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1. Der tanfere Cassian
einen Scheidungsgrund hat, aber er muß sich mit dem
Verführer, den er am liebsten umarmen möchte, schlagen.
So will's die Ehre. Ein Zufall fügt es, daß beide
Duellgegner sich am Abend vor dem Duell in demselben
Hotel nebst ihren Sekundanten treffen. Zuerst wird an
zwei getrennten Tischen gezecht. Dann kommen sich
die beiderseitigen Sekundanten Hochachtungsschlucke.
bener. Man rückt an einen
Die Stimmung wir'
gemeinsamen Tisch. Ganz gegen den Komment kommen
auch die beiden Gegner ins Gespräch. Sie prosten sich
ebenfalls an. Kurz, es wird eine ungemein fidele
gemeinsame Kneiperei, und als die Stunde kommt, wo
das nun zu einer leeren Farce gewordene Duell aus¬
gefochten werden soll, vergessen die Duellanten sogar
den Pistolenkasten mitzunehmen. Das Ganze ist zu
kraß, zu derb, um noch eine dramatische Wirkung aus¬
üben zu können. Eine in ihrer Art feine, entschieden
talentvolle Arbeit ist Mongrés Einakter trotzdem.
Wildes „Herzogin von Padua“ hat wenige Wochen
nach dem Erscheinen der deutschen Buchausgabe (übersetzt
von Max Meyerfeld, Verlag von Egon Fleischel & Co.)
bereits ihre Bühnenfähigkeit erproben können. In England
ist das Stück nie aufgeführt worden, und ob die Angabe,
die Hagemann in seiner Wildebiogravhie in Bezug auf
Bläster, dent Oft gemmorose##80
ergreifende Naturlaute gelangen, fehlte es oft nur zu
sehr an Geschmack und noch öfter an Selbstkritik. Sehr
hübsch charakterisiert ihn Valer Brjussow im Oktoberheft
der Wiessy; in einem Artikel, der sich „Der Dichter
der Widersprüche“ betitelt: „Slutschewski war am aller¬
wenigsten Künstler. Er hatte eine Kinderhandschrift.
Er stammelte, aber wie Moses. Seine Verse sind oft
unschön, aber es ist die Häßlichkeit des Kaktus, des
Teleskopfisches — eine Häßlichkeit, der nichts Triviales,
nichts Niedriges anhaftet ...“
Von Tolstoi bekommt man neuerdings wieder
etwas zu hören. Er arbeitet noch immer an seinem
Werk über Shakspere, das aber erst nach seinem Tode
erscheinen soll, weil der Dichter der heftigen Polemik
entgehen möchte, die es jedenfalls hervorrufen wird.
Wie Tolstoi über Shakspere denkt, hat er ja schon in
ein paarmal deutlich ausgesprochen.
„Was ist Kunst?“
Sein neues Buch soll nun ausführlich darlegen, wie
der „rohe, unsittliche, alles Edelsinns bare“ Shakspere
„den Starken schmeichelt, die Kleinen verachtet und das
Volk verleumdet“
Hoffentlich haben wir noch recht lange auf die
Veröffentlichung dieses eigentümlichen Buches zu warten!
Inzwischen ist ein neuer, ganz interessanter Beitrag zur
bröhenden Banktoll sich zu retten, scheint ihm eine
reiche Heirat der Tockte das einzige Mittel; mit
cynischer Offenheit stell##er sein. Kind vor die Wahl
zwischen einem steinreichen Gecken und Richard Wünzer,
dem Sohn von Körners Schwester. Dieser ist zwar
vorläufig ein armer Schlucker, hat aber die Anwartschaft
auf eine reiche Erbschaft, — wenn eine Familienaus¬
söhnung, die der Erblasser zur Bedingung macht, zu
stande kommt. Richards Mutter hat vor zwanzig Jahren
ihren in dürftigen Verhältnissen lebenden Mann, einen
Volksschullehrer, und ihren dreijährigen einzigen Sohn
verlassen, um einen andern, dessen körperliche Schönheit
ihre Sinne reizte, zu ehelichen; eine Abfindungssumme
hat Wünzer empört zurückgewiesen. Der Erbonkel ver¬
langt Wiedervereinigung der Gatten; nur dann sollen
Wünzers Frau, deren zweiter Mann längst tot ist, und
Körner zu gleichen Teilen erben. Leonore Körner geht
um so lieber auf den Plan des Vaters ein, den Vetter
zu gewinnen und durch ihn die Aussöhnung zu be¬
wirken, als sie trotz aller Kaltherzigkeit einen gewissen
Reiz darin findet, Richard, den sie für ein noch unbe¬
schriebenes Blatt hält, sich zum Gatten heranzubilden.
Dem stellt sich vorerst ein starkes Hindernis entgegen:
Richard ist nicht mehr frei; aus Dankbarkeit hat er sich
längst mit einer kleinen Putzmacherin, der Tochter seiner
Wirtin, mit deren kärglichen Ersparnissen er seine
Studien bestritten hat, verlobt. Leonore erklärt es für
seine Pflicht, nun er sie gewonnen, seiner anderen
Braut die volle Wahrheit zu sagen. Bis dahin hat er
noch geschwankt, aber die „Wahrheit“ siegt: Richard ist
grausam genug, dem armen Mädchen zu erklären, er
habe sie immer nur wie ein Bruder geliebt, auch sehne
er sich hinaus aus den engen Verhältnissen und dem
ewigen Gleichmaß der Tage und wolle Künstler werden.
Leonore bringt Richard dann mit seiner Mutter zu¬
sammen, gegen die er sich zunächst schroff ablehnend
verhält, deren Thränen und Jammer er aber endlich
nachgiebt. Viel zäher ist der alte Wünzer. Beim
Notar, der die Testamentseröffnung vornehmen soll,
trifft er seine ehemalige Frau. All ihren Bitten setzt
er ein schroffes Nein entgegen; schließlich zerreißt er das
uneröffnete Testament und zerstört so alle Hoffnungen
seiner Verwandten. Einem zweiten Ansturm seiner
Frau im eigenen Heim kann er jedoch nicht widerstehen,
und nach einer langen erregten Szene erfolgt die
Wiedervereinigung der Gatten, die nun gemeinsam am
Glück des Sohnes arbeiten wollen. Ihrem Egoismus
getreu, läßt Leonore ihren Verlobten im Stich, um
sich mit dem reichen Gecken zu verbinden.
„Das erscheint ja alles wie ein Roman,“ sagt eine
der Personen des Schauspiels, und sie hat leider nur
allzu Recht. Wir sind längst gewöhnt, einen Ausschnitt
des wirklichen Lebens auf der Bühne zu sehen; in
Hansteins Schauspiel aber überwiegt das nur Theatralische
so sehr, daß das Los der auftretenden Personen uns
nicht ans Herz greift. Auch die Motivierung ist stark
anfechtbar. die Wiederaufnahme der Frau fast unmöglich.
Merkwürdig erscheint es, daß die Technik des Werkes
sich absolut unbeeinflußt zeigt von den modernen
Errungenschaften; die ausgiebige Verwendung von Rühr¬
szenen ermüdet, und die langen Auseinandersetzungen
hemmen den dramatischen Fortschritt. Wenn trotzdem
der Vorhang sich nach jedem Akt mehrere Male heben
konnte, darf man diesen äußeren Erfolg nicht zu hoch
bewerten: er war sicher stark beeinflußt von der Ver¬
bindung der Aufführung mit einer Gedächtnisfeier für
den heimgegangenen Dichter.
H. v. Westhoven