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11. Der tapfere Cassian
Noch zwei Notizen zu
in Freude und Schmerz, ohne Kenntnis des Lebens bis haften Worte. Ganz im Fahrwasser des Romans aber
oben voll von idealen Forderungen, und ein junges Mäd= und der Nachahmung sind wir bei dem Motiv von der Er-skerade“, das gleichzeitig
zweiter Einakter war übrig
chen, auch sie wohl in manchem noch ein Kind, aber mit blindung: bei einem Sturz mit dem Pferde hat Frieders
gegeben, wird's auch nicht
einem Instinkt für das Wirkliche begabt, der die mangelnde Vater eine schwere Nervenerschütterung erlitten, durch die
in Szene ging, hat beim
seine Sehkraft arg gefährdet ist. Langsam genaß er, und
Opernhaus hat mit der
Erfahrung ersetzt und sie reifer erscheinen läßt als sie ist.
Dieses junge Mädchen, Erika von Gellenhofen, ist die bei guter Pflege unter frohen Eindrücken wird er ganz
„Lustigen Weibern
gesunden; große seelische Erschütterungen aber würden ihn
Adoptivschwester von Annemarie von Schmeltow, der
in die höchste Gefahr bringen. Das Gespenst der „Gespen= Es ist unverständlich, warun
Mutter des Kadetten Frieder. Daß sich Frieder, als er
ster“ zeigt sich schon im ersten Akt, und jeder Literatur= Opernliteratur nicht ständ
Theaters steht, das alle R
mit der jungen und verwirrend schönen Tante in den Ferien
kundige weiß, daß die Katastrophe eintreten muß. Der
unser königliches Opernhaf
auf das väterliche Gut kommt, sofort in Erika verliebt und
Eindruck von Frieders Selbstmord vollzieht das Gericht:
ihr kokettes Spielen für Ernst nimmt, ist nur selbstverständ¬
als der Kranke, der sich bisher mannhaft gehalten hat, auf¬
lich. Wenn er später nur entdecken würde, daß sie nur ge¬
stehen will, um zu Frieders Leiche zu gehen, bricht er zu¬
tändelt hat, so wäre das eine Enttäuschung, die seine
sammen, und die Tränen der Gattin und Erikas fließen
Elastizität schnell verwinden würde. Aber diese Ent¬
um einen Blinden. Tränenreich ist der Schlußakt des
* Das neueste (18.) Hei¬
deckung geht unter Umständen vor sich, die dem armen
Berliner Mozart=Gemein
Jungen das Herz brechen. Frieder überrascht nämlich Dramas, aber er enthält neben allzu rührsamen Szenen
handlung von E. S. Mittler,
seinen eigenen Vater, den er schwärmerisch verehrt, in auch Augenblicke, aus denen echter Schmerz zu uns spricht.
Vor allem in der Szene zwischen den beiden Frauen.
textlichen Inhalt wie auch du
leidenschaftlicher Umarmung mit Erika. Er selbst wird
Hinterläßt also Dreyers Schauspiel in seiner Mischung lerischen Beigaben ganz den
welche es durch die Bezugnah
nicht gesehen, und so trägt er das Geheimnis in vollständi¬
von Echtem und Nachgeahmtem keinen reinen Eindruck,
folgte Gründung der Mozart¬
ger seelischer Zerrüttung mit sich herum. Diese Seelen¬
so ist es uns doch als das Werk eines ernsten und ehrlich
dieser Bedeutung gelten die
qualen des guten Jungen sind ebenso echt dargestellt wie
ringenden Dichters eine liebens- und achtenswerte Schöp¬
Künstler, die in den Konzerte
vorher seine jugendliche Daseinsfreude und sein Glücks¬
derselben gefördert haben. Er
fung.
rausch, da er sich von Erika geliebt glaubt. Niemand ist
Dagegen steht man dem neuen Einakter Schnitz¬
bildnissen mit der im vorigen
da, vor dem er sein Herz ausschütten könnte, und so greift
v. Asten. Ihr schließt sich zunh
lers, dem Puppenspiel „Der tapfere Kassian“
er schließlich zum freiwilligen Tod. Diese Tragödie ist ein¬
an, dem noch eine stattliche 3
ziemlich ratlos, gegenüber. Es wurde am 22. November
Für den
fach und überzeugend durchgeführt, leider aber stört sich
Künstler folgt. —
im „Kleinen Theater“ aufgeführt, dessen Besucher das
Italien“ ist das Titelblatt be
Dreyer selbst die Wirkung dadurch, daß er unser Interesse
kleine Stück zum großen Teil schon aus der „Neuen Deut¬
anziehenden, im Jahre 1770
durch die Liebe von Frieders Vater und Erika zersplittert,
schen Rundschau“ kannten, aber es auf der Bühne trotz¬
wie ein dem Hefte beigelegte#
und leider ist ihm diese Handlung, deren Mittelpunkt Erika
aus Mozarts erstem Streichg
ist, ebensowenig gelungen wie die Gestalt des siebzehn= dem nicht goutieren konnten. Schnitzler will anscheinend
im Marionettenstil eine kleine Satire auf die wetterwen¬
Wireshause zu Lodi schrieb.
ist
jährigen Mädchens selbst. Die Frauengestalten sind
des Bestehens der Berliner G
Dreyers schwache Seite: hier gibt er nichts Erlebtes, son- dische Liebe der Frau schreiben, die sich ohne weiteres von
Leiter derselben, Professor R
dem bramarbasierenden Kriegsmann hypnotisieren läßt,
dern Erlauschtes, und statt lebendiger Menschen haben wir
daß er zwar die Druckschrifte
und ihren blonden Liebsten skrupellos verläßt. Aber man
zu der weiten Ausbreitung d
Schablonengestalten oder romantische Konstruktionen. Das
sieht den Zweck und Sinn dieser Satire und ihrer Ueber¬
siebzehnjährige Mädchen in seiner Mischung von Früh¬
tragung ins Marionettentum nicht ein. Vor allem aber ist getragen haben, noch weiterh
künstlerischen Veranstaltungen
reife und Unbewußtheit zu zeichnen, ist keine Aufgabe für
das ganze Spiel nicht toll und lustig genug, und die
trauen gedenke.
Dreyer, und für die Liebe des reifen Mannes, der ohne
seiner guten und tüchtigen Frau eigentlich untreu zu Puppenspielerei kommt uns bald genug recht albern vor.
werden, sich in die junge Schönheit der kleinen Schwägerin Die Miene des Ulkes steht Arthur Schnitzlers weichen und
verliebt, findet er ebensowenig andere als die schablonen- melancholischen Zügen nicht glaubhaft zu Gesicht.