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9. Literatur
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endwo in einer
Vorstadt Wiens hat der Oboespferer Eduard agisch sein
Heim, sein liebes Weib und einen prächtigen Buben. Er
spielt im Opernorchester, es geht ihnen gut, sie können sogar
ein Mädchen halten. Trauliches, bürgerliches Behagen,
eine enge Welt, aber erfüllt von Glück, von Vertrauen
und Reinlichkeit. In dieses Heim bringt Jagisch eines
Tages einen Freund seiner Jugend, an den er nie auf¬
gehört hat zu denken, Georg Merklin. Elf Jahre war er
seinen Augen entschwunden, nun hat er ihn wieder. Wie
sie sich verändert haben, aber die Herzen sind die gleichen
geblieben; Eduard, die naive, kindliche Künstlerseele,
strömt über vor lange zurückgedrängter Herzlichkeit. Fremd
und versonnen steht der andere in den blanken Bürger¬
stuben. Was ist ihm das — er schreitet seine eigenen Pfade,
ünenkannt geht er durch die Menge, ein König durch die
Welt seiner Gedanken und Empfindungen, zu stolz, um
von ihnen mitzuteilen. Er „berechtigte einmal zu großen
Hoffnungen“ aber sie haben keine Erfüllung gefunden —
für die andern. Er selber ist ein Eigener geblieben, der
sich wohlzufühlen scheint auf selbstgewählten Pfaden, ab¬
seits der großen Heerstraße. Und eine wunderliche Kraft
steckt in ihm, er hat Macht über die Menschen und ein
königliches Vergnügen ist es ihm, sie zu lenken gleich
Puppen an den Drähten. Auch auf das Leben des Freundes
tt er einmal bestimmenden Einfluß geübt, als er dem
Schüchternen, Scheuen, Armseligen das Selbstbewußtsein
gab, Glück mitzuteilen und zu empfangen. Es war nur
ein verabredet Spiel, das Mädchen, die blonde Anna, war
mit im Bunde. Aber die Komödie war doch eigentlich der
Anlaß, daß aus dem Aengstlichen ein Mann wurde mit
dem Mut zum Leben. Der Freund lacht ihm bestätigend
zu, ein bißchen verlegen. aber doch mit dem Gefühl des
Siegers. Die blonde Anna ist ja eben sein liebes Weid.
Gerade tut sich die Tür auf, sie bringt den hübschen Buben
aus der Schule heim — Georg heißt er, wie der Freund.
Zwischen den dreien wachen verklungene Tage und Empfin¬
dungen auf. Anna liehte ja eigentlich Georg Merklin und
hätte ihn gern aus der Zerrissenheit seines Lebens in
bürgerliche Ordnung gerettet. Der läßt den ironischen Blick“
über das saubere Milieu schweifen. Nur um ihn eiser¬
süchtig zu machen, hat sie sich zu dem Spiel hergegeben, aus
dem dann beglückender Ernst werden sollte. Der Tisch wird
gedeckt, Georg Merklin steht auf und schickt sich an, zu gehen.
Er spürt leise die klammernde Liebe mit dem engen Horizont,
die ihn von weltfernen Wegen ins kleine enge Leben zu¬
rückziehen will. Für ihn gibt es nur eins noch, die Frei¬
heit seines Ich, unbehindert durch Zwang und Enge.
Vielleicht ist diese Freiheit nur eine Illusion des alten
„Puppenspielers“ aber er braucht sie, um existieren zu
können. Sein Weib, der einzige Mensch, der ihn verstand,
hat sich doch von ihm gewendet, sein Junge ist tot, nur einen
Augenblick fällt das Streiflicht auf ein tief verwundetes
krankes Herz, warum muß der Junge des Jagisch auch Georg
heißen, nach ihm. Dann geht er mit ein paar Abschieds¬
worten, halb wehmütig, halb ironisch. — Die Studie trägt
alle Merkmale der Kunst des Wiener Poeten. Das eigent¬
lich Dramatische wird nur mit leisem Finger angedeutet;
eine robustere Natur hätte ja mit leichter Mühe vie heraus¬
holen können. Schnitzler liebt es, zart über die Saiten zu
gleiten, was unter der Bewußtseinsschwelle schlummerte zu
erwecken und die Untertöne vibrieren zu lassen. Dadurch
ergeben sich für den genießend Mitempfindenden Stim¬
mungen von feinstem Reiz. Die Anmut seiner Technik
und die zarte, sichere Hand, die sich bei Gestaltung der
Charaktere und psychologischen Details offenbart, berühren
namentlich in unseren Tagen erfreulich, wo man wieder
für handgreifliche Ausdrucksmittel Neigung verspürt. Ober¬
flächliche und stumpfe Sinne bedürfen allerdings stärkerer
Aufpeitschung. —
Das Spiel war sorglich getönt. Herr
Mehnert überzengte als Georg Merklin durch die Ein¬
fachheit seiner trefssicheren Charakterisierungskunst, man
fühlte, daß der Darsteller die Gestalt in richtiger Beleuch¬
tung gesehen hat und erlebte. Für die naive Glückssicher¬
heit des zufriedenen Oboespielers hatte Herr Wierthi
einen hübschen Ton. Die Anna konnte etwas hausfrau¬
licher gegoben werden, wie Fräulein Verden es tat; sie
wirkte auch in der Erscheinung noch zu sehr als „süßes
Mädel“. — Voran ging der interessanten Studie das Schau¬
spiel Herbst“ von Schmidt=Häßller, das hier be¬
reits gegeben wurde. Das Werk hat manche hübsche Einzel¬
heit, es wird aber in Stimmung gemantscht. Der alte Graf
erhielt durch Herrn Müllers schlichte Vornehmheit und
die milde Wehmut des Tons das richtige Gepräge. Der
„Fremde“ gab Herrn Frobösse Gelegenheit zu ausge¬
zeichneter Maske. Die kleineren Rollen waren in guten
Händen. Die Bühnenarbeit gewann durch die glückliche
Interpretation und stimmungsvolle Ausarbeitung der
Den Abschluß machte wieder ein
szenischen Details.
Schnitzler: das amüsant geführte Lustspiel „Literatur“
in dem der etwas bornierte, aber korrekte Aristokrat, die
Schriftstellerin und der Dichter durch bunte Fäden mit
einander verbunden sind. Die Eleganz der Technik und
das Sprühen des feinen, beweglichen Geistes machen diese
Dichtung Schnitzlers besonders anziehend. Herr Tiller
hatte für den Weltmann Clemens einen ganz samosen
„Tschaperl“=Ton, Fräulein Serda plauderte leicht, an¬
genehm, mit hübschen Nüancen, nur zu absichtlich „weane¬
risch“. Herr René wirkte in der Erscheinung, namentlich
durch unvorteilhafte Perücke, etwas zu spießig, seine Dar¬
stellung brachte all das Nette dieser Bohémefigur amos
heraus.
Paul Hermann Hartwig.