im Deutschen Volkstheater! Herr
Arthur Schnitzler hat zwei merkwürdig gute Acte geschrieben, die
einen ungemein großen Erfolg hatten, und einen räthselhaft elenden
dritten Act, der das ganze Schauspiel in grausamster Weise umbrachte
Das Schauspiel, welches uns unter dem Titel „Das Märchen“
zum ersten male geboten wurde, ist das Werk eines sehr begabten Dilet¬
tanten, der Welt= und Menschenkenntniß und eine scharfe Beobachtungs¬
gabe besitzt. Die alte Frage, ob ein gefallenes Mädchen noch „ge¬
rettet“ werden könne, wird aufgeworfen und vom Standpunkte
der modernen Weltanschauung zuerst bejaht — das „Märchen“
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vom gesalenen Mädchen — und dann an einem höchst drastischen k.
Falle verneint — das „Märchen“ von der geretteten Gefallenen, H
der Schriftsteller Fedor Deuner, welcher in einer Abendgesellschaft für die al
Rechte der Gefallenen eintritt, und dann im Angesichte eines solchen
Mädchens, das er innig liebt und von dem er angebetet wird, alle Con= u)
sequenz seiner Ueberzeugungen einbüßt, dieser Fedor Denner ist doch eine
al
zu schwächliche Gestalt, als daß er uns in irgend einer Weise durch seine
ge
Handlung überzeugen könnte. In den beiden ersten Acten weht die
Stimmung des wirklichen Lebens, echter künstlerischer Naturalismus in
in
jedem Wort, in jedem Auftritte. Die beiden Mädchen, Töchter einer alten
ze¬
Witwe,“ von denen das Eine nach einigen mißglückten Liebesaffairen
sel
zur Bühne geht, während das andere einen häßlichen, altern¬
den, aber wohlhabenden Mann heiratet, dann die moderne reali= R
stischen Schriftsteller, die geschmackvoll genug sind, das Publicum ###
nicht durch allzu lange Dialoge über die Aufgaben der Kunst der Gegen¬ be
de
wart zu quälen, die beiden photographisch treu gekeunzeichneten Gigerl, Ar
die in jeder Redewendung der Natur sclavisch, aber meisterhaft genau we
zir
nachgebildet sind, die alte Theatermutter in ihren halb naiven, halb ge¬
meinen Bemerkungen — alle diese Gestalten haben Fleisch und Blut. Das Fl
Possenhafte, das durch das wiederholte Dazwischentreten der komischen
Fl
Gecken in das Schauspiel kommt, wirkt keineswegs störend; es ist zu ein¬
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fach und natürlich eingeführt, als daß es den Ernst des Ganzen unter¬

brechen könnte. Nach der großen Seene am Schlusse des zweiten Actes,
M
der im Zimmer des Schriftstellers Denner vor sich geht, nh dem ste
Seelenkampfe, den Fanny Tehren erduldet, da sie dem bten Be
Manne Alles aus ihrem Leben erzählen muß und der sie dann
doch und trotz alledem in seine Arme schließt, tönte mächtig###
Beifall durch das übervolle Haus und die Darsteller wurden R.
ebenso wie der Verfasser ein halbes Dutzend Mal gerufen. Das Schau¬ M
spiel war damit zu Ende, das Beste vorüber, denn was nun folgte, #
au
spottet jeder Kritik. Man konnte glauben, ein anderer habe den dritten Act ge¬
Fl
schrieben, Fedor Denner, ein Othello im Frack, Clara Theren eine Desdemona mit
de
Maria Magdalena gemischt —mantraute seinen Sinnen nicht. Die beiden Lieben“
die
ni
den hielten Reden, deren Länge nur durch ihre Langweiligkeit übertroffen wurden.
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Mit Bedauern mußte man zum Schlusse erkennen, daß Frl. Sandrock
Fl
ihre ganze Kunst und ihre volle Empfindung an diese undankbare Auf.
la
gabe verichwendet hat. Sie spielte meisterhaft, hinreißend, wahr und wirk¬
wi
lich in jedem Ton, in jeder Bewegung. Was sollte Herr Nhil mit der
M
haltlosen Jammersigur anfangen? Er that, was zu thun war. Er sprach
D
warm und innig in den ersten Acten — dann, über den Punkt kann
auch kein Mann hinweg, wie es in Hebbel's „Maria Magdalena“, heißt.
Vorzüglich waren die beiden Gigerlfiguren der Herren Kutscheras2;
jund Giampietro. Das waren Cabinetstücke feiner Komik. Kernig
ge
und kräftig kennzeichnete Frau Berg die Mutter Theren. Von den übrigen
Fe
Darstellern mögen noch Herr Tewele, Weisse und Eppens wi
genannt werden. Frl. Bock sah sehr hübsch aus. Die Herren Meixner u
und Broda waren unheimlich steif. Uebrigens war alle Mühe ver¬ de
gebens; das Schauspiel trägt den Todeskeim in sich; der britte Act hatld,
das arme „Märchen“ begraben.
K. E. Kleinert. be.
* Das Ehepaar Lewinsky wird im Jänner ein mehrere Abende
Fr
##nwiassendes Gastspiel in Olmütz absolviren.

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Theater, Kunst, Meusik und Literatur.
Deutsches Volkstheater. Die Langmuth des Pre¬
mieren=Publikums im Deutschen Volkstheater ist bekannt:
gestern aber hat auch sie ein Ende erreicht und das mit
Recht. Würden wir schadenfroh sein, so könnten wir die
Aufführung des Schauspiels „Das Märchen“ von Arthur
Schnitzler nur mit Genngthuung begrüßen, denn mit
derselben fand die sogenannte „Moderne“ ein Fiasco, wie
wir es nicht besser wünschen könnten. Für das dramatische
Unvermögen dieser jungen Herren, die so geringschätzig über
alle anderen Schriftsteller urtheilen, kann es keinen über¬
zeugenderen Beweis geben, als dieses sogenannte Schauspiel“
eines der „Häupter“ der modernen Richtung. Herr Schnitz¬
ler findet nicht einmal den Anfang zu einer dramatischen
Handlung, sondern leistet nichts als ein unaufhörliches
Phrasendreschen, das sich aus geistreich sein wollenden Sen¬
tenzen und Derbheiten unglaublichster Art zusammensetzt.
Das Publikum wurde lange nicht klug aus diesem selbstge¬
fälligen Kanderwelsch, das sich mit der Frage beschäftigt, ob den
Frauen in der Liebe die gleichen Rechte zuständen wie den Män¬
nern und ob das Vorurtheil, einer Gefallenen gegenüber, eigent¬
lich nur ein Märchen sei, aus dem wir einmal erwachen
sollten. Ueber das Thema von der freien Liebe iommen die
modernen Stürmer nicht hinaus, als ob die Welt für nichts
Anderes Interesse hätte. Ja, wenn noch wenigstens die Per¬
sonen, für welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch ge¬
nommen wird, interessant wären. Aber diese Fanny Theren,
mit ihrer moralisch dunklen Vergangenheit, die sich bereits
dem dritten Manne an den Hals werfen will, und als sie
abgewiesen wird, nach Rußland ins Engagement geht —
sie ist nämlich auch in der Praxis eine Schauspielerin —
und dieser Fedor Denner, dieser geistvolle Grübler, der
lange hin und herschwankt, ob er die Gefallene aufrichten
oder verstoßen soll, das sind zwei unbedeutende Menschen,
deren Denken und Empfinden uns gänzlich kalt lassen, und
da sie im Stücke nichts thun als reden und streiten, so
haben wir das Ende dieser breitspurigen Debatten nicht ab¬
gewartet und das Haus verlassen, als uns die saftigen
Stellen des Dialogs bereits zum Ueberdrusse wurden. Schade
um die Mühe, die sich Frl. Sandrock und Herr Nhil
mit der Darstellung dieses zweifelhaften Paares gaben, nicht
minder Schade um den Fleiß der übrigen Mitwirkenden,
vom welchen die Herren Giampietro und Kutschera
verurtheilt waren, zwei Gigerln zu spielen, deren Ausdrucks¬
weise häufig eine solche ist, daß die genannten Herren den
Geschmack hatten, mit möglichst gedämpster Stimme zu
sprechen. Frl. Bock, die bisher am Burgtheater ein Still¬
finder
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leben führte, debutirte als neu engagirtes Mitglied in einer
wenig bedeutenden Rolle. Das Publikum verhielt sich in den
musi
8. D
ersten Akten sehr wohlwollend, so daß sich der Autor dankend
zeigen konnte; im dritten Akte aber gab es lebhafte Oppo= saale
sition, an der es übrigens auch schon früher nicht fehlte.
4#..#„ Scho
Wermertng zu betheitigen.
(Deutsches Volkstheater.) Das dreiactige Schauspiel
„Das Märchen", von Arthur Schnitzler, bringt ein altes
Problem auf die Bühne: Kann ein Mann eine Gefallene zu seinersk
Gattin erbeben, oder soll er sie sitzen lassen? Der Autor ist sofr
originell, keine Lösung zu geben. Er wirft die Frage auf, aber ers#
überläßt es dem Zuhörer nach Belieben die Antwort zu suchen. Wort
wo sein Schauspiel endet, könnte ganz gut ein Anderer beginnen. Fedor
Denner, der Held des Stückes, bekämpft mit tausend Argumenten, k
die er aus seinem scharf denkenden Kopfe und seinem milden, gütigen
Herzen holt, das sociale Märchen vom gefallenen Mädchen. Er geißelt den
Egoismus der Männer, die das als ihr angeborenes Recht erklären,
was ihnen bei der Frau als unsühnbarer Frevel erscheint Es seis!
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dumm und grausam, meint er, das Mädchen, das nicht gleich bei der
ersten Regung ihres Herzens den rechten Mann gefunden, für immer!1
als eine Verlorene zu verstoßen. Und derselbe Fedor Denner ist so
dumm und grausam, in dem Momente der Sclave dieses Märchens
zu werden, wo er selbst seine Theorien verwirklichen sollte. Er peinigt
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mit wahnsinniger Brutalität das Mädchen, das nur noch in der
Liebe für ihn lebt, das in seiner Gegenwart an Vergangenheit und
Zukunft vergißt. Das Märchen ist stärker als er, stärker als seine
Liebe, stärker als seine Theorien, für ihn lebt nur noch die Ver¬
gangenheit. Die ersten zwei Acte des Stückes interessirten das #
Publicum ganz außerordentlich. Trefflich gezeichnete Charaktere, ein b
geistvoller, von feinen Pointen und blitzenden Apercus erfülltern
Dialog ließen daran vergessen, daß die Handlung des Stückes, in d
welchem die Personen nur viel denken, fühlen und sprechen, eine
sehr magere ist. Der dritte Alt, der weder eine Steigerung noch eine
Lösung sondern blos eine Fortsetzung bringt, erregte den lebhaften
Widerspruch des Publicums. Nach dem Zweidrittel=Erfolg des Stückess h
hätte man jedenfalls kaum erwarten dürfen, daß es nach der zweiten
Aufführung vom Repertoire abgesetzt würde. Der wahre Grund hiefür
mag wohl darin zu finden sein, daß die allzu freie, wenn auch von
poetischer Schönheit geadelte Sprache dieses „Märchens“ dasselbe aus
einem Hause verbannen mußte, welches denn doch nicht den Anspruch
erheben will, eine freie Bühne zu sein. Die Darstellung war eine
ganz vortreffliche. Frl. Sandrock bot eine Meisterleistung, die
geradezu Bewunderung verdiente. Die Herren Nhil, Kutschera,
si
Tewele, Giampietro, Eppens und Meixner brachten
ihre Rollen trefflich zur Geltung. Die Damen Berg und Bockln
fanden sich ganz gut ab mit ihren kleinen Rollen.
##### Theater) Der Graf von Hammerstein“, die