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10. Im Deutschen Ayrater gelangte mit
Abend Arthur Schnitzlers Schauspiel „Liebelei“ und des¬
selben Verfassers Groteske „Der grüne Kakadu" neu-
einstudirt und theilweise neu besetzt zur Aufführung. Beide
Stücke, ganz besonders das erstere, das durch die Mitwirkung
ge-
von Irene Triesch als Christine erhöhtes Interesse
wonnen hatte, wurden glänzend gespielt. Die Christine hat
man hier oft von der Sorma gesehen, und ihre Leistung galt
hier für unübertrefflich. Auswärts war man anderer Mei¬
nung. In Frankfurt a. M. zum Beispiel und auch in anderen
Städten stellte man die Christine der Triesch über die der
Sorma. Hier regt man sich über einzelne Leistungen nicht
auf, und es war vorauszusehen, daß es zu einem Kampf der
Meinungen nicht kommen werde, aber eine gewisse Spannung
inclusive
war doch unverkennbar im Zuschauerraum vorhanden.
Porto.
Wer die Bessere sei wurde nicht diskutirt aber
Zahlbar
der Umstand, daß Fräulein Triesch unter der Er= in Voraus.
innerung an ihre beruhmte Vorgängerin nicht zu leiden
tte ist das
hatte, und man, so lange sie auf der Bühne stand, an dieselbe
teht es den
garnicht dachte, spricht am beredtesten zu ihren Gunsten. Ihre
dern.
Christine ist verkörperte Natur. Mit wunderbarer Feinheit
und Vertiefung gestaltet sie den Charakter. Jedes Wort, jeder haltend die
Blick, jede Bewegung ist lebenswahr und entspricht dem Bilde Morgen¬
dieses süßen, lieben Wiener Mädels, dessen erste Liebe auch Zeitung“)
seine letzte ist, und das von Anfang an ahnt, daß es an dieser ischaftliche
Liebe zu Grunde gehen werde. Richtig und fein empfunden Diese Mit¬
ist gleich ihr erstes Auftreten, wo sie etwas scheu und zaghaft
in das Zimmer ihres Geliebten tritt, um erst nach und nach
ruhigere Sicherheit zu finden. Und wie hier ihr Spiel,
selbst auf Kosten des äußeren Effekts, ganz von Natur erfüllt
so bleibt es auch im Verlaufe des ganzen Abends. In
,
ihrer Darstellung empfand man auch weniger die unwahre
Schlußszene. So bedeutend sich auch die „Liebelei“ über die
meisten Erzeugnisse der letzten zehn Jahre erhebt, und so hoch
ich den Verfasser schätze, diese Schlutzszene, in der Christine sich
selbst untreu wird und äußerer cheatralischer Wirkungen halber
plötzlich ungerechte und phrasenhafte Beschuldigungen gegen
den Geliebten erhebt, verleidet mir das ganze Stück. Irene
Triesch, die die Christine zu erleben schien, verbesserte hier,
unbewußt vielleicht, den Dichter, im Gegensatz zu den meisten Dar¬
stellerinnen, die seine Fehler noch dick unterstreichen, damit ihnen
die Gelegenheit, sich auch als Tragödinnen großen Stils zu zeigen,
nicht entgehe. Ein seiner Zug ihrer Darstellung ist es auch,
daß sie den Dialekt nur andeutete. Besonders hier fiel es an¬
aenehm auf, wo Herr Rittner als Fritz gar keinen Wiener
Dialekt sprach. Der Künstler, der auch früher die Rolle inne
hatte, spielt dieselbe ganz meisterhaft. Das Zusammenspiel
dieser Beiden ist wirklich mustergültig. Frisch, lebendig und
durchaus charakteristisch war auch das zweite Liebespaar durch
Herrn Fischer und Frl. Rauch vertreten. Herr Fischer hat
sich wieder als ein fabelhaft vielseitiger Schauspieler bewährt,
Frl. Rauch als ein versprechendes Talent eingeführt,
von der noch viel Gutes zu erwarten ist, obgleich
sie noch Manches zu lernen und Manches zu ver¬
lernen hat. Eine prächtige Gestalt schuf Herr Reinhardt
als Vater Christines. Auch Frau v. Poellnitz war als
Frau Binder vorzüglich. Daß sie berlinerisch statt wienerisch
sprach, störte nicht einmal, vielleicht weil sie garnicht erst den
Versuch dazu machte. Nicht an richtiger Stelle war Herr
Sauer als „Ein Herr". Dieser sonst so natürliche Schau¬
spieler kam in dieser kleinen Rolle aus hohler Theatralik nicht
heraus. Das Publikum, das mit innigster Antheilnahme dem
Gang der Handlung folgte, spendete starken, lang anhaltenden
Beifall. Besonders kräftig war der Beifall nach dem
zweiten Akt.
„Der grüne Kakadu", der zu den best inszenirten
Stücken des Deutschen Theaters gehört, erweckte dieses Mal
weniger Beifall als bei der Erstaufführung. Das Tempo
war etwas schleppender als damals. Den Schauspieler Henri
gab Herr Sommerstorff, nicht mit der hinreißenden Kraft
von Kainz und lange nicht so wirksam wie dieser, aber viel
leicht wahrer im Sinne der Dichtung. Kainz sprach die Er
zählung von der Ermordung des Herzogs von Cadignan, als
ob es thatsächlich geschehen sei, man vergaß darüber
den Schauspieler. Sommerstorff charakterisirte auch in
dieser Stelle den Schmierenschauspieler. Die übrigen
Schauspieler, die die Verbrecher spielen, waren zumeist
in der alten Besetzung geblieben. Neu war Frau
Bertens als Marquise. Das Frivole, Lasterhafte und die
Lust, sich selbst an einem Morde zu erfreuen, wenn es die
Nerven nur angenehm aufregt, all diese Züge und auch das
Liebenswürdige, das wie ein versöhnender Schleier über der
Figur liegt, kamen in ihrer Darstellung außerordentlich wirkungs¬
voll zur Geltung. Der Leocadie, die ehemals Frau Reisen¬
hofer prächtig gab, blieb Frl. Triesch ebenfalls nichts
schuldig. Sehr nett war Herr Wahlsdorf als der „schon"
17 jährige Chevalier. Die Herren Fischer als Wirth und
Rittner als Strolch sind in ihren Rollen bekannt. Beide
spielten trefflich. Herr Fischer könnte aber ruhig etwas stärker
auftragen und Herr Rittner es etwas weniger thun. Von
imponirender Wirkung war wieder die Schlußszene, in der der
Beginn der Revolution zum Ausdruck kommt.
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